April 2025

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Gesund im Job: Körperliche Überbelastungen erkennen und verhindern

Arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen tragen erheblich zum Krankenstand bei. Wie sie entstehen und ihnen vorgebeugt werden kann, war bislang wenig erforscht. Der Verbund workHealth hat wertvolle Daten und Erkenntnisse für die Prävention gewonnen.

Ein Mann mit Arbeitshelm und Warnweste hält einen großen Karton in den Händen, im Hintergrund stehen weitere Kartons und Lagerregale.

Das Heben und Tragen von Lasten in der Arbeitswelt stand im Mittelpunkt der Untersuchungen im Forschungsverbund workHealth.

Crispb/ Adobe Stock

Pflegebedürftige umbetten, Pakete austragen, im Dauertakt Waren über die Scannerkasse ziehen: Diese Tätigkeiten aus der Arbeitswelt beanspruchen Wirbelsäule, Gelenke, Muskeln, Sehnen und Bänder. Kommt es zu Fehl- und Überbelastungen, können Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE) die Folge sein. Fast ein Viertel aller Arbeitsunfähigkeitstage in Deutschland ist auf Muskel-Skelett-Erkrankungen zurückzuführen. Sie sind auch nach wie vor eine der häufigsten Ursachen für Frühverrentungen.

Obwohl das Thema eine enorme gesellschaftliche und wirtschaftliche Relevanz hat: Das Wissen, wie arbeitsbedingte Muskel-Skelett-Erkrankungen entstehen und wie man Belastungsrisiken vermeiden kann, ist lückenhaft. „Bisher mangelte es einfach an Methoden, die Aufschluss darüber geben, was bei arbeitsbedingten Belastungen genau im Körper passiert und welche Kräfte wirken“, sagt Dr. Maximilian Praster, der an der Klinik für Orthopädie am Uniklinikum der RWTH Aachen forscht.

Muskel-Skelett-Erkrankungen erforschen

Neben drei Forschungsgruppen der RWTH Aachen waren am Projekt workHealth folgende Forschungseinrichtungen beteiligt: das Julius Wolff Institut der Charité – Universitätsmedizin Berlin, das Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. (DGUV) in Sankt Augustin, die Georg-August-Universität Göttingen sowie die MSB Medical School Berlin GmbH, Hochschule für Gesundheit und Medizin. workHealth ist einer von insgesamt acht interdisziplinären Forschungsverbünden, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) zu muskuloskelettalen Erkrankungen mit insgesamt rund 20 Millionen Euro gefördert hat.

Der Ingenieur koordinierte den interdisziplinären Forschungsverbund workHealth. Das Konsortium war im Jahr 2020 angetreten, um mit neuen Methoden eine bessere Datengrundlage zum Thema arbeitsbedingte MSE zu schaffen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das Projekt über drei Jahre mit drei Millionen Euro gefördert.

Körperlich anstrengende Tätigkeiten vermessen

„Das Besondere an workHealth war die Vielfalt der Ansätze und Disziplinen sowie die ganzheitliche Betrachtung des Themas für die berufliche und klinische Praxis“, betont Praster. Der Verbund mit Forschenden in Aachen, Berlin, Göttingen und Sankt Augustin betrachtete nicht nur biomechanische Aspekte bei der Entstehung von MSE. In mehreren Teilprojekten wurden auch psychische Belastungsfaktoren untersucht.

Ein Schwerpunkt lag jedoch auf der Vermessung und Analyse von körperlich anstrengenden Bewegungen im Arbeitsalltag, um daraus Erkenntnisse für nachhaltigen Arbeits- und Gesundheitsschutz zu gewinnen. „Wir haben uns Bewegungen angeschaut, die bei der Paketzustellung, im Lebensmitteleinzelhandel und in Fabriken typisch sind – etwa das Heben und Tragen von Lasten“, erläutert Praster. Anders als etwa in vielen Handwerksberufen gibt es in diesen Branchen oft noch kein Regelwerk für den Arbeitsschutz.

Wie werden Lendenwirbelsäule, Hüfte und Kniegelenke zum Beispiel beim Heben von kiloschweren Paketen beansprucht? Wie lässt sich die Belastung durch Hebetechniken oder mit Unterstützungssystemen verringern? Fragen wie diesen haben sich die workHealth-Forschenden mit zahlreichen Laborexperimenten und Probandenstudien genähert.

