High-Tech gegen Inkontinenz: Intelligente Schließmuskelprothese

Wissenschaftler der Universität Freiburg haben einen neuartigen implantierbaren Schließmuskelersatz entwickelt – das German Artificial Sphincter System (GASS).

Zur Behandlung der hochgradigen Stuhlinkontinenz werden Schließmuskelprothesen aufgrund ihrer hohen Komplikationsrate bisher erst dann eingesetzt, wenn alle anderen therapeutischen Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Für die Betroffenen in Deutschland könnte sich das mit GASS in Zukunft ändern. „Wenn unsere weiteren technologischen Entwicklungen erfolgreich sind, könnten wir in zwei bis drei Jahren mit der ersten klinischen Studie beginnen“, so Privatdozent Hans-Jürgen Schrag. Die Zusammenarbeit von Chirurgen und Mikrosystemtechnikern in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt brachte ein innovatives Prothesendesign mit vielen Vorteilen hervor: GASS ist kleiner, risikoärmer und bequemer in der Handhabung für den Patienten als herkömmliche Schließmuskelprothesen. Darüber hinaus ist die Anwendung des intelligenten Systems auch zur Behandlung der Harninkontinenz, des Sodbrennens sowie als „appetitzügelndes“ Magenband bei Fettleibigkeit denkbar.


Worüber man nicht gerne spricht
Inkontinenz ist ein Tabuthema, das jeder am liebsten für sich behält. Die Stuhlinkontinenz betrifft junge und alte Menschen und ist gar nicht so selten. Schätzungsweise zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden darunter. Entzündliche und neurologische Erkrankungen oder die komplette Unterbrechung der Nervenbahnen wie bei der Querschnittslähmung zählen zu den Ursachen. Auch während der Geburt oder durch Operationen – beispielsweise eine Hämorrhoiden-OP oder nach Tumorentfernung - kann der Schließmuskel verletzt und in seiner Funktion beeinträchtigt werden. Die psychischen Leiden der Betroffenen sind immens. Das Stigma von Unsauberkeit und schlechtem Geruch und das Gefühl auf die Entwicklungsstufe eines Kleinkindes zurückgeworfen zu sein, belasten schwer. Scham und Ekel führen häufig zu sozialem Rückzug, Depression und Isolation. Ein funktionsfähiger Schließmuskelersatz kann das tägliche Leben von stuhlinkontinenten Patienten maßgeblich verbessern. Die verfügbaren künstlichen Systeme bestehen in der Regel aus drei oder mehr Komponenten. Diese setzen Chirurgen in einer aufwendigen und risikoreichen Operation in Becken und Unterbauch ein. Sehr häufig kommt es zu Komplikationen. Infektionen treten in circa 21 Prozent der Fälle auf. Und bei jedem dritten Patienten muss die Prothese ausgetauscht oder sogar endgültig ausgebaut werden, weil sie das umliegende Gewebe schädigt oder nicht mehr einwandfrei funktioniert.

Künstlicher Schließmuskelersatz - Die neue Generation
Zusammen mit Forschern des Instituts für Mikrosystemtechnik (IMTEK) haben Schrag und seine Mitarbeiter aus der Klinik für Chirurgie der Universität Freiburg ein neuartiges, intelligentes Schließmuskelsystem entwickelt. Den Wissenschaftlern gelang es, alle Komponenten in einem einzigen Gerät unterzubringen. Damit reduziert sich das Operations- und Infektionsrisiko für den Patienten erheblich. Darüber hinaus ist die von den Freiburger Forschern entwickelte Prothese besonders gewebeschonend. Das System ist über einen Schlauch mit einem elektronischen Steuermodul verbunden, welches unter die Bauchhaut implantiert wird. Über eine Fernbedienung - und nicht wie bisher von Hand - kann der Patient den Schließmuskelersatz bequem bedienen.

Vielseitig einsetzbar
GASS kann aber noch mehr. Die Prothese kann in der Größe angepasst und neben der Stuhlinkontinenz auch zur Behandlung anderer Erkrankungen eingesetzt werden: beispielsweise zur Therapie der Harninkontinenz. Hierzu wird eine kleinere Variante implantiert, die unterhalb der Blase die Harnröhre umfasst. Auch die Behandlung des Rückflusses von Magensäure in die Speiseröhre (gastroösophageale Refluxkrankheit) soll mit GASS möglich werden. Auf diese Weise wid auch das mit dem Reflux verbundene Risiko reduziert, an Speiseröhrenkrebs zu erkranken. Die neue Prothese ist darüber hinaus als automatisches Magenband zur Behandlung der extremen Adipositas geeignet. Im Tierversuch mit Schweinen hat sich GASS bereits erfolgreich bewährt. In weiteren Untersuchungen wollen die Freiburger Wissenschaftler zusammen mit Forschern vom DLR-Institut für Robotik und Mechatronik die Pumpentechnologie, Fernsteuerung und den Akku weiterentwickeln. Neben der einfacheren Handhabung und dem verminderten Implantationsrisiko bietet GASS dann noch mehr Vorteile für den Patienten: Der behandelnde Arzt kann das System per Funk überprüfen, ohne dass der Patient in die Klinik kommen muss und die Batterie lässt sich ohne operativen Eingriff bequem durch die Haut aufladen. Gelingt den Forschern dieses Vorhaben, ist eine erste Studie mit Patienten geplant. Ein Patent für Europa und die USA ist bereits angemeldet.

Ansprechpartner:
PD Dr. Hans-Jürgen Schrag
Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie mit Poliklinik
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg
Tel.: 0761 270-2805/2806
Fax: 0761 270-2804
E-Mail: hans-juergen.schrag@uniklinik-freiburg.de