Appetitzügler für Hirntumore - Neuer Angriffspunkt für zielgerichtete Therapien

Glioblastome sind aggressive Hirntumore, die schnell auch in das gesunde Hirngewebe hineinwuchern. Doch nicht alle Hirntumore sind gleich: Die einen wachsen langsam, die anderen sind besonders aggressiv und wuchern sehr schnell. Jetzt haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Nationalen Genomforschungsnetzes NGFN herausgefunden, was die Aggressivität der Hirntumore beeinflusst. Tatsache ist: Der Schlüssel liegt im „Essverhalten“ der Krebszellen. (Newsletter 65 / Dezember 2013)

NGFN-LogoBösartige Krebszellen vermehren sich schnell und wuchern in das gesunde Gewebe. Dazu brauchen die Krebszellen viel Energie. Zucker ist ihre wichtigste Energiequelle, aber auch Aminosäuren, die Bausteine von Eiweißen, sind dabei ihre „Nahrung“. Auch Glioblastomzellen gewinnen ihre Energie unter anderem aus Aminosäuren. Um drei wichtige Aminosäuren, Valin, Leucin und Isoleucin, abzubauen, brauchen die Zellen das Enzym BCAT1*). Dr. Bernhard Radlwimmer vom Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg und sein Team haben Hunderte Gewebeproben von Hirntumoren genetisch untersucht. Das Ergebnis: In Glioblastomen, die besonders aggressiv sind, ist das Gen für das Enzym BCAT1 äußerst aktiv. Blockierten die Forscherinnen und Forscher die BCAT1-Wirkung mit einem pharmakologischen Wirkstoff, verloren die Tumorzellen ihre Fähigkeit, in umgebendes gesundes Hirngewebe vorzudringen. Auch schütteten die so behandelten Tumorzellen weniger vom Botenstoff Glutamat aus. Eine hohe Glutamat-Ausscheidung ist für viele schwere neurologische Symptome wie etwa epileptische Anfälle verantwortlich, die bei Patientinnen und Patienten mit Glioblastom häufig auftreten. Doch nicht nur in der Petrischale, auch im lebenden Organismus hat BCAT1 einen Einfluss auf die Aggressivität der Krebszellen: Auf Mäuse übertragen, wuchsen Glioblastomzellen, deren BCAT1-Gen blockiert worden war, nicht mehr zu Tumoren aus.

Appetit auf Aminosäuren fördert Aggressivität

Bildquelle: Thinkstock Jedes Jahr lautet für fast 7.000 Menschen in Deutschland die Diagnose: „Sie haben einen Hirntumor.“ Eine übermäßige Aktivität von BCAT1 macht die Glioblastomzellen also besonders aggressiv. „Vereinfacht gesagt steht den Krebszellen durch das überaktive BCAT1 einfach mehr Energie zum Wachsen und Wuchern zur Verfügung“, erklärt Radlwimmer. „Schneiden wir ihnen die Aminosäuren als Energiequelle ab, zügeln wir also quasi ihren Appetit, sind sie deutlich weniger aggressiv.“

Die Ergebnisse der Heidelberger Forschungsgruppe passen gut mit der bisherigen Unterscheidung von Hirntumoren zusammen. Von langsam wachsenden astrozytären Hirntumoren ist bekannt, dass sie einen Defekt im Gen für das Enzym Isocitrat-Dehydrogenase, kurz IDH, tragen. Sehr schnell wachsende, besonders bösartige Gliobastome hingegen sind mit einem intakten IDH-Gen ausgestattet. Die Isocitrat-Dehydrogenase hat – ebenso wie BCAT1 – eine wichtige Funktion beim Abbau von Aminosäuren. Ist das IDH-Gen intakt, können die Tumore ungestört Aminosäuren als „Nahrung“ nutzen. Ist es defekt, fehlt ihnen diese Nahrungsquelle. „Die Untersuchung des IDH-Gens ist heutzutage ein wichtiger diagnostischer Test, um Glioblastome von anderen, langsamer wachsenden Hirntumoren zu unterscheiden“, so Radlwimmer. Die NGFN-Forscher fanden heraus, dass BCAT1 nur in Tumorzellen mit intakter IDH gebildet wird. Denn IDH stellt das Molekül .-Ketoglutarat her, auf das wiederum das Enzym BCAT1 angewiesen ist. „Die beiden Enzyme bilden anscheinend eine Art funktionelle Einheit beim Aminosäure-Abbau“, vermutet Radlwimmer.

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„Nahrung“ für den Tumor: eine verzweigtkettige Aminosäure im Modell.

Tumore verhungern lassen

Fazit: Offenbar steigert die Möglichkeit, sich Aminosäuren als „Nahrungsquelle“ zunutze zu machen, die Bösartigkeit der Krebszellen. „Die gute Nachricht daran ist“, fasst Radlwimmer zusammen, „dass wir mit BCAT1 ein weiteres Angriffsziel für zielgerichtete Therapien gefunden haben. Denn unterdrückt man BCAT1 und damit den Abbau der Aminosäuren, könnte der Tumor ausgehungert werden.“ In Zusammenarbeit mit einer Pharmafirma ist er bereits dabei, nach spezifischen Wirkstoffen gegen das Enzym zu suchen. Darüber hinaus wollen die Forscher prüfen, ob die BCAT1-Aktivität als zusätzlicher diagnostischer Marker für die Bösartigkeit eines Hirntumors taugt.


Aminosäuren – Bausteine des Lebens

Aminosäuren sind die Bausteine von Eiweißen (Proteinen). Die Aminosäuren Valin, Leucin und Isoleucin, an deren Abbau das Enzym BCAT1 beteiligt ist, nennt man verzweigtkettige Aminosäure. Der Grund: In ihrer molekularen Struktur kommt eine Verzweigung vor. Deshalb heißt das Enzym, das Radlwimmer und sein Team im Visier haben, auch BCAT1: BCA steht für branched-chain amino acid, also verzweigtkettige Aminosäure. Valin, Leucin und Isoleucin gehören zu den essenziellen Aminosäuren, das heißt, unser Körper kann sie nicht selbst herstellen. Essenzielle Aminosäuren müssen mit der Nahrung aufgenommen werden.

Ansprechpartner:
Dr. Bernhard Radlwimmer
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 42-4580
Fax: 06221 42-4639
E-Mail: b.radlwimmer@dkfz.de

 

*) BCAT1 steht für englisch: branched-chain amino acid transaminase 1.