Cholesterinsenker für bessere Therapie bei Multipler Sklerose

Die entzündungshemmende Wirkung von Statinen ausnutzen
Der Cholesterinsenker Atorvastatin kann möglicherweise Patienten mit Multipler Sklerose helfen. Im Tierversuch stoppte das Mittel eine der Multiplen Sklerose ähnliche Krankheit.

Ein Mittel gegen zu hohe Cholesterinwerte im Blut hilft Mäusen, die an der "chronisch experimentellen Autoimmunenzephalitis" leiden – einer der Multiplen Sklerose (MS) ähnlichen Krankheit. Professor Frauke Zipp und ihre Arbeitsgruppe am Neurowissenschaftlichen Forschungszentrum der Charité in Berlin konnten mit dem Wirkstoff Atorvastatin den Krankheitsverlauf stoppen. Die Forscher überprüfen jetzt in klinischen Studien, ob sich die guten Ergebnisse bei Menschen mit Multipler Sklerose bestätigen. "Zwei bis fünf Jahre wird es noch dauern, bis wir Genaues wissen", schätzt Zipp, Leiterin des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts. Immerhin wissen die Forscher bereits, dass Patienten Atorvastatin gut vertragen. Denn bei Menschen mit erhöhten Cholesterinwerten wird das Medikament schon lange eingesetzt, um das Risiko eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts zu senken.

Schutz vor Behinderungen
Die "chronisch experimentelle Autoimmunenzephalitis" zeigt einen sehr ähnlichen Verlauf wie die Multiple Sklerose und wird bei Mäusen künstlich ausgelöst. Bekommen Mäuse, die an der Krankheit leiden, Atorvastatin verabreicht, treten die typischen Krankheitssymptome wie Lähmungen der Gliedmaßen seltener und nur in abgeschwächter Form auf. Eine Dauertherapie verringert die Anzahl der Krankheitsschübe und schützt die Tiere vor zunehmender Behinderung."Atorvastatin verhindert Entzündungen des Nervensystems und schubförmig auftretende Symptome. Die Krankheit verläuft milder", erläutert Zipp. Diese Wirkung können die Forscher auch dann beobachten, wenn sie den Wirkstoff kurz nach Ausbruch der Krankheit geben, was der Situation von Patienten vergleichbar ist. Atorvastatin wirkt also vorbeugend, indem es das Fortschreiten der Erkrankung verhindert, und es hilft, wenn die Krankheit bereits länger besteht.

Statine für Herz und Hirn
Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen führte man die positiven Effekte von Statinen, der Gruppe von Medikamenten, zu denen Atorvastatin gehört, zunächst darauf zurück, dass sie die körpereigene Cholesterin-Produktion hemmen. Dadurch sinkt der Blutspiegel des Cholesterins. In den letzten Jahren mehrten sich aber die Hinweise, dass Statine darüber hinaus entzündungshemmend wirken. Damit wurde diese Substanzklasse interessant für die Behandlung der Multiplen Sklerose. Denn die Erkrankung beruht darauf, dass fehlgesteuerte Abwehrzellen des Immunsystems, die T-Lymphozyten, Entzündungen im Gehirn und Rückenmark auslösen. Normalerweise bekämpfen diese Abwehrzellen Bakterien und Viren, um den Körper vor Infektionen zu schützen. Bei der Multiplen Sklerose attackieren sie jedoch versehentlich körpereigene Strukturen, nämlich die Umhüllung von Nervenfasern in Gehirn und Rückenmark. Ist diese Hülle, die Myelinschicht, beschädigt, können sich Nervenimpulse nur noch langsam oder gar nicht mehr ausbreiten. Die Folgen sind verheerend: Es kommt unter anderem zu Sehstörungen, und die Patienten leiden unter Taubheits- und Kribbelgefühlen in den Extremitäten. Arme und Beine können vorübergehend oder dauerhaft gelähmt sein.

T-Zellen umprogrammieren
Zipp und ihre Mitarbeiter machten sich auf die Suche nach den molekularen Ursachen für die positive Wirkung des Cholesterinsenkers. Sie fanden heraus, dass Atorvastatin die Vermehrung der zerstörerischen T-Zellen hemmt. Dies konnte die Berliner Arbeitsgruppe auch für menschliche T-Zellen nachweisen. Außerdem programmiert das Medikament die Immunzellen um: anstatt entzündungsfördernder Botenstoffe setzen die fehlgesteuerten T-Zellen nun entzündungshemmende Botenstoffe frei. Zipp hofft, dass Atorvastatin aufgrund seines immunologischen Wirkmechanismus in Kombination mit anderen Medikamenten noch wirksamer sein könnte als wenn man es einzeln verabreicht. Zurzeit ist die Behandlung der Multiplen Sklerose oft unbefriedigend. Die Krankheit lässt sich nach wie vor nicht heilen und viele der eingesetzten Medikamente müssen gespritzt werden. Atorvastatin könnte die Therapieerfolge deutlich verbessern. Es hätte außerdem den Vorteil, dass es als Tablette vorliegt und den Patienten die lästigen Injektionen ersparen würde.

Ansprechpartnerin:
Professor Dr. Frauke Zipp
Institut für Neuroimmunologie
Klinische und Experimentelle
Neuroimmunologie
Universitätsklinikum Charité
Neurowissenschaftliches Zentrum
10098 Berlin
Tel.: 030/4 50-53 90 28
Fax: 030/4 50-53 99 06
E-Mail: frauke.zipp@charite.de