Medikament gegen Alzheimer: Aus Alt mach Neu? - Eine altbekannte Substanz zeigt neues Potenzial

Etwa sieben Million Menschen in Europa leiden an der Alzheimer-Demenz. Jeder Zehnte über 65 Jahre ist betroffen und sogar jeder Dritte über 85 Jahre. Wirksame Therapieansätze für diese Krankheit gibt es bislang nicht. Vor Kurzem haben zwei deutsche Forscherteams einen wichtigen Schritt für die zukünftige Medikamentenentwicklung gemacht – und dabei methodisches Geschick gezeigt. (Newsletter 64 / Oktober 2013)

Logo - Kompetenznetz Degenerative DemenzenDie Alzheimer-Demenz ist die häufigste altersbedingte neurodegenerative Erkrankung. Ein wesentliches Merkmal der Erkrankung ist die Ablagerung von körpereigenen Proteinen, sogenannten Plaques, im Gehirn der Betroffenen. Diese Plaques entstehen durch natürliche Prozesse im Gehirn und gelten als mögliche Auslöser der Krankheit. Bereits vor einigen Jahren konnte nachgewiesen werden, dass manche entzündungshemmende Medikamente die Bildung der Plaques blockieren können. Diese Medikamente gehören zur Substanzklasse der nichtsteroidalen, entzündungshemmenden Medikamente, kurz NSAIDs. Ein bekannter Vertreter der NSAIDs ist Ibuprofen. Durch ihre entzündungshemmende Wirkung lösen NSAIDs jedoch starke Nebenwirkungen aus. Alle klinischen Versuche mit diesen Substanzen zur Therapie der Alzheimer-Demenz wurden daher eingestellt.

Copyright: ThinkstockAllein in Europa leiden etwa sieben Million Menschen an Alzheimer-Demenz.Ein Grund: Bislang haben Forscherinnen und Forscher nicht exakt verstanden, wie NSAIDs in Bezug auf die Alzheimer-Erkrankung wirken. Dieses Wissen ist jedoch unerlässlich für die Entwicklung eines potenziellen Medikamentes, das wirksam, verträglich und nebenwirkungsarm sein soll. Genau hier setzten daher Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Kompetenznetzes Degenerative Demenzen (KNDD) an. Der erste und entscheidende Schritt ist nun gleich zwei Forscherteams des KNDD gelungen: Sie haben das Zielprotein einiger neuer, von den NSAIDs abgeleiteten Substanzen identifiziert. Diese wirksameren Verwandten der NSAIDs wurden von verschiedenen Pharmafirmen entwickelt und gehören wie die NSAIDs zur Gruppe der sogenannten Gamma-Sekretase-Modulatoren, kurz GSMs. Die Gamma-Sekretase ist ein körpereigenes Protein, das u. a. im Gehirn vorkommt. Es gilt als eines der zentralen Schlüsselelemente bei der Entstehung der Plaques im Gehirn von Alzheimer-Erkrankten. Durch Bindung an die Gamma-Sekretase entfalten die GSMs ihre Wirkung.

