Dezember 2015

| Newsletter 76

Warum die Grippe-Impfung bei alten Menschen oft nicht wirkt

Das Robert-Koch-Institut empfiehlt vor allem älteren Menschen, sich gegen Influenza-Viren impfen zu lassen. Doch gerade bei über 60-Jährigen ist die Schutzwirkung der Impfung häufig schlechter. Eine Forschungsgruppe aus Berlin hat herausgefunden, warum das so ist.

Älteren Menschen wird dringend empfohlen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Denn sie zählen zu den Risikogruppen für einen schweren Verlauf der Infektion. Doch gerade bei den über 60-Jährigen wirkt die Impfung häufig schlechter.

Älteren Menschen wird dringend empfohlen, sich gegen Grippe impfen zu lassen. Denn sie zählen zu den Risikogruppen für einen schweren Verlauf der Infektion. Doch gerade bei den über 60-Jährigen wirkt die Impfung häufig schlechter.

Image Point Fr_shutterstock

Schüttelfrost, hohes Fieber, Gliederschmerzen – das können Symptome für eine Grippe sein. Im Gegensatz zur normalen Erkältung ist die Grippe eine ernst zu nehmende Erkrankung, die auch einen schweren Verlauf nehmen und sogar tödlich enden kann. Besonders gefährdet sind unter anderem chronisch Kranke, Schwangere und ältere Menschen. Das Robert-Koch-Institut rät diesen Risikogruppen daher dringend, sich impfen zu lassen. Die Grippe-Impfung ist eine aktive Impfung. Der Impfstoff enthält nämlich abgetötete Erreger oder auch nur Bruchstücke, die selbst keine ernsthafte Erkrankung mehr verursachen können. Sie aktivieren aber das Immunsystem der geimpften Personen, sodass Geimpfte im Falle einer tatsächlichen Infektion geschützt sind. „Doch bei mindestens einem Drittel der über 60-Jährigen wirkt diese aktive Grippe-Impfung nicht oder nicht ausreichend gut“, erklärt Professor Dr. Andreas Thiel vom Berlin-Brandenburger Centrum für Regenerative Therapien in Berlin. Für andere Impfungen konnten ähnliche Effekte beobachtet werden.

Mit zunehmendem Alter verändert sich auch das Immunsystem, es arbeitet weniger effektiv. Ein Berliner Forschungsteam unter Leitung von Andreas Thiel hat untersucht, welche Mechanismen hinter der Alterung des Immunsystems stecken und warum die Immunantwort beim Eindringen von Krankheitserregern verringert ist. „Wir wollen mit unserer Forschung dazu beitragen, Therapien und Impfungen für ältere Menschen zu verbessern“, sagt Thiel. „Unser langfristiges Ziel ist es, ein älteres, schwaches Immunsystem wieder so fit zu machen, dass es wie ein junges Immunsystem funktioniert.“

Zahl der Abwehrzellen nimmt im Alter ab

Über ein Jahr lang haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Blutproben von 50 jüngeren und älteren Menschen vor und dann regelmäßig nach der Grippe-Impfung entnommen und miteinander verglichen. Dabei sind große Datenmengen entstanden, die das Forschungsteam mit modernen molekularbiologischen Methoden analysiert hat. „Wir haben in-zwischen mehrere Faktoren identifiziert, die mit der Schwächung des Immunsystems im Alter zusammenhängen“, sagt Thiel.

Eine entscheidende Rolle spielen die sogenannten T-Zellen, die bei der Immunantwort verschiedene Aufgaben übernehmen. Diese Abwehrzellen werden im Thymus hergestellt, einem Organ oberhalb des Herzens. Der Thymus bildet sich nach der Pubertät kontinuierlich zurück“, erklärt Thiel. „Im gleichen Maße nimmt auch die Menge der im Thymus gebildeten Abwehrzellen im Laufe des Alterns natürlicherweise ab. Das könnte ein Grund sein, warum das Immunsystem bei älteren Personen nicht mehr angemessen auf die Impfung reagieren kann.“ Diese Theorie konnte auch in weiteren Studien mit anderen Impfstoffen bestätigt werden.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts Primage werten große Datenmengen aus, um die biologischen Vorgänge zu verstehen, die das Immunsystem altern lassen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Projekts Primage werten große Datenmengen aus, um die biologischen Vorgänge zu verstehen, die das Immunsystem altern lassen.

Peer Schröder/BCRT Berlin

Individualisierte Therapie ermöglichen

Die Forschungsergebnisse von Thiels Team können auch für die Therapiewahl etwa bei der Behandlung von Krebs relevant sein. Moderne Therapieformen setzen hier vielfach auf die Aktivierung des Immunsystems. „Bei älteren Menschen könnte eine solche Behandlung jedoch nicht anschlagen, da ihr Immunsystem zu alt und damit geschwächt ist“, sagt Thiel. Hier könnten die Vorhersagen der Forscherinnen und Forscher bestimmten Patientengruppen eine aussichtslose Therapie und damit unnötige Risiken und Nebenwirkungen  ersparen. „In der Regel stehen mehrere Therapiemöglichkeiten zur Verfügung. Und gerade bei Schwerkranken ist es wichtig, keine Zeit zu verlieren“, so Thiel.

Neben der richtigen Therapiewahl könnten diese Immunsystemanalysen künftig auch dazu beitragen, dass neue Wirkstoffe schneller bei den Patientinnen und Patienten ankommen. Ein neues Medikament wird in klinischen Studien zunächst an einer repräsentativen Anzahl von Erkrankten getestet. „Wenn hier Patientinnen und Patienten ausgewählt werden, die aufgrund ihres schwachen Immunsystems gar nicht erst auf die Behandlung reagieren können, kann das die Studienergebnisse stark beeinträchtigen“, sagt Thiel. „Ein möglicherweise wirksames Medikament bekommt keine Zulassung und wird somit einer passenden Patientengruppe vorenthalten.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Andreas Thiel
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Berlin-Brandenburger Centrum
für Regenerative Therapien
Augustenburger Platz 1
13353 Berlin
030 450 539-555
030 450 539-955
andreas.thiel@charite.de