Februar 2015

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Krebsforschung: Therapieresistenz-Mechanismus bei Neuroblastom-Zellen

Wenn Tumore nach einer Behandlung erneut wachsen, sinken die Chancen das Leben der Betroffenen zu retten. Forschende des Deutschen Krebsforschungszentrums fanden jetzt heraus, warum bestimmte Tumorzellen des Neuroblastom die Chemotherapie überleben.

Fieber, Bauchschmerzen, Durchfall – diese Symptome sind häufig bei Kleinkindern und in der Regel harmlos. Manchmal können es jedoch auch die ersten Anzeichen für eine Krebserkrankung sein.

Fieber, Bauchschmerzen, Durchfall – diese Symptome sind häufig bei Kleinkindern und in der Regel harmlos. Manchmal können es jedoch auch die ersten Anzeichen für eine Krebserkrankung sein.

Copyright: DLR PT / BMBF

Am Anfang klagen die kleinen Patienten häufig über starke Bauchschmerzen und Durchfall. Auch Erbrechen und Fieber können erste Anzeichen sein. Die Symptome wirken zunächst harmlos, die Diagnose allerdings ist ein Schock für die Eltern. Das Neuroblastom ist eine Krebsart, die ausschließlich bei Säuglingen und Kleinkindern auftritt. In Deutschland gibt es jedes Jahr etwa 150 Neuerkrankungen. Die bösartigen Tumore entstehen aus Zellen des embryonalen Nervensystems. In den meisten Fällen wachsen sie im Bauch- und Beckenbereich. Der Krankheitsverlauf ist extrem unterschiedlich: Neuroblastome können sich spontan zurückbilden, aber auch sehr aggressiv fortschreiten und zum Tod führen. Bei einem schweren Verlauf der Erkrankungen überleben langfristig nur etwa 30 Prozent der Kinder.

Das größte Problem bei der Behandlung der Neuroblastome ist die Entwicklung einer Therapieresistenz. In vielen Fällen schrumpft der Tumor nach der ersten Chemotherapie zwar zunächst. Ab einem bestimmten Zeitpunkt beginnt er jedoch wieder zu wachsen und reagiert immer schlechter auf die Behandlung. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg haben nun die Mechanismen der Therapieresistenz der Neuroblastomzellen entschlüsselt und so mögliche Angriffspunkte für neue Therapien gefunden. Um der Resistenzentwicklung der Tumorzellen auf die Spur zu kommen, haben sie erstmals „Live-cell-imaging“-Experimente verwendet. Dabei werden lebende Tumorzellen über längere Zeiträume unter dem Mikroskop beobachtet. Auf der Grundlage dieser Experimente haben die Forscher ein mathematisches Modell entwickelt, um das Wachstum der Zellen und ihre Reaktion auf eine Chemotherapie im Computer zu simulieren.

Warum überleben bestimmte Tumorzellen die Chemotherapie?

Magnetresonanzaufnahme eines Neuroblastom-Patienten, bei dem sich bereits Metastasen in den Lymphknoten und im Knochenmark gebildet haben. Außerdem kann man den primären Tumor neben der Wirbelsäule erkennen sowie eine wegen der Metastasen vergrößerte Leber.

Magnetresonanzaufnahme eines Neuroblastom-Patienten, bei dem sich bereits Metastasen in den Lymphknoten und im Knochenmark gebildet haben. Außerdem kann man den primären Tumor neben der Wirbelsäule erkennen sowie eine wegen der Metastasen vergrößerte Leber.

