Januar 2017

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Betazellen aus dem Labor

Millionen Diabetiker spritzen mehrmals täglich Insulin. Nach langjähriger Anwendung reicht diese Therapie mitunter nicht mehr aus. Daher wollen Forschende im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung die körpereigene Insulinproduktion wiederherstellen.

DZD

Menschen mit Typ-1-Diabetes leiden an einem Angriff von innen: Fehlgeleitete Immunzellen vernichten gezielt die Betazellen der Bauchspeicheldrüse, die das lebenswichtige Hormon Insulin herstellen. Wenn die körpereigene Produktion versiegt, muss die Substanz zeitlebens aus anderen Quellen bezogen werden. Derzeit versorgen sich die Betroffenen mit gentechnisch hergestelltem Insulin, das mittels einer Spritze oder Pumpe unter die Haut befördert wird. Seit ihrer Premiere 1922 – damals mit Hunde-Insulin – hat diese Form der Behandlung Millionen Leben gerettet. „Doch wir sind auch fast 100 Jahre später noch nicht in der Lage, mit konventioneller Insulintherapie eine normale Regulation des Blutzuckerspiegels sicherzustellen“, sagt Dr. Barbara Ludwig. Deshalb sucht die Ärztin zusammen mit ihren Kolleginnen und Kollegen am Paul Langerhans Institut Dresden (PLID), einem von fünf Partnerstandorten des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung (DZD), nach neuartigen Behandlungsformen. Künftig soll Insulin nicht mehr von außen zugeführt, sondern wieder direkt im Körper gebildet werden.

Transplantation von Bauchspeicheldrüsen

Dieses Ziel lässt sich auf verschiedenen Wegen erreichen. Einer davon ist die Transplantation der Bauchspeicheldrüse, die das Insulin produziert. Dabei erhalten die Betroffenen von einer geeigneten Spenderperson das komplette Organ – meist zusammen mit einer neuen Niere, da Nierenerkrankungen eine Folgeerkrankung bei Diabetes sein können. Wie wirksam diese Therapie ist, belegt eine Studie an mehr als 12.000 an Typ-1-Diabetes-Erkrankten: Von denjenigen, die vergeblich auf Spenderorgane gehofft hatten, waren nach einer vierjähriger Wartezeit nur noch 46 Prozent am Leben; bei den erfolgreich Transplantierten dagegen 91 Prozent. „Für einen Patienten mit Typ-1-Diabetes und einem drohenden oder bereits bestehenden Nierenversagen ist das eine lebensrettende Therapie“, betont Ludwig. Allerdings kann sie nicht bei allen Patienten durchgeführt werden, so die Ärztin: „Für ältere Patienten und Menschen mit zusätzlichen Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems kommt auch eine Transplantation der Inselzellen aus der Bauchspeicheldrüse infrage.“

Für eine Transplantation werden in einem aufwendigen Prozess aus der gesunden Bauchspeicheldrüse eines Spenders die hormonproduzierenden Inselzellen herausgelöst.

Für eine Transplantation werden in einem aufwendigen Prozess aus der gesunden Bauchspeicheldrüse eines Spenders die hormonproduzierenden Inselzellen herausgelöst.

PLID

In Deutschland ist das Dresdener Universitätsklinikum – ebenfalls ein Partner des DZD – derzeit die einzige Einrichtung, die Inselzellen transplantieren kann und darf. Dabei arbeiten Expertinnen und Experten aus der Diabetologie, Gefäßchirurgie und Grundlagenforschung Hand in Hand. Der erste Schritt geschieht in Barbara Ludwigs Labor am PLID: In einem aufwendigen Prozess werden aus der gesunden Bauchspeicheldrüse eines Spenders nur die hormonproduzierenden Inselzellen herausgelöst; dazu zählen neben den Betazellen noch weitere mit der Zuckerregulation befasste Zelltypen. Zusammen bilden sie Klumpen aus bis zu 1.500 Zellen, die wie Inseln im umgebenden Gewebe liegen – daraus leitet sich der Begriff Inselzellen ab. Im Körper des Empfängers gelangen die isolierten und gereinigten Inselzellen durch einen kleinen Bauchschnitt über die große Lebervene in die Leber. In diesem gut durchbluteten Organ können sie sich – anders als in der stark geschädigten und vernarbten Bauchspeicheldrüse – ansiedeln und die Insulinproduktion aufnehmen.

