Deutsche Ärzte verordnen weniger Antibiotika als viele europäische Kollegen

Interview mit Professor Winfried Kern vom Universitätsklinikum Freiburg über das ESAC Projekt (European Surveillance of Antimicrobial Consumption Project)

Als Mitglied der ESAC Projektgruppe untersuchen Sie den Antibiotika-Verbrauch in Europa. Werden in Deutschland überdurchschnittlich viele Antibiotika verschrieben?
Nein. Deutschland liegt an drittletzter Stelle - nur die Niederländer und die Schweizer verbrauchen weniger Antibiotika. Das Verordnungsverhalten der niedergelassenen Ärzte in Deutschland scheint im europäischen Vergleich moderat. In den Krankenhäusern sieht es nicht so gut aus, hier werden Antibiotika häufiger eingesetzt.

Was sind die weiteren Ergebnisse?

Der Antibiotika-Konsum der europäischen Länder variiert sehr stark. Die Franzosen verordnen beispielsweise dreimal so häufig Antibiotika wie die Niederländer. Insgesamt ist der Verbrauch in Südeuropa höher als im Norden. Im Winterhalbjahr steigt der Konsum überall an, in den Ländern mit hohem Verbrauch - also im Süden - stärker als in den nordeuropäischen Staaten.

Wie erklären Sie die regionalen Unterschiede?
Viele Faktoren spielen eine Rolle. Wichtig ist zum Beispiel die Erwartungshaltung von Patienten und Ärzten. Ein Franzose verlangt sofort nach einem Antibiotikum, weil er schnellstmöglich wieder topfit sein will. In Deutschland hinterfragen viele Patienten kritisch, ob es denn wirklich sofort „Chemie“ sein muss, oder ob nicht ein sanfteres Mittel zunächst ausreicht.

Wie könnte der Antibiotika-Einsatz verbessert werden?
Der Vorrat an wirksamen antibiotischen Substanzen ist begrenzt. In den vergangenen Jahren sind kaum neue Präparate entwickelt worden, weil die Antibiotika-Forschung zu wenig profitabel ist. Die Wirkstoffe, über die wir verfügen, müssen wir intelligent einsetzen. Wichtig ist, die Ärzte regelmäßig über Resistenzen zu informieren und auch darüber, welche Antibiotika sie aktuell sinnvoll einsetzen sollten. Allerdings darf die ärztliche Fortbildung nicht wie bisher überwiegend industriegesponsert erfolgen.

Wer steht hinter dem ESAC Projekt?
Das ESAC Projekt untersucht den Antibiotika-Verbrauch in 32 europäischen Ländern und dessen Bedeutung für die Resistenzentwicklung. 60 Prozent der Gelder steuert die Europäische Kommission bei. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat durch seine finanzielle Unterstützung die Teilnahme unserer Arbeitsgruppe an dem internationalen Projekt ermöglicht.