Dezember 2023

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Aufrecht das Leben geben

Kann die Ausstattung des Kreißsaals Frauen dabei helfen, ihre Kinder auf natürlichem Wege zu gebären, und Kaiserschnitte verhindern? Eine bundesweite Studie erbrachte hierzu positive, aber auch überraschende Ergebnisse.

Eine schwangere Frau kniet vor einem Ball, auf dem sie die Arme abgelegt hat

Im Vergleich mit anderen europäischen Ländern hat Deutschland eine der höchsten Kaiserschnittraten – die Be-­Up-­Studie trug dazu bei, vaginale Geburten zu fördern.

Taras Grebinets/Adobe Stock

Beeinflussen die Umgebung und Ausstattung des Gebärraums den Verlauf einer Geburt? Und wirkt sich eine aufrechte Geburtsposition auf das Gefühl der Selbstbestimmtheit von gebärenden Frauen aus? Diese Fragen untersuchte die deutschlandweite „Be-Up-Studie“ mit Förderung durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unter der Leitung von Hebammenwissenschaftlerin Dr. Gertrud M. Ayerle vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Universitätsmedizin Halle.

Anlass für die Studie war die hohe Anzahl von Kaiserschnitten in Deutschland – so erfolgten im Jahr 2021 rund 32 Prozent der Geburten auf diesem Wege. Ein großer Anteil davon war ursprünglich als vaginale Geburt geplant. „Wunschkaiserschnitte“ ohne medizinische Indikation und medizinisch notwendige Kaiserschnitte liegen Schätzungen zufolge bei circa 14 Prozent. Mit ihrer Arbeit möchten die Forschenden einen Beitrag dazu leisten, dass mehr Frauen ihre Kinder wie gewünscht auf natürliche Weise gebären können.

„Ein Kaiserschnitt führt im Vergleich zur vaginalen Geburt häufiger zu Komplikationen. Dieser Eingriff erhöht das Risiko für gesundheitliche Beeinträchtigungen des Kindes und der Mutter. Auch führt er zu einer zusätzlichen Belastung des Gesundheitssystems“, fasst Studienleiterin Ayerle zusammen. Sie ergänzt mit Blick auf die vaginale Geburt: „In der wissenschaftlichen Literatur gibt es Hinweise darauf, dass Bewegung und aufrechte Körperhaltungen während der Wehen und der Geburt für Mutter und Kind vorteilhaft sind. Diese Aktivitäten der Frau fördern den natürlichen Geburtsvorgang und vermeiden eher einen Kaiserschnitt. Wir haben daher in unserer Studie eine alternative Geburtsumgebung entwickelt, die eine aufrechte Haltung und körperliche Bewegung der Gebärenden fördert sowie ihre Selbstbestimmtheit stärkt.“

Be-Up-Studie

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) förderte die klinische Studie „Effekt der Geburtsumgebung auf den Geburtsmodus und das Wohlbefinden von Frauen am Geburtstermin: eine randomisiert kontrollierte Studie (RCT) (BE-UP)“ mit rund 1,1 Millionen Euro. Koordiniert wurde das Projekt von Dr. Gertrud M. Ayerle vom Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften der Medizinischen Fakultät der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Die stellvertretende Projektkoordination übernahmen Professorin Dr. Rainhild Schäfers von der Hochschule für Gesundheit Bochum, jetzt am Institut für Hebammenwissenschaft der Universität Münster, und Dr. med. Gregor Seliger von der Universitätsklinik und Poliklinik für Geburtshilfe und Pränatalmedizin, Halle (Saale). Die Perspektive der Betroffenen wurde durch die Zusammenarbeit mit den Elterninitiativen Mother Hood e. V. und Doulas in Deutschland e. V. eingebracht.

Möbel rücken für die Forschung

Für die Kreißsaalteams in den bundesweit 22 teilnehmenden Kliniken bedeutete die Studie zunächst einmal, gemeinsam Möbel zu rücken: Das klassische Gebärbett wurde mit einem Paravent verdeckt oder ganz aus dem Raum entfernt und der Raum stattdessen mit Bodenmatte, bequemen Schaumstoffelementen, einem Sitzsack und Postern mit Beispielen von aufrechten Körperhaltungen eingerichtet. Auch gab es einen Monitor mit Naturszenen, eine kleine Snackbar und eine dimmbare Stehlampe. Das Gebärbett konnte jedoch im Verlauf der Geburt geholt werden, wenn die Frau dies wünschte oder das Klinikteam dies als notwendig ansah.