Eine Inseltransplantation erfordert eine weniger belastende Operation als die Übertragung einer kompletten Bauchspeicheldrüse. Doch in beiden Fällen müssen die Betroffenen zeitlebens Medikamente zur Unterdrückung ihres Immunsystems einnehmen; andernfalls würde dieses das fremde Spendergewebe angreifen und vernichten. Die Schwächung des körpereigenen Abwehrsystems bringt jedoch eine erhöhte Anfälligkeit für Infektionen und andere Krankheiten mit sich. Daher müssen Nutzen und Risiken einer Bauchspeicheldrüsen- oder Inseltransplantation gründlich abgewogen werden – zumal beide Verfahren keine dauerhafte Unabhängigkeit von zusätzlichen Insulingaben garantieren können. Ein weiterer Hemmschuh für einen breiten Einsatz dieser Diabetes-Behandlung ist die in Deutschland vergleichsweise geringe Bereitschaft zur Organspende.

„Bioreaktor“ produziert Insulin

Deswegen arbeiten DZD-Forscher an weiteren Alternativen. Anstelle eines Spenderorgans könnte künftig eine handtellergroße Plastikkapsel im Körper von Diabetes-Patientinnen und -Patienten die Rolle der Bauchspeicheldrüse übernehmen. „Bioreaktor“ nennt Professor Dr. Stefan Bornstein das künstliche Mini-Organ, das sein Team am Dresdner Uniklinikum zusammen mit dem israelischen Biotech-Unternehmen Beta O2 entwickelt und – auch mit Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) – für den Einsatz an Patienten optimiert hat. Es enthält menschliche Inselzellen, die den Blutzuckerspiegel messen und Insulin produzieren können. Sie sind mit einer speziellen Teflonmembran umgeben, die Hormone und Nährstoffe ungehindert passieren lässt, jedoch den Kontakt zu den körpereigenen Immunzellen unterbindet. Auf Medikamente zur Unterdrückung des Immunsystems kann also verzichtet werden.

Das Kunstorgan wird direkt unter die Bauchdecke gepflanzt und über einen Port mit Sauerstoff versorgt. Es hat sich bereits bewährt: Nach jahrelangen Vorversuchen an Tieren wurde die Kapsel am Universitätsklinikum einem 63-jährigen Patienten transplantiert, der seit seinem neunten Lebensjahr unter Typ-1-Diabetes leidet. Zehn Monate lang arbeiteten die Spenderzellen wie gewünscht; der Patient musste weniger Insulin spritzen, sein Blutzuckerspiegel war sehr stabil, und sein Immunsystem verhielt sich ruhig. Obwohl das Transplantat nach wie vor funktionstüchtig war, wurde es im Rahmen der Studie planmäßig wieder entfernt. So konnten die Forschenden überprüfen, ob die Inselzellen noch am Leben und funktionsfähig waren. Das waren sie.

Die Ergebnisse sind ein erster wichtiger Erfolg, jedoch muss das System seine Funktionsfähigkeit später auch über einen längeren Zeitraum unter Beweis stellen. Am Dresdener Klinikum und am Londoner King’s College soll der Bioreaktor im Rahmen klinischer Studien weiter getestet werden. Die verwendeten Inselzellen stammen aus menschlichen Spenderorganen.

Betazellen von Schweinen

Forscherinnen und Forscher des PLID experimentieren darüber hinaus mit tierischen Inselzellen. Die Idee liegt nahe, wurden doch über Jahrzehnte Patientinnen und Patienten mit Schweine-Insulin versorgt. Abgeschirmt durch die Teflonmembran könnten die tierischen Zellen im Bioreaktor Insulin liefern, ohne das Immunsystem der Betroffenen auf den Plan zu rufen. „Falls sich dieser Ansatz in der Praxis bewähren sollte, wären wir nicht mehr auf die raren Organspenden angewiesen“, betont Ludwig. Die Hürden für eine Xenotransplantation – so nennt man die Übertragung tierischer Organe – sind hoch. Wer diese Therapieform vorantreiben will, muss strenge Sicherheitsauflagen seitens der nationalen und internationalen Gesundheitsbehörden erfüllen. So will man das Risiko eindämmen, dass mit dem artfremden Gewebe neue Krankheitserreger in den Körper der Empfängerinnen und Empfänger gelangen.

