29.06.2020

Aktuelle Meldung

Interaktive Helfer: Assistenten oder heimliche Herrscher?

Digitale Assistenten bieten bei der Pflege älterer Menschen Vorteile, werfen aber auch kritische Fragen auf. Ein vom Bundesforschungsministerium unterstütztes Forschungsprojekt beleuchtet das Für und Wider und liefert Impulse für einen breiten Diskurs.

Roboterhand reicht Seniorin Insulinspritze

Digitale und robotische Systeme können im pflegerischen Alltag und bei der Betreuung älterer Menschen Entlastung bringen – zum Beispiel in der Medikamentenausgabe.

Adobe / M.Dörr & M.Frommerz

Aktuell werden eine Vielzahl unterschiedlicher Systeme entwickelt, die bei der Pflege älterer Menschen unterstützen können: Systeme, die auf robotischer Basis funktionieren und beispielsweise Medikamente ausgeben, und interaktive Tagesbegleiter, die helfen sollen, den Tagesablauf zu strukturieren. Oder sogenannte Companions,  die mit robotischen Haustieren vergleichbar sind und zur Interaktion anregen sollen. Stellvertretend für diese Companions stehen etwa die Roboterdame „Pepper“ und die Therapie-Robbe „Paro“. Ihr möglicher Einsatz wird derzeit in zahlreichen Pilotprojekten getestet, denkbar ist er zum Beispiel bei der Medikamentenausgabe in Pflegeeinrichtungen oder wie im Fall der „Kuschelrobbe“ Paro, die dank Sensoren wie ein lebendiges Robbenbaby wirkt, im Umgang mit demenzkranken Menschen.

Die Möglichkeiten und Vorteile solcher interaktiven Helfer, aber auch die damit verbundenen ethischen Fragen wurden im Projekt „DigitAs“ untersucht. Unter Federführung der Abteilung für Medizinische Ethik und Geschichte der Medizin (Leiter: Prof. Dr. Dr. Jochen Vollmann) der Ruhr-Universität Bochum (RUB) haben Nachwuchsforscherinnen und -forscher aus sechs europäischen Ländern dieses Thema in einer Klausurwoche ausgelotet. Ihre Ergebnisse sind nun im Internet als frei zugänglicher Sammelband erschienen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat sowohl das Projekt DigitAs als auch die Veröffentlichung des Sammelbandes im Rahmen der ELSA-Forschung gefördert.

Der ELSA-Förderschwerpunkt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt mit gezielten Förderprogrammen die Erforschung von ethischen, rechtlichen und sozialen Aspekten in den Lebenswissenschaften. Der Name leitet sich aus den englischen Wörtern „ethical“, „legal“ und „social aspects“ ab. Ihr Ziel ist es, wissenschaftlich basierte Aussagen zu den gesellschaftlichen Auswirkungen der modernen Lebenswissenschaften zu ermöglichen. Diverse aktuelle Projekte befassen sich mit Themen der Digitalisierung und Künstlichen Intelligenz im Gesundheitswesen.

Für und Wider: Entlastung für professionell Pflegende, aber kein Ersatz für zwischenmenschliche Beziehungen

Angesichts der Ressourcenknappheit im Gesundheitssystem und der alternden Bevölkerung gelten Assistenzsysteme als Möglichkeit, einen drohenden personellen Engpass in der Pflege zu vermeiden und dank technischer Entlastung mehr Raum für hochwertige menschliche Betreuung zu schaffen. „Hier scheinen die Geräte ein mögliches Angebot zu sein, wenn es darum geht, die ethisch bedeutsame Autonomie von Menschen trotz Einschränkungen zu erhalten“, sagt der Bochumer Medizinethiker Dr. Joschka Haltaufderheide.  

Befürworter erhoffen sich vom Einsatz dieser digitalen Assistenzsysteme eine deutliche Entlastung im pflegerischen Alltag, mehr Lebensqualität für Pflegebedürftige und Arbeitserleichterung für Pflegekräfte. Mithilfe der Robotik können sowohl körperliche und kognitive Fähigkeiten als auch rehabilitative Maßnahmen unterstützt werden.

Andererseits, so betonen Kritiker, dürfen die technischen Assistenzsysteme zwischenmenschliche Beziehungen nicht ersetzen, da sie soziale und emotionale Bedürfnisse lediglich simulieren können. Zudem könnten diese Maschinen als diskrete Hintergrundtaktgeber zunehmend das Verhalten ihrer Nutzer kontrollieren und damit eben jene Autonomie in Frage stellen, die sie eigentlich bewahren sollen. „Vor diesem Hintergrund geht es uns mit unserer Veröffentlichung darum, einen möglichst breiten Diskurs zu initiieren“, betont Joschka Haltaufderheide. „Die technologischen Entwicklungen sind nicht an sich gut oder schlecht. Vielmehr kommt es auf ihren Einsatzkontext und eine ethisch begründete Abwägung von Risiken und Chancen an.“

Der Sammelband ist unter dem Titel „Aging between Participation and Simulation – Ethical Dimensions of Socially Assistive Technologies in Elderly Care“ im Verlag De Gruyter erschienen. Das Buch ist open access online verfügbar.
 

Die ELSA-Forschung setzt Akzente durch eine fachübergreifende Zusammenarbeit, bei der sich u. a. Expertinnen und Experten aus der Philosophie, Soziologie, den Rechtswissenschaften, der Medizin und den Naturwissenschaften austauschen. Als Bestandteil der Forschung zur Entschlüsselung des menschlichen Genoms gestartet, hat sich die ELSA-Forschung zu einem eigenständigen Förderschwerpunkt entwickelt, den das BMBF mit jährlich rund 4,5 Millionen Euro unterstützt. Diese Mittel kommen einzelnen Forschungsprojekten, aber beispielsweise auch der Nachwuchsförderung zugute, die einen wichtigen Aspekt der ELSA-Forschung darstellt. In sogenannten Klausurwochen werden junge, interessierte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler besonders gefördert.