Medikamente per Drohne, Roboter am Pflegebett, Herzdaten in Echtzeit auf dem Handy: Smarte Technik kann helfen, pflegebedürftige Menschen bestmöglich zu versorgen. Im Projekt Care:ecoHUB wird untersucht, wie sich die neuen Helfer im Alltag bewähren.
Der Einkaufshelfer der Zukunft? Der „Tiago“ kann Sprache, Objekte, Gesichter und Positionen erkennen und wird als Service- oder sozialer Roboter eingesetzt.
UMH, Carolin Krekow
Sachsen-Anhalt, zentral in der Mitte Deutschlands gelegen, ist bekannt für Kunst, Kultur – und Braunkohletagebau. Nun werden die Bagger bald endgültig stillstehen, denn Deutschland hat den Ausstieg aus der Kohleverstromung bis zum Jahr 2038 beschlossen. Doch von der Region, in der sich Tagebaurestlöcher heute langsam in eine Seenlandschaft verwandeln, könnte bald neue Energie ausgehen: Mit Geldern aus dem Strukturstärkungsgesetz Kohleregionen wird im südlichen Sachsen-Anhalt die „Innovationsregion für die digitale Transformation von Pflege und Gesundheit“ (TPG) entstehen. Basis ist eine Fördermaßnahme des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR), Ziel ist die Verbesserung der Gesundheitsversorgung in ländlichen Regionen durch innovative digitale Technologien. In der Region entwickelte und erprobte innovative Technik soll in Zukunft pflegebedürftige Menschen unterstützen, damit diese länger in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Sie soll Pflegenden bei Routinearbeiten helfen, sodass diese wieder mehr Zeit für individuelle und zugewandte Versorgung haben. Und schließlich könnte das auf bis zu neun Jahre angelegte und mit rund 140 Millionen Euro geförderte Projekt in der Region neue Arbeitsplätze in Forschung und Entwicklung schaffen.
„Digitale Gesundheitsanwendungen haben ein hohes Potenzial, die Teilhabe und Autonomie der Patientinnen und Patienten zu verbessern und Pflegebedürftigkeit zu verhindern oder zu verringern. Allerdings gibt es kaum wissenschaftliche Daten dazu, welche Technologien für wen sinnvoll sind, wie man diese in der Praxis einsetzen kann und was notwendig ist, damit die Menschen digitale Helfer auch wirklich in ihrem Alltag nutzen“, so der Leiter der TPG, Professor Dr. Patrick Jahn von der Universität Halle. Hier setzt der Care:ecoHUB an, der als digitaler Knotenpunkt der TPG Pflegedaten aus den Landkreisen erfassen, harmonisieren und für die Forschung sowie Entwicklung neuer Technologien im Bereich Pflege zugänglich machen wird. Im Projekt arbeiten Forscherinnen und Forscher der Universität in Halle und das Datenintegrationszentrum am Universitätsklinikum Halle eng zusammen.
Wissenschaftlicher Leiter der TPG – Innovationsregion für digitale Transformation der Pflege und Gesundheitsversorgung; Universität Halle-Wittenberg
„Die TPG ist das deutschland-, vielleicht sogar europaweit größte Entwicklungsnetzwerk im Bereich der Pflege – und der Care:ecoHUB ihr digitaler Knotenpunkt.“
Kerndaten: so viele wie nötig, so wenig wie möglich
Drei wichtige Meilensteine wollen die Forschenden mit dem Care:ecoHUB erreichen: Es soll ein sogenannter Kerndatensatz entstehen, der in verschiedenen IT-Systemen nutzbar ist, internationalen Anforderungen genügt und erfasst, wie sich der Einsatz von digitalen Assistenzsystemen wie beispielsweise Sturz-Sensoren auf die Pflegebedürftigkeit der Patientinnen und Patienten auswirkt. „Aktuell wird Pflegebedürftigkeit noch sehr unterschiedlich erfasst“, so Professor Jahn. „Unser Ziel ist ein Datensatz, der mess- und vergleichbar ist und der ausreichend, aber nicht zu komplex ist. Wir brauchen einen guten Mittelweg zwischen wissenschaftlichen Anforderungen und praktischer Umsetzbarkeit ohne übermäßige Dokumentation.“ Eine Liste von 39 unterschiedlichen Angaben zur Erfassung eines Sturzes sei zwar wissenschaftlich exakt, beschreibt er als Beispiel, aber von einem häuslichen Pflegedienst in der Hektik des Alltags kaum zu bearbeiten.
Fortschritt findet im praktischen Alltag statt
Von der Akutversorgung im Krankenhaus über stationäre Altenpflege, ambulante Pflege, häusliche Pflege und der Arbeit in regionalen Gesundheitszentren – die Anforderungen an Pflege können sehr unterschiedlich sein, was Ort, Zeitpunkt und das begleitende Fachpersonal angeht. Für den wichtigen Praxisbezug sorgt für Jahn und sein Team die Zusammenarbeit mit fünf Einrichtungen aus Halle, Zeitz, Bitterfeld, Merseburg und Mansfeld, die sich als Pflegeentwicklungseinheiten bereit erklärt haben, eine digitale Transformation zur Verbesserung der Pflegepraxis mitzugehen.