Stammzellen reifen zu Betazellen

Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse sind nicht alle gleich: Während Zellen, die das Molekül Flattop aufweisen (grün), sich um die Insulinproduktion kümmern, bilden Zellen ohne Flattop (rot) einen teilungsfähigen Reservepool.

Die Betazellen der Bauchspeicheldrüse sind nicht alle gleich: Während Zellen, die das Molekül Flattop aufweisen (grün), sich um die Insulinproduktion kümmern, bilden Zellen ohne Flattop (rot) einen teilungsfähigen Reservepool.

Helmholtz Zentrum München

Eine Alternative stellen menschliche Stammzellen dar: Sie können in der Kulturschale zu Betazellen heranreifen und, ähnlich wie aus Spenderorganen gewonnene Inselzellen, direkt im Körper von Diabetes-Kranken Insulin ausschütten. An dieser Option wird derzeit weltweit in zahlreichen Forschungseinrichtungen mit Hochdruck gearbeitet – so auch beim DZD-Partner Helmholtz Zentrum München. Professor Dr. Heiko Lickert, Direktor des Instituts für Diabetes- und Regenerationsforschung, ist seinem Ziel recht nahe: „In der Kulturschale bringen wir die Stammzellen schon dazu, sich in Betazellen zu verwandeln. Zusammen mit dem Team von Frau Ludwig wollen wir sie nun in den Bioreaktor integrieren.“

Stille Reserve stimulieren

Parallel zur Forschung an Stammzellen verfolgt der Münchner einen weiteren Ansatz. Er will die Selbstheilungskräfte in der Speicheldrüse von Zuckerkranken mobilisieren und sie zur Neubildung leistungsfähiger Betazellen anregen. Die kühne Vision speist sich aus der Tatsache, dass es zwei Typen von Betazellen gibt: Während die einen Insulin produzieren, sind die anderen nicht aktiv und bilden eine Art stille Reserve. Lickerts Arbeitsgruppe ist es gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Technischen Universität München und des Deutschen Zentrums für Diabetesforschung nun erstmals gelungen, die beiden Zelltypen zu unterscheiden – mithilfe eines Eiweißmarkers namens Flattop.

Die methodischen Details dieser aufwendigen Laborarbeiten konnte das Forschungsteam kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift nature veröffentlichen. „Mit dem Marker können wir jetzt endlich die Stoffwechsel- und Entwicklungsprozesse untersuchen, die diese unterschiedlichen Zelltypen kennzeichnen“, erklärt DZD-Forscher Lickert. Mit diesem Wissen, so hofft der Wissenschaftler, könnte man die Reifung der Vorläuferzellen in insulinproduzierende Betazellen stimulieren – zunächst in der Petrischale und einst womöglich im Körper von Diabetes-Patienten. Von dieser Hilfe zur Selbsthilfe könnten neben Menschen mit Typ-I-Diabetes auch die weitaus größere Gruppe von Typ-II-Diabetikern profitieren: Dann wären sie nicht länger auf Spritze, Pumpe oder fremde Zellen angewiesen.

Hier finden Sie im Internet einen kurzen Film zur Funktionsweise des Bioreaktor, der zur Produktion von Insulin genutzt wird:

Ansprechpartner: 
Prof. Dr. Heiko Lickert
Institut für Diabetes- und Regenerationsforschung
Helmholtz Zentrum München
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
089 3187-3867
089 3187-2060
heiko.lickert@helmholtz-muenchen.de

Prof. Dr. Michele Solimena
DZD – Paul Langerhans Institut Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
0351 796-36612
0351 796-36698

Dr. Barbara Ludwig
DZD – Paul Langerhans Institut Dresden
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
Barbara.Ludwig@uniklinikum-dresden.de

Pressekontakt:
Birgit Niesing
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Zentrum für Diabetesforschung e. V. (DZD)
Ingolstädter Landstraße 1
85764 Neuherberg
089 3187-3971
niesing@dzd-ev.de
www.dzd-ev.de