Januar 2022

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Familien helfen, Kinder schützen – frühe Prävention wirkt

Damit Kinder sich gesund entwickeln können, müssen sie vor Gewalt und Vernachlässigung geschützt werden. Eine Langzeitstudie weist nach, dass gefährdete Familien von frühzeitiger Unterstützung durch Hausbesuche profitieren.

Zwei Frauenhände halten zwei Kinderhände

Gute Elternschaft hängt nicht nur von den persönlichen Voraussetzungen ab. Sind die äußeren Umstände ungünstig, ist es für Familien wichtig, frühzeitig Unterstützung zu bekommen.

fizkes/Adobe Stock

Frühe Hilfen für Familien wirken sich auch mehrere Jahre später noch positiv aus, wie eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie zum Präventionsprogramm „Pro Kind“ zeigte. Im Rahmen dieser Unterstützungsmaßnahme werden sozial benachteiligte Familien ab der 12. Schwangerschaftswoche bis zum zweiten Geburtstag des Kindes regelmäßig von speziell geschulten Hebammen oder Sozialpädagoginnen besucht. In einem Zwischenergebnis des noch bis zum Jahr 2023 geförderten Forschungsverbundes konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass diese frühe Prävention auch dann noch positive Auswirkungen zeigt, wenn die Kinder sieben bis acht Jahre alt sind – und damit fünf bis sechs Jahre nach Ende der Maßnahme. Projektpartner sind Professor Dr. Sören Kliem von der Ernst-Abbe-Hochschule Jena, Dr. Malte Sandner vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Dr. Tilman Brand vom Leibniz-Institut für Präventionsforschung und Epidemiologie.

Familien brauchen einen Rückhalt gegen Überforderung

„Eltern wollen in der Regel nur das Beste für ihre Kinder. Misshandlung und Vernachlässigung entstehen meist nicht aus Böswilligkeit, sondern aus Überforderung und mangelnder Unterstützung“, sagt Verbundkoordinator Kliem. Ungünstige äußere Umstände – beispielsweise Armut – können zu dieser Überforderung beitragen und schwerwiegende Folgen für die psychische wie körperliche Entwicklung von Kindern, ihre soziale Teilhabe sowie ihre Bildungschancen haben. „Hier machen frühe Hilfen einen Unterschied, denn sie bieten von Anfang an einen wichtigen Rückhalt für betroffene Familien“, so Kliem.

Die Teilnahme am „Pro Kind“-Programm ist freiwillig. Zum Studienbeginn nahmen 755 Frauen, die noch kein Kind geboren hatten, am Modellprojekt teil. Bei der Zwischenevaluation zeigte sich nun, dass Teilnehmerinnen, bei denen Hausbesuche stattgefunden hatten, im siebten Lebensjahr ihres Kindes weniger psychische Probleme hatten und zufriedener mit ihrem Leben waren als Mütter einer Kontrollgruppe. Zudem berichteten die Mütter der ersten Gruppe deutlich seltener von elterlicher Gewalt, kindlichen Verhaltensauffälligkeiten und emotionalen Problemen. Analysen hinsichtlich des Geschlechts des Kindes zeigten größere Effekte für Jungen und Mütter von Jungen. Die Evaluation der „Pro Kind“-Maßnahme ist noch nicht abgeschlossen. In einem nächsten Schritt werden nun 14- bis 15-jährige Jugendliche und ihre Mütter befragt, um nachzuforschen, ob sich der positive Einfluss von „Pro Kind“ auch noch länger nachweisen lässt.

Hilfe, die schon vor der Geburt beginnt

„Pro Kind“ ist ein Primärpräventionsprogramm für sozial benachteiligte Familien, das von 2006 bis 2012 im Rahmen eines Modellprojekts in den drei Bundesländern Bremen, Niedersachsen und Sachsen eingeführt wurde und seitdem wissenschaftlich begleitet wird. Das Programm basiert auf der Präventionsmaßnahme „Nurse Family Partnership“, die in den USA etabliert ist. Alle an „Pro Kind“ teilnehmenden Familien befanden sich in einer finanziellen Belastungssituation (Bezugsberechtigung von Arbeitslosengeld II oder Überschuldung) und wiesen zudem noch mindestens einen sozialen oder persönlichen Risikofaktor auf (z. B. Minderjährigkeit, kein Schulabschluss, eigene Misshandlungs- oder Vernachlässigungserfahrung). Das Programm setzt bereits während der Schwangerschaft ein. Speziell geschulte Hebammen oder Sozialpädagoginnen begleiten die Familien bis zum zweiten Geburtstag des Kindes mit dem Ziel, gesundheitsschädigende Verhaltensweisen der Mutter während der Schwangerschaft zu vermindern und eine positive kindliche Entwicklung zu fördern. Zudem wird darauf hingewirkt, Familien durch den Aufbau von Netzwerken zu stärken und ihnen Wege zur finanziellen Eigenständigkeit aufzuzeigen. Mittlerweile wurde das „Pro Kind“-Programm in mehreren Kommunen in Deutschland in die Regelversorgung aufgenommen.

Leid verhindern, das Gesundheitssystem langfristig entlasten

Aus wissenschaftlicher Sicht entstehen mit der Studie einzigartige Datensätze, mit denen sich relevante Fragestellungen der Präventionsforschung beantworten lassen. Die positiven Ergebnisse deuten nach Ansicht von Kliem außerdem schon heute darauf hin, dass eine weitreichende Einführung solcher Frühförderprogramme nicht nur persönliches Leid verhindern, sondern auch zu hohen Einsparungen im Gesundheitsbereich beitragen könnte. „Eine frühe und nachhaltige Unterstützung von in Armut lebenden Familien sollte als eine sinnvolle und nachhaltige Investition öffentlicher Gelder verstanden werden“, fasst er zusammen.

Originalpublikation:
S. Kliem, M. Sandner: Prenatal and Infancy Home Visiting in Germany: 7-Year Outcomes of a Randomized Trial, Pediatrics August 2021, 148 (2) e2020049610; DOI: 10.1542/peds.2020-049610

Evidenzbasierung und Transfer in der Präventionsforschung

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert den Verbund „Auswirkungen des ,Pro Kind‘ in der Adoleszenz“ von 2020 bis 2023 mit rund 900.000 Euro im Rahmen der Fördermaßnahme „Evidenzbasierung und Transfer in der Präventionsforschung“.

Weitere Informationen finden Sie hier.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Sören Kliem
Ernst-Abbe-Hochschule Jena
University of Applied Sciences
Fachbereich Sozialwesen
Carl-Zeiss-Promenade 2
07745 Jena
Soeren.Kliem@eah-jena.de