Es gibt bereits eine Vielfalt von Unterstützungssystemen – doch jetzt müssen die smarten Helfer lernen, sich auch im pflegerischen Alltag zurechtzufinden. Der Care:ecoHUB hilft, mehr über das Miteinander von Mensch und Maschine zu lernen.
UMH, Carolin Krekow
„Es ist wichtig, die Einrichtungen in diesem Veränderungsprozess zu begleiten und exakt zu erfahren, wo sie Unterstützungsbedarf haben“, sagt Jahn. „Pflegeroboter gibt es bereits – faszinierende Systeme, die sich nur noch geringfügig unterscheiden, wie beispielsweise in der Beweglichkeit ihrer Hände. Aber wir können ihnen nur beibringen, das Richtige zu tun, wenn wir Rückmeldungen aus der Pflege haben, was im Alltag wirklich benötigt wird. Der größte Aufwand ist nicht die Erfindung, der größte Aufwand ist die Einführung dieser als Innovation zur Transformation des pflegerischen Alltags in der realen Welt.“ Um diesen zweiten wichtigen Aspekt angemessen begleiten zu können, sind die Forschenden mit jeweils einem Techniker und einer gesundheitswissenschaftlichen Fachkraft vor Ort in den Einrichtungen. Jahn sagt: „Wir möchten wahrgenommen werden als echte Ansprechpartner, die im Team integriert sind.“
Partizipation via App
Und schließlich ist ihm noch ein dritter Schwerpunkt sehr wichtig: „Unser Antrieb sind die Pflegebedürftigen selbst – für sie werden diese neuen Technologien zum Einsatz gebracht. Deshalb wollen und müssen wir sie auch in den Entwicklungsprozess von Anfang an einbeziehen.“ Um zu erfahren, wie sich ein System beispielsweise zur telemedizinischen Unterstützung im Alltag bewährt, wird deshalb im Care:ecoHUB gemeinsam mit Betroffenen und Angehörigen die DACA-App entwickelt. Die Abkürzung DACA steht für DIGITAL HEALTH ASSISTED CARE; die App unterstützt Anwenderinnen und Anwender im Umgang mit den neuen technischen Helfern – und sie gibt ihnen die Möglichkeit, ein Feedback zu geben, wie sich ein Assistenzsystem im Alltag bewährt. „Bei einem Rollator ist jedem sofort klar, wie er unterstützen kann. Bei digitalen Technologien ist das für manche Nutzerinnen und Nutzer gar nicht so eindeutig. Sie brauchen Transparenz und Unterstützung, um zu verstehen, wozu sie ein Gerät bekommen“, so Jahn.
Wie sich „Care“ und „eco“ verbinden
Vom Bergbau zu Hightech – kann das gelingen? Und wo sind die Stolpersteine? Um aus den Erfahrungen zu lernen, wird die Arbeit der TPG einer Zwischen- und einer Schlussevaluation unterzogen. Es wird erforscht, inwiefern das Infrastruktur-Projekt sich tatsächlich auf Patientinnen und Patienten, Gesundheitsdienstleister, die Gesundheitsforschung und die Ansiedlung und Förderung von Unternehmen im Bereich Health Care auswirkt. Über Workshops, wissenschaftliche Publikationen und digitale Formate sollen die Erkenntnisse verbreitet und möglichst auch in anderen Regionen deutschlandweit umgesetzt werden. Neben dem „Care“, dem Fürsorge-Aspekt im Namen des Teilprojektes Care:ecoHUB, wäre damit auch dem „eco“ im Namen genüge getan: „Es bringt ja nichts, wenn wir nur Daten erschließen und dann beobachten, was passiert. Wir wollen ein nachhaltiges Ökosystem aufbauen, in dem sich die Einrichtungen auf den Weg in die Zukunft machen, alle Beteiligten mitgenommen werden und sich positive Veränderungen auf die Praxis auswirken“, fasst Patrick Jahn zusammen.
Strukturwandel in Sachsen-Anhalt: Vom Braunkohlerevier zur Innovationsregion
Spätestens 2038 soll das letzte Kohlekraftwerk in Deutschland stillgelegt werden. Die Bundesregierung unterstützt den Strukturwandel in den ehemaligen Kohleregionen, indem sie die Wirtschaft stärkt, damit dort neue Arbeitsplätze geschaffen werden. In der ehemaligen Braunkohle-Region im südlichen Sachsen-Anhalt entsteht mit Förderung durch das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) die „Innovationsregion für die digitale Transformation von Pflege und Gesundheit“ (TPG). Projektstart war im November 2024. Bis 2033 können rund 140 Millionen Euro investiert werden, um digitale Lösungen für Pflege und Gesundheitsversorgung aufzubauen und die regionale Gesundheitsversorgung zu verbessern.
Der im Rahmen der TPG geförderte Care:ecoHUB ist eine zentrale Säule der TPG. Er wird Pflegeeinrichtungen aller Versorgungsformen von der Akutversorgung bis zur häuslichen Pflege verbinden. Vorbild für den Care:ecoHUB sind die vom BMFTR im Rahmen der Medizininformatik-Initiative (MII) erfolgreich geförderten sechs Digitalen FortschrittsHUBs, die bereits seit einigen Jahren in verschiedenen Regionen Deutschlands modellhafte Lösungen für den Transfer digitaler Innovationen in die regionale Versorgung entwickeln und in der Praxis optimieren.