In tödlicher Mission: Programmierter Zelltod als Waffe gegen Krebs

In jeder Sekunde begehen Millionen Zellen unseres Körpers Selbstmord, damit andere leben können. Mediziner bezeichnen diesen Vorgang als Apoptose. Der aufopfernde, selbstzerstörerische Prozess ist notwendig, um nutzlose, alte und gefährliche Zellen zu eliminieren. Eine Arbeitsgruppe der Universität Düsseldorf untersucht die molekularen Vorgänge dieses programmierten Zelltods und schafft damit die Grundlagen für neue Therapien gegen Krankheiten wie Krebs, Alzheimer, AIDS oder Leberversagen.

Die Ursache von Krebserkrankungen ist nicht nur die ungezügelte Vermehrung entarteter Zellen, sondern auch eine beeinträchtigte Apoptose. Ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Forschungsprojekt der Universität Düsseldorf unter Leitung von Prof. Schulze-Osthoff konnte jetzt zeigen, dass die Resistenz mancher Tumorzellen gegenüber der Chemo- oder Bestrahlungstherapie ebenfalls auf Störungen des zellulären Selbstmordprogramms zurückzuführen ist.

Denn Medikamente zur Behandlung von Tumoren entfalten einen Großteil ihrer Wirkung indirekt über den programmierten Zelltod. Die Wissenschaftler suchen nun nach Wegen, um die Apoptose wieder in Gang zu bringen. Ein möglicher Ansatzpunkt ist der körpereigene Botenstoff TRAIL (TNF-related apoptosis-inducing ligand). Er setzt speziell in Tumorzellen den programmierten Zelltod in Gang, hat aber auf gesunde Zellen in der Regel keine Wirkung. Unter Gaben von TRAIL bei gleichzeitiger Chemotherapie beziehungsweise Bestrahlung kommt es zu einer ausgeprägten Induktion von Apoptose und damit zu einem Absterben der Tumorzellen. Der Einsatz von TRAIL gilt als eine besonders viel versprechende Option, den programmierten Zelltod für therapeutische Zwecke zu nutzen. Andere Ansätze haben zum Ziel, schon vor Beginn einer Behandlung vorherzusagen, auf welche Therapieart der Tumor gut und auf welche er weniger gut ansprechen wird. In diesem Zusammenhang entwickelten die Düsseldorfer Forscher ein neues Verfahren, um Apoptose und damit die Effizienz einer Chemotherapie direkt am Tumorpatienten nachzuweisen.

Zu viel Apoptose
Anders als bei Tumorerkrankungen kann auch eine vorzeitige oder verstärkte Apoptose pathologische Zustände verursachen. Hierzu gehören neben Multipler Sklerose, Alzheimerscher Demenz, Creutzfeld-Jakob-Syndrom, BSE und Parkinson-Syndrom auch der Tod von Zellen nach Schlaganfall oder Herzinfarkt. Erhöhte Apoptose spielt daneben vermutlich eine wichtige Rolle bei Leberschädigungen durch Hepatitis B- und C-Viren. Die Arbeitsgruppe um Prof. Schulze-Osthoff zeigte, dass apoptoseauslösende Enzyme, so genannte Caspasen, schon in sehr frühen Stadien der Leberentzündung hochgradig aktiviert sind. In den USA wurden Hemmstoffe dieser Caspasen bei Lebererkrankungen in Pilotstudien bereits eingesetzt. Klinische Phase-1-Studien sind mittlerweile auch in Deutschland angemeldet. Die Düsseldorfer Wissenschaftler begannen in Zusammenarbeit mit dem Hamburger Unternehmen Evotec-OAI eine intensive Suche nach Apoptose-Hemmstoffen. Ein Nachweis der Caspase-Aktivität könnte darüber hinaus genutzt werden, um apoptotische Leberschädigungen frühzeitig zu erkennen.

"Zu viel" Apoptose ist auch für das Absterben von Immunzellen bei einer HIV-Infektion verantwortlich. Das HI-Virus befällt so genannte T-Helferzellen, die infolge der Infektion sowie einer übermäßigen Apoptose in so großer Zahl zu Grunde gehen, dass eigentlich harmlose Zweiterkrankungen wie eine Pilzinfektion lebensbedrohlich werden. Schon lange beobachten Forscher aber, dass bei AIDS-Kranken auch solche Immunzellen sterben, die gar nicht mit dem Virus infiziert sind. Offenbar sind die Zellen in Gegenwart des Virus anfälliger für Apoptosesignale. Ein Ziel der Forschung ist es, Wirkstoffe zu entwickeln, die eine erhöhte Apoptose blockieren und dadurch Krankheiten therapieren. Aber auch ganz andere Nutzungsmöglichkeiten liegen nahe: Prof. Schulze-Osthoff und seine Mitarbeiter zeigten, dass Caspase-Hemmer eingefrorene Zellen und Gewebe, die im Rahmen der Knochenmarks- und Gewebetransplantation eingesetzt werden, länger lebensfähig erhalten. Die molekulare Kenntnis der Apoptoseregulation hat schon jetzt das Verständnis vieler Krankheitsbilder verändert. Mit Sicherheit ist jedoch ein "dead end" in der Apoptose-Forschung noch lange nicht in Sicht.

