Nicht nur zu viel Arbeit, auch keine Arbeit kann krank machen - Langzeitarbeitslose profitieren von gesundheitsfördernden Maßnahmen

Bildquelle: Reuters/corbisPetra M. ist 51 Jahre alt, gelernte Einzelhandelskauffrau und seit mehr als sieben Jahren arbeitslos. Während ihrer langen Arbeitslosigkeit hat sie sich immer mehr zurückgezogen, ihre sozialen Kontakte und Beziehungen vernachlässigt und verschiedene Ängste und psychosomatische Beschwerden entwickelt. Petra M. war zunehmend deprimiert, verlor den Glauben an sich selbst und an eine gute Zukunft.

Zahlreiche wissenschaftliche Studien weisen darauf hin, dass Langzeitarbeitslosigkeit ein erhebliches Gesundheitsrisiko darstellt. „Langzeitarbeitslose leiden öfter an psychischen, psychosomatischen oder generell körperlichen Erkrankungen. Doppelt so häufig wie Erwerbstätige“, fasst Professor Dr. Harald Gündel von der Universität Ulm aktuelle Ergebnisse zusammen. Er ist dort Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. „Viele Betroffene leiden unter Ängsten und Depressionen.“ Die Wechselwirkungen zwischen Arbeitslosigkeit und Krankheit sind dabei vielschichtig. Gesundheitsfördernde Maßnahmen können helfen, diesen Teufelskreis zu unterbrechen. „Hierbei müssen die Langzeitarbeitslosen vor allem dabei unterstützt werden, gesünder zu leben“, sagt Professor Gündel. „Das bedeutet gesündere Ernährung und mehr Bewegung und zwar nicht nur für kurze Zeit, sondern möglichst für immer.“ Gemeinsam mit Professor Dr. Peter Angerer, der an der Universität in Düsseldorf das Institut für Arbeits- und Sozialmedizin leitet, hat er mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) nachgewiesen, dass nachhaltig ausgerichtete gesundheitsfördernde Maßnahmen bei Langzeitarbeitslosen eben solche langfristigen Erfolge erzielen können.

In einer Studie beobachteten die Wissenschaftler Arbeitslose in München und Hannover, die das Angebot von Gesundheitsschulungen annahmen. „Über 70 Prozent unserer Studienteilnehmer sind seit fünf Jahren oder länger ohne Arbeit beziehungsweise haben noch nie in Deutschland gearbeitet. Die besondere Herausforderung ist es, diese Personen zu motivieren, ihr Verhalten zu verändern“, bemerkt Professor Gündel, der die Studie damals noch in Hannover leitete.

Gespräche und Aktivitäten – die zwei Bausteine der Gesundheitsschulung

Insgesamt nahmen 365 Arbeitslose, die Arbeitslosengeld II empfangen, besser bekannt als Hartz IV, an der Studie teil und erhielten das Angebot einer „Gesundheitsschulung“. Eine Kontrollgruppe musste ohne die Schulung auskommen. Die Schulung bestand aus zwei Bausteinen, die individuell und nach Bedarf angepasst werden konnten. Ein Modul beinhaltete motivierende Gesundheitsgespräche zwischen geschulten Trainern und Arbeitslosen. Beim zweiten Baustein fanden regelmäßige Gruppenaktivitäten statt wie bei spielsweise gemeinsames Einkaufen und Kochen. Aber auch Yoga-Übungen, Besuche von Gesundheitseinrichtungen sowie Gesundheitsgespräche wurden angeboten. Generell orientierten sich die Aktivitäten dabei stark an den Interessen der Teilnehmer. Die Schulungsleiter waren ausgebildete pädagogische Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Arbeitsagentur, die hauptamtlich für die Wiedereingliederung der Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt zuständig sind. Sie wurden im Vorfeld der Studie zu sogenannten „Gesundheitscoaches“ ausgebildet, die die Arbeitslosen motivieren und unterstützen sollten.

Bildquelle: fotolia
Regelmäßige Gruppenaktivitäten steigern das Wohlbefinden.

Positiver Trend: Gesunde Lebensweise steigert Arbeitsvermittlung

Das Ergebnis: „Schon nach drei Monaten fühlten sich die Langzeitarbeitslosen deutlich gesünder als Arbeitslose, die nicht an der Gesundheitsschulung teilgenommen haben“, weiß Professor Gündel. „Und mit einer weiteren Befragung nach einem Jahr konnten wir beweisen, dass diese Verbesserung nachhaltig ist!“ Die Studienteilnehmer und -teilnehmerinnen berichteten dabei seltener von Ängsten und Depressivität und nahmen ihre Situation als weniger aussichtslos wahr. Aber auch die als Gesundheitschoaches weitergebildeten Arbeitsvermittler fühlten sich durch dieses Projekt positiv motiviert und selbst weniger gestresst.

„Unsere Arbeit zeigt, dass gesundheitsfördernde Maßnahmen für Langzeitarbeitslose wirklich sinnvoll sind. Wir beobachten dabei auch den Trend, dass sich die insgesamt gesündere Lebensweise bei den Arbeitslosen positiv auf ihre Arbeitsvermittlung auswirkt“, freut sich Professor Gündel.

Petra M. ist auch froh, dass sie an der Studie teilgenommen hat. Sie traut sich wieder auf die Straße und blickt heute zuversichtlicher in die Zukunft. Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für diese positiven Ergeb nisse sind neben den Teilnehmern und Teilnehmerinnen die beteiligten Partner. „Wir freuen uns, dass uns so viele Partner bei der Studie unterstützt haben“, fügt Professor Gündel hinzu. „Sowohl in München als auch in Hannover wurden die Mitarbeiter in den Agenturen und JobCentern für unsere Schulungen freigestellt.“ Weitere Partner waren die AOK in Bayern, das Forschungsinstitut Betriebliche Bildung gGmbH in Nürnberg und das Ethno-Medizinische Zentrum (EMZ) in Hannover.

Einrichtungen des Münchner Beschäftigungs- und Qualifizierungsprogramm (MBQ) der Stadt München sowie des JobCenters in Hannover haben bereits einzelne Komponenten der Gesundheitsschulung in ihre regulären Maßnahmen übernommen. Und ein Folgeprojekt in Bayern untersucht den Effekt der Gesundheitsschulung jetzt gezielt bei arbeitslosen Jugendlichen.

Ansprechpartner:
Professor Dr. Harald Gündel
Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Universitätsklinikum Ulm
Albert-Einstein-Allee 23
89081 Ulm
Tel.: 0731 500-61800
Fax: 0731 500-61802
E-Mail: harald.guendel@uniklinik-ulm.de