Virtuelle Mensch-Modelle für die Bewegungsanalyse

Für die Bewegungserfassung unter Labor- und Alltagsbedingungen kamen sogenannte Marker und moderne Kameratechnik zum Einsatz. Mithilfe der Bewegungsdaten konnte das workHealth-Team Simulationsmodelle weiterentwickeln und testen. Anhand dieser virtuellen Mensch-Modelle lassen sich die in den Gelenken auftretenden Belastungen berechnen. So war es möglich, Bewegungsabläufe in Echtzeit zu bewerten und festzustellen, ob in bestimmten Fällen die Belastung zu hoch oder zu niedrig ist.

Digitaler Zwilling links, Mehrkörpersimulationsmodell rechts

Per digitalem Zwilling des lastentragenden Probanden wird die Bewegung erfasst (links). Anhand eines Mehrkörpersimulationsmodells lassen sich die Gelenkkräfte berechnen (rechts).

Uniklinik RWTH Aachen

Forschenden vom Julius Wolff Institut der Berliner Charité war bei den Analysen eine weltweit einzigartige Probandengruppe mit technischer Spezialausstattung zu Diensten: In ihre Hüft- und Knie-Implantate sind Drucksensoren eingebaut, die Messdaten an eine Empfängerstation funken. Ein Glücksfall für die biomechanische Forschung, denn so lässt sich bei verschiedenen Tätigkeiten direkt messen, welche Kräfte in den Gelenken wirken. So konnten die Berliner Forschenden auch verschiedene Szenarien testen, in denen Arbeitsplätze umgestaltet wurden. Ein Team vom Institut für Arbeitsschutz der DGVU in Sankt Augustin untersuchte zudem den Effekt von Unterstützungssystemen, sogenannten Exoskeletten, auf die körperliche Belastung.

Besser mehrere kleine Lasten als wenige große tragen

Als ein zentrales Ergebnis ist es dem Forschungsverbund gelungen, eine optimierte Berechnungsmethode für die Ermittlung der Belastung im Arbeitskontext zu entwickeln. Sie berücksichtigt gleichzeitig sowohl die Intensität als auch die Dauer der auf Wirbelsäule und Gelenke einwirkenden Kräfte. „Das erlaubt eine präzisere Bewertung der tatsächlichen Belastungen, denen Arbeitnehmende ausgesetzt sind“, sagt Praster.

Eine vereinfachte Formel, die sich etwa aus den Paket-Trage-Experimenten ableiten lasse, laute: „Mehrere niedrigere Belastungen pro Zeiteinheit sind besser für den Körper als wenige große.“ Also lieber in einer Minute zehnmal 10 Kilogramm heben anstatt zweimal 50 Kilo. Für die Logistikbranche sei eine Gewichtskennzeichnung auf schweren Paketen – wie sie durch das Postgesetz 2025 eingeführt wurde – deshalb ein wichtiger Schritt für mehr Arbeitssicherheit.

Das Ziel der Forschenden ist es nun, ihre Analysesysteme praxistauglich zu machen und in den Berufsalltag zu überführen. Als mögliches Anwendungsbeispiel nennt Praster smarte Systeme, die Bewegungsabläufe von Arbeitenden mit einfachen Kameras erfassen. Die Simulationsmodelle berechnen die Belastung in Echtzeit, geben der Person Feedback und schlagen Alarm, wenn eine Überbelastung droht.

Eine Frage, die das Team um Praster ebenfalls umtreibt: Wie wirken sich vorwiegend sitzende Tätigkeiten auf den Körper aus? „Während bei Berufen mit körperlicher Aktivität im Bereich Prävention schon viel getan wird, sind die aktivitätsarmen Bereiche bisher stark vernachlässigt worden“, so Praster. Die in workHealth entwickelten Werkzeuge eigneten sich, um sie auch auf diese hochrelevanten Fragen zur Prävention von Muskel-Skelett-Erkrankungen in der Arbeitswelt zu übertragen.

Originalpublikationen:
Brandl, C., Bender, A., Schmachtenberg, T., et al. (2024). Comparing risk assessment methods for work-related musculoskeletal disorders with in vivo joint loads during manual materials handling. Scientific Reports. DOI: 10.1038/s41598-024-56580-7

Bender, A., Schmidt, H., Wellner, D. L., et al. (2024). In vivo load on knee, hip and spine during manual materials handling with two lifting techniques. Journal of Biomechanics. DOI: 10.1016/j.jbiomech.2024.111963

Ansprechpartner:
Dr.-Ing. Maximilian Praster
Lehr- und Forschungsgebiet Experimentelle Orthopädie und Unfallchirurgie
Klinik für Orthopädie, Unfall- und Wiederherstellungschirurgie an der
Uniklinik RWTH Aachen
Pauwelsstraße 17
52074 Aachen
mpraster@ukaachen.de