Blick in einen Be­Up­Gebärraum: Eine schwangere Frau sitz auf einem speziellen Hocker, rechts davor hockt eine zweite Frau

Blick in einen Be-­Up-­Gebärraum

G. Thiele, Spenge

 3.719 Teilnehmerinnen konnten für die Studie gewonnen werden. Alle wurden über den alternativ ausgestatteten Gebärraum aufgeklärt, zum Zeitpunkt der Geburt aber zufällig dem Be-Up-Raum oder einem klassischen Kreißsaal zugewiesen. Tatsächlich wurden im Be-Up-Raum rund 89 Prozent der Kinder vaginal geboren – eine deutliche Steigerung im Vergleich zur durchschnittlichen Rate vaginaler Geburten in den 22 teilnehmenden Kliniken, die bei 74 Prozent lag. „Auch konnten wir einen signifikanten Zusammenhang zwischen den mütterlichen Körperpositionen während der Wehen und dem Empfinden von Selbstbestimmtheit bei den Frauen nachweisen“, erklärt Ayerle. „Ein erhöhtes Risiko bestand durch diese alternative Gebärumgebung in der Klinik nicht.“

Positiver Effekt auch auf die Kontrollgruppe

Überraschend waren jedoch die Ergebnisse der Kontrollgruppe, die in klassischer Umgebung geboren hatte: Auch in dieser nach dem Zufallsprinzip ausgewählten Gruppe ging die Kaiserschnittrate deutlich zurück und der Anteil an natürlichen Geburten lag mit 88,5 Prozent ebenfalls deutlich höher als im Durchschnitt. Diese Ergebnisse wurden im Team um Hebammenwissenschaftlerin Ayerle intensiv diskutiert und als wichtiger Beitrag zur Reflexion geburtshilflicher Tätigkeit gesehen: Lag es an der Vorbereitung der Schwangeren durch Informationsmaterial zur Studie? Wurde im Kreißsaal anders vorgegangen? „Unsere Studienergebnisse zeigen, dass der Gebärraum keinen unabhängigen Effekt auf die Rate vaginaler Geburten hat, sondern dass die Motivation zu einer vaginalen Geburt aufseiten der Frauen und des Personals eine wichtige Rolle spielt“, fasst Ayerle zusammen. Die Forschenden empfehlen daher, in geburtshilflichen Kliniken einen Be-Up-Raum als Möglichkeit für die Gebärenden einzurichten. Entscheidend scheinen jedoch Aufklärung und Motivation von begleitenden Hebammen, Ärztinnen und Ärzten sowie den Schwangeren selbst zu sein, um Kaiserschnitte zu vermeiden und eine Geburt selbstbestimmt zu erleben.

Originalpublikationen:
Ayerle, G. M., Mattern, E., Striebich, S., Oganowski, T., Ocker, R., Haastert, B. et al. (2023). Effect of alternatively designed hospital birthing rooms on the rate of vaginal births: Multicentre randomised controlled trial Be-Up. Women Birth 2023; 17:S1871-5192(23)00041-0. DOI: 10.1016/j.wombi.2023.02.009

Ayerle, G. M., Mattern, E., Oganowski, T., Schäfers, R., Striebich, S. (2021). Evidenzbasierte Gebärumgebung: die Be-Up-Studie [Evidence-based birth environment: the Be-Up study]. Public Health Forum. 2021;
29(2):81−84. DOI: 10.1515/pubhef-2021-0002

Ayerle, G. M., Schäfers, R., Mattern, E., Striebich, S., Haastert, B., Vomhof, M., Icks, A., Ronniger, Y., Seliger, G. (2018). Effects of the birthing room environment on vaginal births and client-centred outcomes for women at term planning a vaginal birth: BE-UP, a multicentre randomised controlled trial. Trials 2018; 19:641. DOI: 10.1186/s13063-018-2979-7

Ansprechpartnerin:
Elke Mattern, M. Sc.
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaften
Medizinische Fakultät
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Magdeburger Straße 8
06112 Halle (Saale)
E-Mail: elke.mattern@uk-halle.deundefined