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Interview

„Die Omikron-Welle wird sehr viele Menschen treffen“

Ralf Bartenschlager, Virologe und Krebsforscher am Universitätsklinikum Heidelberg und am Deutschen Krebsforschungszentrum. Bild: DKFZ

Was wissen wir über die neue Virusvariante Omikron? Ein Interview mit dem Virologen Ralf Bartenschlager vom Deutschen Krebsforschungszentrum in der Helmholtz-Gemeinschaft. Stand:22. Dezember 2021.

Herr Bartenschlager, bei uns nimmt die Zahl der Corona-Infektionen derzeit deutlich ab, während einige Nachbarländer bereits rasant steigende Zahlen melden, vor allem aufgrund von Omikron. Erwarten Sie eine solche Entwicklung auch für Deutschland?

Ja, leider werden die Fallzahlen auch bei uns aller Voraussicht nach dramatisch zunehmen. Ich rechne damit kurz nach Weihnachten. Die derzeit sinkenden Zahlen betreffen nur die Infektionen mit der Delta-Variante. Mit der Omikron-Variante aber werden die Raten bald wieder steil steigen, das zeigen Daten aus Ländern, wo sich die Variante bereits durchgesetzt hat: Dort liegt die Verdopplungszeit für Infektionen bei nur zwei bis drei Tage – ein enormer Wert.

Woran liegt das, warum verbreitet sich diese Variante so schnell?

Das Virus ist wirklich sehr ansteckend! Das galt schon für die bislang vorherrschende Variante Delta, nun scheint sich die Übertragbarkeit noch einmal deutlich gesteigert zu haben. Das ist selbst im Vergleich zu anderen sehr ansteckenden Viren, wie etwa den Erregern von Masern oder Windpocken, ein Spitzenwert. Hinzu kommt, dass Omikron auch den Impfschutz umgehen kann, zumindest teilweise. Deshalb infizieren sich nun auch Menschen, die bislang geschützt waren. Beide Faktoren zusammen – also die hohe Ansteckungsrate und die teilweise Umgehung der Immunantwort – machen Omikron so problematisch.

Sie befürchten eine zusätzliche Überlastung der Krankenhäuser?

Nicht nur das: Auch weitere sensible Bereiche könnten diesmal empfindlich getroffen werden. Denn die Omikron-Welle wird sehr viele Menschen treffen. Selbst bei einem milden Verlauf können diese Personen nicht arbeiten, weil sie sich in Quarantäne befinden. Das kann zu dramatischen Personalausfällen führen, etwa bei Polizei und Feuerwehr. Oder denken Sie an kritische Infrastrukturen wie die Elektrizitätswerke. Derartige Ausfälle müssen wir dringend verhindern, genauso wie die immer weitere Belastung der Krankenhäuser und deren Intensivstationen. Deshalb wird man um Kontaktbeschränkungen nicht herumkommen und genau das hat die Regierung ja auch beschlossen.

Das frustriert viele Menschen, die dachten, sie seien durch ihre Impfung sicher. Nun aber müssen sie feststellen, dass ihr Schutz gegen Omikron nicht mehr so wirksam ist wie ursprünglich erhofft.

Ja, das ist so, aber wir können die Natur nicht ändern. Allerdings sollte man folgendes bedenken: Es wird wohl schon so sein, dass der Schutz vor einer symptomatischen Infektion durch Omikron bei Zweifachgeimpften relativ niedrig ist, nach aktuellen Schätzungen nur 10 bis 20 Prozent. Aber nach dem Boostern stehen wir schon deutlich besser da: Dann ist man zu 50 bis 80 Prozent vor einer symptomatischen Infektion geschützt. Die dritte Impfung hilft also sehr deutlich; und der Schutz vor sehr schweren Verläufen wird ziemlich sicher noch höher sein. So sehr ich den Frust verstehe, er darf nicht zu dem Fehlschluss verleiten, die Impfungen seien überflüssig. Denn auch wenn Ungeimpfte einen Immunschutz aufbauen, wenn sie sich infizieren, tragen dabei aber ein viel höheres Risiko, schwer zu erkranken. Impfungen dagegen bauen die Abwehr schnell und sicher auf. Deshalb muss die Impf- und Boosterkampagne auch weiterhin mit größtmöglicher Geschwindigkeit voran getrieben werden. Wahr ist aber leider auch: Diese Kampagne kommt zu spät, um die aktuelle Omikron-Welle noch maßgeblich zu dämpfen. Deshalb sind Kontaktbeschränkungen in meinen Augen unumgänglich, auch für Geimpfte.

In manchen Ländern scheint Omikron zumindest zu weniger schweren Verläufen zu führen. Können wir darauf auch hoffen?

Dazu haben wir leider noch zu wenige Daten. Im Moment sieht es danach aus, dass die Variante zumindest keine stärkeren Verläufe auslöst. Doch mit belastbaren Zahlen darüber rechne ich hier bei uns erst im Laufe des Januars, weil Omikron in Deutschland gerade erst an Fahrt aufnimmt. Die ersten Hinweise dazu aus England und Dänemark, wo die Omikronwelle schon früher begonnen hat, deuten an, dass die klinischen Verläufe ähnlich wie bei Delta sind. Wie das bei uns sein wird, können wir in einigen Wochen anhand der Krankenhauseinweisungen abschätzen. Positiv ist aber, dass zumindest einige der neu entwickelten Medikamente auch gegen Infektionen mit Omikron zu wirken scheinen. Mit diesen Präparaten können wir Menschen, die bei einer Impfung nur eine schlechte Immunabwehr aufbauen können und auch häufig Vorerkrankungen haben schützen, wenn sie nur früh genug nach der Infektion behandelt werden.

Wie kommen wir aber längerfristig raus aus der Omikron-Welle?

Im Laufe des Frühlings werden vermutlich Impfstoffe zur Verfügung stehen, die an die Variante angepasst sind. Die ersten Dosen davon gehen natürlich zunächst an Risikopatienten. Aber die Produktion der neuen Vakzine lässt sich erstaunlich schnell hochfahren. Zusätzlich scheint SARS-CoV-2 einen saisonalen Verlauf zu zeigen: Bei steigenden Temperaturen nehmen die Fallzahlen meist ab. Insofern können wir hoffen, dass sich die Situation im Frühling oder im Frühsommer wieder entspannt. Bis dahin aber müssen wir den Anstieg der Infektionen so gering wie möglich halten.

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