Der programmierte Zelltod als Gegenspieler der Zellteilung
"Ich kenne kein anderes Forschungsgebiet in der Medizin, dass sich in den letzten Jahren so rasant entwickelt hat", beschreibt Prof. Schulze-Osthoff die Dynamik der Apoptoseforschung. Inzwischen forschen auch zahlreiche Unternehmen über den Zelltod. Das war nicht immer so. Denn obwohl bereits im vorletzten Jahrhundert der Selbstmord der Zellen beschrieben wurde, hat es bis kürzlich gedauert, die genetische Steuerung der Apoptose zu identifizieren. Eine Zelle geht in die Apoptose, wenn ihr Signale entzogen werden, die sie für ihr Überleben benötigt, oder wenn ihr andere Signale den Selbstmord befehlen. Hierzu gehören Botenstoffe, die Rezeptoren auf der Zelloberfläche besetzen, oder toxische Agenzien. Verschiedene chemische Substanzen und auch hohe Dosen an UV- oder Röntgenstrahlung schädigen zum Beispiel das genetische Material der Zellen. Diese haben dann die Wahl zwischen einer DNA-Reparatur oder - bei irreparablen Schäden - der Apoptose. So wird verhindert, dass Genomdefekte an Tochterzellen weitergegeben werden. In manchen Fällen sind Mitochondrien die zentralen Schaltstellen der Apoptose. Diese "Kraftwerke" der Zellen beinhalten zahlreiche proapoptotische Faktoren, die unter anderem die zerstörerischen Caspasen aktivieren. Diese wiederum verdauen lebensnotwendige Proteine und initiieren die Auflösung der DNA und des Zellskeletts.

Ein perfekter Selbstmord
Im Erwachsenenalter muss unser Körper täglich etwa zehn Milliarden verbrauchte, funktionsunfähige oder beschädigte Zellen beiseite schaffen. Ohne programmierten Zelltod hätte ein 80-Jähriger rund zwei Tonnen Knochenmark und eine Darmlänge von 16 Kilometern. Auch in der Embryonalentwicklung spielt Apoptose eine entscheidende Rolle. Das wohl bekannteste Beispiel ist die Metamorphose der Kaulquappe zum Frosch: Der Schwanz der Kaulquappe wird mittels Apoptose eingeschmolzen. Beim Menschen trennt sich zunächst mit "Schwimmhäuten" ausgestattete paddelförmige Handanlage in fünf geformte auf. Apoptose hat also viele Facetten: Zum einen ist der Zelltod für die korrekte Entwicklung ebenso wichtig wie die Zellteilung, zum anderen müssen Zellen ausgesondert werden, die ihre Funktion erfüllt haben oder den Gesamtorganismus gefährden. Das Apoptose-Programm eliminiert die betroffene Zelle binnen weniger Stunden. Unter Mikroskop sieht der Todeskampf dramatisch Kurz nachdem das Signal empfangen wurde, der Zelle befiehlt, Selbstmord zu begehen, zerbricht der Erbträger - die DNS - im Zellkern viele kleine Fragmente. Die Zelle beginnt quasi kochen und schnürt kleine Bläschen ab, die benachbarten Fresszellen aufgenommen und vertilgt werden. Ein perfekter Selbstmord, der keine Spuren hinterlässt.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Klaus Schulze-Osthoff
Institut für Molekulare Medizin
Universität Düsseldorf
Universitätsstraße 1
40225 Düsseldorf
E-Mail: kso@uni-duesseldorf.de

BMBF-Förderung
Leitprojektverbund "Validierte-Lead-Target-Systeme"
Laufzeit: 1998-2002
Fördersumme: 8,8 Mio. Euro
Teilprojekt "Caspasen als Target pround antibiotischer Therapie"
Laufzeit: 1998-2002
Fördersumme: 0,9 Mio. Euro
Im Leitprojektverbund arbeiten Forschergruppen aus insgesamt sieben universitären, außeruniversitären, klinischen und industriellen Forschungseinrichtungen zusammen.

Weitere Informationen:
Krebserkrankungen