Uni-Kinderklinik Heidelberg, Prof. Dr. Olaf Witt

Am Beginn der Forschung stand die Vermutung, dass es bereits bei der ersten Chemotherapie zu einer Art Auslese resistenter Tumorzellen kommt: Während ein Großteil der Tumorzellen wie erwartet abstirbt, überleben bestimmte Zellen, wachsen erneut und bilden Metastasen. Um herauszufinden, was diese Zellen von den anderen unterscheidet, haben die Forscher das Wachstum einzelner Tumorzellen vor und nach der Chemotherapie kontinuierlich beobachtet. „Im Wechselspiel von Experiment und Modell haben wir herausgefunden, dass solche Krebszellen die Chemotherapie überleben können, die sich bei Therapiebeginn in einer bestimmten Phase des Zellzyklus befinden“, sagt Projektleiter Professor Dr. Thomas Höfer. So entwickeln vor allem diejenigen Krebszellen eine Therapieresistenz, die sich in einer Ruhephase vor der nächsten Zellteilung befinden. Diese Zellen überleben und vermehren sich erneut. Eine zentrale Rolle hierbei spielt das Krebsgen MYC, das bei aggressiven Tumoren häufig hundertfach vervielfältigt vorkommt. „Dieses Gen ist die treibende Kraft der Therapieresistenz. MYC-Proteine stimulieren das erneute Wachstum der Krebszellen“, erklärt der Mediziner und Tumorgenetiker, Privatdozent Dr. Frank Westermann, Leiter des Neuroblastom-Referenzlabors am Deutschen Krebsforschungszentrum.

Neue Ansätze für verbesserte Therapien

Fluoreszenzmikroskopie-Aufnahme der Chromosomen einer Neuroblastom-Zelle. Der blaue Farbstoff DAPI wurde zur Markierung der DNA eingesetzt. Mit einer Sonde für das MYC-Gen wurde die hundertfach erhöhte Kopienzahl von MYC in den Krebszellen in pink angefärbt.

Fluoreszenzmikroskopie-Aufnahme der Chromosomen einer Neuroblastom-Zelle. Der blaue Farbstoff DAPI wurde zur Markierung der DNA eingesetzt. Mit einer Sonde für das MYC-Gen wurde die hundertfach erhöhte Kopienzahl von MYC in den Krebszellen in pink angefärbt.

Deutsches Krebsforschungszentrum

Für die Forscherinnen und Forscher ergeben sich daraus ganz neue Ansatzpunkte für verbesserte Krebstherapien. „Unsere Resultate legen nahe, dass eine Kombination von Chemotherapie und neuen Medikamenten, die die Wachstumsschalter der Zellen beeinflussen, Kinder mit Neuroblastom im besten Fall vor einer Therapieresistenz schützen könnten“, sagt Höfer. „Hier kommt es vor allem auf die Reihenfolge an, in der die verschiedenen Therapien angewendet werden.“ Die Idee ist, dass die zusätzlichen Wirkstoffe so weit in das Wachstum der Tumorzellen eingreifen, dass sich möglichst wenige von ihnen während der Chemotherapie in der kritischen Phase des Zellzyklus befinden. In Zusammenarbeit mit dem Pharmakonzern Bayer testen die Heidelberger derzeit mehrere Möglichkeiten einer solchen Kombinationstherapie. „Um unsere Resultate schnell für Kinder mit Neuroblastom anwendbar zu machen, konzentrieren wir uns auf bereits zugelassene oder in klinischen Studien getestete Wirkstoffe“, sagt Westermann. Die Forscher hoffen, dass ihre Ergebnisse auch auf andere Krebsarten übertragbar sind. Denn der MYC-Mechanismus tritt auch bei vielen Tumoren von Erwachsenen auf.

Die BMBF-Fördermaßnahme „CancerSys“

Obwohl die medizinische Forschung in den vergangenen Jahrzehnten entscheidende Fortschritte bei der Erkennung und Behandlung einiger Krebserkrankungen erzielt hat, sind viele Krebsleiden noch immer nicht heilbar und werden oft zu spät erkannt. Zudem haben zahlreiche Studien gezeigt, dass das Risiko, an Krebs zu erkranken, von einer Vielzahl individueller Faktoren beeinflusst wird. Der Krankheitsverlauf von Mensch zu Mensch kann sehr unterschiedlich sein. Um diese Phänomene besser zu verstehen, müssen innovative Forschungsansätze entwickelt werden. Zu diesem Zweck hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Fördermaßnahme „Systembiologie in der Krebsforschung“ (CancerSys) gestartet. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf der Zusammenarbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen wie Biologie, Medizin, Physik und Mathematik. In der Kombination von Experimenten und mathematischen Modellen entschlüsseln sie gemeinsame komplexe Vorgänge im Körper.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thomas Höfer
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 267
69120 Heidelberg
06221 5451-380
06221 5451-487
t.hoefer@dkfz.de

PD Dr. Frank Westermann
Deutsches Krebsforschungszentrum
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
06221 42-3219
06221 42-3277
f.westermann@dkfz.de