September 2017

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Adipositas-Therapie: Weniger Lust auf Fett durch neue Medikamente?

Forschende entdeckten einen Mechanismus, mit dem der Darm unseren Appetit auf Fettiges reguliert. Hier ansetzende Medikamente könnten Menschen mit Adipositas helfen, sich gesundheitsfördernd zu ernähren.

Nach einer Magenbypass-Operation werden adipöse Patientinnen und Patienten schneller satt und verdauen nur einen Teil der aufgenommenen Nahrung. Das reduziert ihr Körpergewicht dauerhaft. Die Operation hat auch einen überraschenden qualitativen Effekt auf das Essverhalten: Nach dem Eingriff bevorzugen Patientinnen und Patienten fettarme, gesündere Lebensmittel. Die Erklärung für dieses Phänomen fanden nun Forschende am Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum (IFB) „AdipositasErkrankungen“ der Universitätsmedizin Leipzig. In einem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt zeigte Dr. Wiebke Kristin Fenske mit ihrer Nachwuchsgruppe, dass der Magenbypass einen bei adipösen Menschen gestörten Signalweg vom Darm zum Gehirn positiv beeinflusst. Der Signalweg steuert den Appetit auf Fettiges und löst zugleich jene Zufriedenheit aus, die uns eine Mahlzeit beenden lässt. Die Erkenntnisse bieten neue Ansatzpunkte für medikamentöse Therapien, die bei adipösen Menschen ein gesundes Essverhalten fördern können.

Schematische Darstellung einer Magen-Bypass Operation

Schematische Darstellung der Magen-Bypass Operation

bilderzwerg/Fotolia

„Glückshormon“ lässt uns Mahlzeiten beenden

Zunächst etablierten Dr. Fenske und ihr Team die Roux-en-Y-Magenbypass-Operation (siehe Infokasten) im Kleintiermodell. Die Untersuchung von Ratten bestätigte die Beobachtungen aus der Klinik: Kurze Zeit nach dem Eingriff ändern die Nager ihre Nahrungspräferenz. Statt fettreicher Kost bevorzugen sie eine gesündere, fettarme Nahrung. Die Leipziger Forscherinnen und Forscher wiesen nach, dass die Gehirne der operierten Tiere nach einer Mahlzeit doppelt so viel Dopamin ausschütten wie die Kontrolltiere. „Die nahrungsabhängige Ausschüttung des auch als ‚Glückshormon‘ bekannten Neurotransmitters ist bei adipösen Menschen oft reduziert. Sie nehmen daher zu viel und zu fettreiche Nahrung zu sich. Das Tiermodell bestätigte unsere Hypothese, dass der Magenbypass die Dopamin-Ausschüttung im Gehirn wieder erhöht“, erläutert Dr. Fenske.

Porträt von Dr. Wiebke Kristin Fenske

Dr. Wiebke Kristin Fenske leitet die Nachwuchsgruppe „Neuroendokrine
Mechanismen“ am IFB „AdipositasErkrankungen“ in Leipzig.

Dr. Wiebke Kristin Fenske

Die Forschenden untersuchten auch die Produktion eines natürlichen Fettsensors im Darm der Tiere: Darmzellen produzieren bei jeder Mahlzeit Oleoylethanolamid, kurz OEA genannt. Je mehr Fett aufgenommen wird, desto mehr OEA entsteht. OEA bindet an einen Hormonrezeptor in den Darmzellen. Dr. Fenske und ihr Team zeigten, dass adipöse Ratten nur wenig OEA produzieren. Nach einer Bypass-Operation erzeugen die Tiere wieder deutlich mehr OEA – und das, obwohl sie weniger Fett als zuvor zu sich nehmen.

Verknüpfung von Grundlagenforschung und Patientenversorgung

Die Forschenden belegten bei den Bypass-Tieren einen Zusammenhang zwischen erhöhter OEA-Produktion im Darm, erhöhter Dopamin-Ausschüttung im Gehirn und der Bevorzugung fettarmer, gesunder Nahrung. Verhinderten sie die Bindung des Fettsensors OEA an seinen Hormonrezeptor, entwickelten die Bypass-Tiere erneut einen gesteigerten Appetit auf fettreiche Nahrung. Eine Blockade der Dopamin-Rezeptoren im Gehirn kehrte die Nahrungspräferenz der Tiere ebenfalls um – weg von einer fettarmen, zurück zu einer fettreichen, ungesunden Ernährung.

„Wir schlussfolgern aus diesen Ergebnissen, dass der Darm nach einer Magenbypass-Operation vermehrt OEA produziert. Das verstärkt die nahrungsabhängige Freisetzung von Dopamin im Gehirn, vermittelt ein gesünderes Essverhalten und begünstigt einen dauerhaften Gewichtsverlust.“

Magenbypass-Operation

Bei dieser operativen Therapie zur Gewichtsreduzierung werden der Magen kurz unterhalb des Mageneingangs und der Zwölffingerdarm ein Stück weit unterhalb des Magenausgangs durchtrennt. Danach werden der kleine Vormagen (Magen-Pouch) und der Rest des Zwölffingerdarms wieder miteinander verbunden. Die Nahrung umgeht so den direkt auf den Magen folgenden vorderen Abschnitt des Zwölffingerdarms, der Verdauungssäfte produziert. Dieser Darmbereich wird nun an den mittleren Teil des Zwölffingerdarms angeschlossen. Dadurch erreichen die Verdauungssäfte die Nahrung erst hier. Während der verkürzten Darmpassage der Nahrung wird nur ein Teil der Nahrungsbestandteile zerlegt und vom Körper aufgenommen.

Das Forschungsprojekt am IFB „AdipositasErkrankungen“ zeigt, wie eng Grundlagenforschung und Fortschritte in der Patientenversorgung miteinander verwoben sein können. Denn die Aufklärung der molekularen Details des Signalweges vom Darm zum Gehirn bietet neue Ansatzpunkte für innovative Therapien: „Wenn es uns gelingt, den Prozess der OEA-Produktion im Darm pharmakologisch zu beeinflussen, können wir ein gesundheitsförderndes Essverhalten adipöser Menschen begünstigen“, so Dr. Fenske.

Ansprechpartnerin:

PD Dr. Wiebke Kristin Fenske
IFB AdipositasErkrankungen
Medizinisches Forschungszentrum
Liebigstraße 21
04103 Leipzig
0341 97-13306
0341 97-15979
WiebkeKristin.Fenske@medizin.uni-leipzig.de
www.ifb-adipositas.de