Erste genomweite Studie für Colitis ulcerosa identifiziert neue Krankheitsgene

Colitis ulcerosa und Morbus Crohn sind die beiden häufigsten chronisch entzündlichen Darmerkrankungen. Ihre Ursachen sind jedoch nur in Ansätzen bekannt. Wissenschaftler des Instituts für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel haben jetzt erstmals Gene gefunden, die bei der Entstehung von Colitis ulcerosa eine wichtige Rolle spielen könnten. Für Morbus Crohn gab es zuvor schon ähnliche Studien, bei denen jeweils mindestens eine Mutation identifiziert wurde, die mit der Krankheit assoziiert ist.

Voraussetzung für solche Studien, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert werden, sind eine enge interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizinern, Biologen, Chemikern und Informatikern sowie modernste Analyseverfahren.


Colitis ulcerosa und Morbus Crohn haben viele Gemeinsamkeiten, wie etwa eine familiäre Häufung. Darüber hinaus spielt eine Fehlfunktion des Immunsystems möglicherweise eine Rolle, sodass die Darmschleimhaut auf Nahrung, Stress oder Keime überempfindlich reagiert. Die Ursachen beider Erkrankungen sind allerdings nur in Ansätzen bekannt. Jetzt haben Wissenschaftler der Universität Kiel aus dem Nationalen Genomforschungsnetz (NGFN), das vom BMBF gefördert wird, in der international ersten genomweiten Assoziationsstudie zu Colitis ulcerosa vier SNPs (engl. Single Nucleotide Polymorphism) identifiziert, für die ein Zusammenhang mit der entzündlichen Darmerkrankung besteht. Die SNPs stellen verschiedene Varianten auf der DNS dar, das heißt, es sind Basenpaare auf Chromosomen, durch die sich Menschen voneinander unterscheiden.

In den vergangenen Monaten haben genomweite Assoziationsstudien am Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel bereits ergeben, dass Patienten mit Morbus Crohn in der Regel bestimmte Mutationen auf bestimmten SNPs aufweisen. Mutationen führen in den meisten Fällen zu einer krankhaften Veränderung des Genoms. Für den Morbus Crohn gibt es inzwischen sieben solcher Studien, an denen die Kieler Wissenschaftler maßgeblich beteiligt waren. Jede dieser Studien führte zur erfolgreichen Identifikation mindestens einer Mutation, die diese Krankheit bedingt. Für die Colitis ulcerosa gab es solche systematischen genomweiten Analysen bislang noch nicht.

Vielversprechender Therapieansatz
Einer der vier für Colitis ulcerosa identifizierten SNPs befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Gen für Interleukin 10 (IL10), einem Botenstoff, der entzündliche Vorgänge hemmt. „Für uns Wissenschaftler stellt sich daher die Frage, ob eine Behandlung mit Interleukin 10 möglicherweise ein vielversprechender Therapieansatz für Patienten mit Colitis ulcerosa sein könnte“, so der Projektleiter Professor Dr. Andre Franke. In den 80er Jahren wurden vor allem Patienten mit Morbus Crohn mit gentechnisch hergestelltem IL10 behandelt, allerdings mit mäßigem Erfolg. „Offenbar hatten wir damals zwar den richtigen Botenstoff, haben ihn aber auf die falsche Erkrankung angesetzt“, erklärt Professor Dr. Stefan Schreiber. Er ist Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel sowie Leiter des Forschungsverbundes „Genetische Ursachen für chronische Entzündungserkrankungen an  Barriereorganen“ in NGFN-Plus und des „Exzellenzcluster Entzündungsforschung“, über die die Studien gefördert wurden. „Wir ziehen deshalb nun eine klinische Studie mit Interleukin 10 zur Behandlung von Patienten mit Colitis ulcerosa in Erwägung.“ Hierbei sollen zudem funktionelle Charakterisierungen der betroffenen Proteine vorgenommen werden.
Nach Angaben der Wissenschaftler liefern die Ergebnisse der Studie darüber hinaus Ansätze für die Entwicklung neuer Medikamente. „Dies ist ein wichtiger Schritt, denn an Morbus Crohn und Colitis ulcerosa sind allein in Deutschland mehr als 300.000 Menschen erkrankt“, betont Professor Franke. Entsprechende Patente sind bereits angemeldet.


Ansprechpartner:

Prof. Dr. Andre Franke
Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel
Schittenhelmstraße 12
24105 Kiel
Tel.: 0431 597-4138
Fax: 0431 597-1842
E-Mail: a.franke@mucosa.de

Prof. Dr. Stefan Schreiber
Institut für Klinische Molekularbiologie der Universität Kiel
Forschungsverbund „Exzellenzcluster Entzündungsforschung“
Schittenhelmstraße 12
24105 Kiel
Tel.: 0431 597-1279
Fax: 0431 597-1842
E-Mail: s.schreiber@mucosa.de



Die Assoziationsstudie

Die Studie ist Teil eines Großprojekts des Nationalen Genomforschungsnetzes (NGFN), das genetische Krankheitsauslöser für 25 Krankheiten identifiziert, darunter auch Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. Für die Studie wurden zunächst 440.794 SNPs von 1.167 Patienten mit Colitis ulcerosa und von 777 Gesunden genotypisiert. 20 der am häufigsten assoziierten SNPs wurden dann in einem nächsten Schritt unabhängig voneinander in drei europäischen Gruppen mit insgesamt 1.855 Patienten mit Colitis ulcerosa und 3.091 gesunden Kontrollpersonen weiter untersucht.

Das Genomforschungslabor
Genvarianten lassen sich mit den modernen Hochdurchsatztechniken anhand von SNP-Analysen verhältnismäßig leicht nachweisen. Vergleicht man die SNPs aus einer großen Gruppe von Patienten mit denen von gesunden Menschen, so können SNPs identifiziert werden, die ein erhöhtes Risiko für eine Krankheit darstellen.
Das Genomforschungslabor am Kieler Institut für Klinische Molekularbiologie ist eine der leistungsfähigsten Einrichtungen seiner Art in Deutschland. Täglich können hier bis zu 150.000 DNA-Proben analysiert werden. Immer mehr Projekte bedienen sich modernster Hochdurchsatztechniken, welche allerdings riesige Datenmengen produzieren. Für ihre Auswertung ist eine enge, interdisziplinäre Zusammenarbeit von Medizinern, Biologen und Informatikern notwendig.