„Ich muss nicht perfekt sein“ - Programm zur Prävention von Depression in emotional belasteten Familien

Etwa 17 Prozent der Deutschen leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Trotzdem wird das Thema immer noch tabuisiert. In unserem Beitrag spricht eine Mutter offen über ihre Depressionen, über Probleme in der Erziehung und ein Programm, das Eltern und Kindern helfen kann, mit emotionaler Belastung besser umzugehen.

„Es geht nicht mehr. Das geht so nicht weiter. Ich schaffe das nicht mehr.“ Nicht mehr vor und nicht mehr zurück können, dieses Gefühl verspürte Nina N. früher häufiger. Besonders in stressigen Situationen, in denen sie Beruf und Mutterrolle unter einen Hut bekommen musste, empfand sie die starke Belastung. Die 32-jährige Mutter von zwei Kindern litt oft unter einer depressiven Stimmung und fühlte sich mit allem überfordert. „Zu meiner Familie habe ich dann häufig gesagt, lasst mich in Ruhe, ich will nicht mehr. Ich habe mich zurückgezogen oder bin schnell laut und wütend geworden.“ Das Verhältnis zu ihren Kindern war dadurch stark belastet. Vor allem ihr Sohn zeigte Verhaltensauffälligkeiten und sträubte sich gegen die Erziehungsmaßnahmen. Dass seine Mutter keine Grenzen setzte und häufig nachgab, irritierte ihn. In einer depressiven Phase war die 32-Jährige nur noch erschöpft und konnte nicht mehr auf ihre Kinder eingehen. Nina N. brauchte Unterstützung.


Glücklicherweise erfuhr Nina N. während eines Aufenthalts in einer Mutter-Kind-Klinik an der Nordsee von einem neuen Präventionsprogramm EFFEKT-E, was für „Entwicklungsförderung in Familien: Eltern- und Kinder-Training für Familien mit emotionaler Belastung“ steht. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Projekt wird direkt in Mutter-Kind-Kliniken angeboten. EFFEKT-E wurde gemeinsam mit dem Bundesverband der Arbeiterwohlfahrt und der Universität Erlangen-Nürnberg entwickelt. Ziel ist es, stark belasteten Müttern zu helfen, indem ihnen Strategien für die Erziehung, Interaktion und Stressbewältigung an die Hand gegeben werden. „Ich habe mich sofort dazu entschlossen, mit meinem Sohn am Programm teilzunehmen“, berichtet die 32-Jährige.

Depressionen der Mutter beeinflussen Verhalten der Kinder
Nina N. ist kein Einzelfall. Etwa 17 Prozent der Bevölkerung in Deutschland leiden mindestens einmal in ihrem Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Problematisch: Kinder depressiver Mütter haben gegenüber anderen Kindern ein stark erhöhtes Risiko, später einmal selbst eine Depression zu entwickeln. Die Hintergründe erläutert Diplom-Psychologin Dr. Anneke Bühler, Leiterin des depressionsspezifischen Präventionsprogramms EFFEKT-E: „Depressive Mütter trauen sich wenig zu und zeigen häufig problematische Erziehungspraktiken. Sie greifen etwa so wenig wie möglich ein oder machen ihren Kindern kaum Vorschriften und fühlen sich weniger kompetent in der Erziehung.“

Auch Nina N. kennt diese Situation. Ihr vierjähriger Sohn reagierte auf ihre inkonsequenten Erziehungsmethoden auffällig und versuchte seinen Kopf durchzusetzen. „Nö, das will ich jetzt nicht machen“ war eine häufige Reaktion. „Die Depressivität der Mutter wirkt sich auch auf das emotionale Verhalten der Kinder aus“, weiß Dr. Bühler. „Sie zeigen auffallend häufiger ängstliche, niedergeschlagene und angespannte Verhaltensweisen als andere Kinder. Aus diesem Grund setzt unser Präventionsprogramm an beiden Seiten an.“ EFFEKT-E ist damit das erste Programm, das sowohl mit depressiven Müttern als auch mit ihren Kindern arbeitet.

Gezieltes Training hilft Müttern und Kindern
In insgesamt acht Mutter-Kind-Kliniken in Deutschland führen geschulte Psychologinnen und Erzieherinnen das EFFEKTE- Training durch. Dabei gibt es getrennte Trainingseinheiten für die meist vier- bis sechsjährigen Kinder und deren Mütter. Beim Kindertraining handelt es sich um ein kindgerechtes Gruppentraining zum Lösen sozialer Probleme. Das Elterntraining, das für Mütter mit depressiven Störungen entwickelt wurde, arbeitet zum Beispiel mit Rollenspielen und behandelt Themen wie die Grundregeln positiver Erziehung, das Setzen von Grenzen oder Strategien zur Stressbewältigung. Neue Erkenntnisse konnte Nina N. aus allen Kursstunden mitnehmen. Sie hat gelernt, wie sie ihre Wünsche positiv formuliert, um die Kinder in ihrem eigenständigen Verhalten zu bestärken, ohne ihre Erziehung aus der Hand zu geben. Außerdem weiß sie jetzt, dass sie ihr soziales Umfeld durchaus um Unterstützung bitten kann: „Ich muss nicht perfekt sein, und es ist keine Schande, Hilfe zu holen. Vielleicht kann die Freundin mal auf die Kinder aufpassen, wenn es einem selbst nicht gut geht.“ Bereits solche einfachen Maßnahmen können das Verhältnis zu den Kindern stabilisieren.