Wirkung aufgeklärt

Um dem Zielprotein der GSMs auf die Spur zu kommen, haben die Gruppen um Professor Dr. Sascha Weggen aus Düsseldorf und Professor Dr. Harald Steiner aus München eine besondere Methodik angewendet. Weggen erklärt den Ansatz: „Die Methodik nennt sich Photoaffinitäts-Markierung. Kern dieser Technik ist es, eine feste Verbindung zwischen der zu untersuchenden Substanz – in unserem Falle also den GSMs – und ihrem Zielprotein herzustellen. Das geschieht mittels fotoreaktiver Chemikalien, die auf UV-Licht reagieren.“ Das fest gebundene Zielprotein wird dann im nächsten Schritt genau analysiert. Die beiden Studien sind ein Musterbeispiel für die noch junge Disziplin der chemischen Biologie: „Molekulare Werkzeuge“ werden synthetisch hergestellt, um biologische Systeme zu studieren und zu manipulieren. Die Arbeitsgruppe von Weggen hat dabei intensiv mit der Gruppe des Chemikers Dr. Bruno Bulic am Forschungszentrum Caesar in Bonn zusammengearbeitet. Die Arbeitsgruppe um Steiner hat in vergleichbarer Weise mit Chemikerinnen und Chemikern von der Pharmafirma Roche am Standort Basel kollaboriert. „Durch unsere Versuche wurde das Zielprotein der GSMs eindeutig identifiziert und damit eine langjährige ungeklärte Frage beantwortet“, erläutert Steiner. „Dabei ist die Methodik selbst gar nicht neu. Es gibt in der wissenschaftlichen Literatur aber nur sehr wenige Beispiele, in denen sie erfolgreich eingesetzt wurde.“ Dies ist den beiden Forscherteams des KNDD gelungen. Die maßgeblich beteiligte Wissenschaftlerin in der Gruppe von Steiner, die Biologin Dr. Amelie Ebke, wurde für ihre Arbeit deshalb mit einem Forschungspreis ausgezeichnet. „Für solche Arbeiten ist ein hohes Maß an Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Chemie und der Biologie erforderlich“, betont Steiner. „Die Vernetzung im KNDD bietet hierfür eine hervorragende Plattform. Es gibt zum Beispiel ein Austauschprogramm für Nachwuchskräfte, die in anderen Arbeitsgruppen neue Techniken erlernen wollen.“

Neue Medikamente in der klinischen Erprobung

Copyright: ThinkstockNicht immer verstehen Forscher genau, wie ein Medikament im menschlichen Körper wirkt. Für Gamma-Sekretase-Modulatoren ist es jetzt gelungen, das Zielprotein zu identifizieren.Aber ist denn nun mit neuen Medikamenten gegen die Alzheimer-Demenz zu rechnen? Weggen gibt sich grundsätzlich optimistisch: „Inzwischen ist bereits die zweite Generation von GSMs mit verbesserten pharmakologischen Eigenschaften verfügbar. Diese Substanzen haben das Potenzial, die klinische Erprobung erfolgreich zu durchlaufen. Möglicherweise könnten sie nicht nur bei der Behandlung, sondern auch bei der Prävention von Alzheimer-Demenz eine wichtige Rolle spielen.“ Dieses Potenzial hat auch die Pharmaindustrie erkannt. Mindestens zwei dieser Substanzen werden derzeit in klinischen Studien getestet.


Prävention – Die bessere Therapie?
Die Symptomatik der Alzheimer-Demenz wird durch das Absterben von Nervenzellen verursacht. Sobald die Erkrankung klinisch diagnostiziert wird, sind
bei den Betroffenen bereits irreversible Verluste an Nervenzellen aufgetreten. Es ist daher wahrscheinlich, dass zu diesem Zeitpunkt durch eine Therapie allenfalls eine Stabilisierung der Erkrankung erreicht werden kann. Bei neurodegenerativen Erkrankungen wird daher der Ansatz der Krankheitsprävention von vielen Fachleuten als erfolgversprechender angesehen. Hierbei wird versucht, bereits das Auftreten von Symptomen zu verhindern, z. B. durch Medikamente. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler äußern die Hoffnung, dass Gamma-Sekretase-Modulatoren in einigen Jahren eine wichtige Rolle bei der Prävention der Alzheimer-Demenz spielen könnten.
Informationen zum Kompetenznetz Degenerative Demenzen finden Sie unter www.knd-demenzen.de.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Sascha Weggen
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
Institut für Neuropathologie
Moorenstraße 5
40225 Düsseldorf
Tel.: 0211 81-04506
Fax: 0211 81-04577
E-Mail: sweggen@hhu.de 

Prof. Dr. Harald Steiner
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen
Ludwig-Maximilians-Universität München
Adolf-Butenandt-Institut, Biochemie
Schillerstraße 44
80336 München
Tel.: 089 2180-75480
Fax: 089 2180-75415
E-Mail: harald.steiner@med.uni-muenchen.de