Selbstvertrauen in der Erziehung – und das Kind Kind sein lassen
Das EFFEKT-E-Training half Nina N., gelassener zu werden. Sie hat gelernt, die Erziehung besser zu meistern und fühlt sich heute sicherer in ihrer Mutterrolle. EFFEKT-E hat auch dabei geholfen, dass sie sich für die Bewältigung zukünftiger Probleme gestärkt fühlt. „Ich gehe zum Beispiel nicht gleich in die Luft, wenn meine Kinder etwas machen, was ich nicht gut finde. Ich versuche, mich zurückzunehmen. Das bedeutet auch, dass ich meine Kinder ihre Konflikte untereinander auch mal selbst austragen lasse und mich nicht einmische. Sie sollen das Problem, das sie miteinander haben, erst einmal ohne mich lösen. Und ich bin wirklich erstaunt, wie gut sie das hinkriegen.“ Den Kindern mehr Möglichkeiten geben, Kind zu sein und sie darin positiv zu bestärken – das ist ein Aspekt, den Nina N. im Kurs gelernt hat und von dem ihre beiden Kinder profitieren. Kein Wunder, dass auch ihr Sohn vom Kurs „total begeistert“ war.

Mutter-Kind-Klinken, in denen das EFFEKT-E-Programm angeboten wird:
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Mutter-Kind-Kurhaus „Louise-Schroeder-Haus“, Keitum/Sylt, Gabriele Bossmann, mukikuren-keitum@awo-sh.de
- Gesundheitszentrum „Lotte-Lemke-Haus“, Esens/Bensersiel, Annemarie Richter, info@GHZ-ESENS.awo-ol.de 
- Mutter-Kind-Gesundheitszentrum Langeoog, Gudrun Janssen, info@awo-langeoog.de 
- Mutter-Kind-Gesundheitszentrum Altenau, Altenau/Harz, Jessica Waschke, info@AWO-altenau.de 
- Gesundheitszentrum „Am Rennsteig“, Steinheid, Antje Schramm-Siegel, kur@awo-sonneberg.de
- AWO Gesundheitszentrum am Spiegelwald, Grünhain-Beierfeld, Elvira Hellmich, Gruenhain@awo-suedsachsen.de 
- Kurhaus „Zur Solequelle“, Bad Windsheim, Dietmar Leberecht, solequelle.badwindsheim@awo-ofr-mfr.de 
- Kurhaus und Sanatorium „Lindenhof“, Gunzenhausen, Anna Dörrfuß, awo.lindenhof.gunzenhausen@awo-ofr-mfr.de

EFFEKT-E – Ein Projekt in Mutter-Kind-Kliniken zur Prävention von Depressionen
Das Programm EFFEKT-E basiert auf dem grundlegenden Programm „Entwicklung und Entwicklungsförderung in Familien“ der Universität Erlangen-Nürnberg und wurde für depressionsgefährdete Menschen adaptiert. Das Präventionsprogramm richtet sich an Mütter mit depressiver Symptomatik, die an einer Mutter-Kind-Maßnahme teilnehmen und ein Kind im Alter von vier bis sechs Jahren haben.

Kindertraining „Ich kann Probleme lösen“: Inhalte sind Grundlagen der sozial-kognitiven Problemlösung und verhaltensbezogene Problemlösefertigkeiten wie alternative Lösungen, Erwartungshaltung und die Bewertung von Handlungskompetenzen. Schwerpunkte des Trainings liegen dabei auf Emotionsdifferenzierung,-wahrnehmung und -ausdruck. Didaktisch arbeiten die Psychologen mit Rollenspielen, Modell-Spielen, Frage-Antwort-Runden, Bewegungsspielen, Bildvorlagen, Singspielen und Handpuppen.

Elterntraining: Inhalte sind zum einen allgemeine Erziehungskompetenzen wie positive Erziehung, Bitten und Aufforderungen sowie das Setzen von Grenzen. Zum anderen befassen sich weitere Kursstunden mit depressionsspezifischen Auswirkungen auf die Erziehung. Stressbewältigungsstrategien und die Förderung von sozialer Unterstützung sind dabei wichtige Aspekte, um den von der Mutter erlebten Stress zu reduzieren. Darüber hinaus gibt es Tipps, wie in einer depressiven Phase am besten mit dem Kind umgegangen werden kann. In einer abschließenden gemeinsamen Interaktionsstunde von Müttern und Kindern werden die Inhalte nochmals vertieft.

Ansprechpartnerin:
Dr. Dipl.-Psych. Anneke Bühler
IFT Institut für Therapieforschung
Parzivalstraße 25
80804 München
Tel.: 089 36 08 04-0
Fax: 089 36 08 04-49
E-Mail: buehler@ift.de