Nur ein Schnupfen – oder mehr? Eine große epidemiologische Studie in und um Freiburg untersucht Ursachen für Infektanfälligkeit – Interview mit Dr. Alexandra Nieters

In dieser Jahreszeit ist es üblich, dass die Nase läuft! Doch was ist, wenn die Erkältung ständig wiederkehrt? Wenn Husten und Schnupfen sich als Dauergast zeigen? Welche Faktoren sind dafür verantwortlich, dass die meisten sich von ihrem Schnupfen schnell erholen, während andere tage- oder wochenlang auf Besserung warten? Warum erkranken überhaupt einige öfter als andere? Eine neue Studie, die am Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI) in Freiburg mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt wird, widmet sich nun deutschlandweit erstmalig dieser Fragestellung. (Newsletter 61 / Februar 2013)

Diese Studie heißt AWIS. Die Abkürzung steht für Atemwegsinfektanfälligkeits-Studie. Frau Dr. Alexandra Nieters vom Uniklinikum Freiburg leitet die Erhebung. Gewöhnlich stellt sie als Epidemiologin die Fragen. Wir drehen den Spieß nun um …

Frau Dr. Nieters, warum interessiert Sie, wie oft Menschen erkältet sind?

Privatdozentin Dr. Alexandra Nieters, Centrum für Chronische; Copyright: Alexandra NietersPrivatdozentin Dr. Alexandra Nieters, Centrum für Chronische ImmundefizienzNun, eine Erkältung oder auch ein Atemwegsinfekt wie der Mediziner sagt, ist für viele eine belanglose und leidlich weit verbreitete Erkrankung. Ist jemand aber öfters und stärker erkältet, so kann dies ein Anzeichen dafür sein, dass mit seiner Immunabwehr etwas nicht stimmt. Atemwegsinfekte stellen dabei in unserer Gesellschaft einen wesentlichen Anteil der Krankheitsfälle dar. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass unsere Gesellschaft insgesamt altert. Dabei kommt es häufiger zu einer wechselseitigen Beeinflussung von weiteren, oft chronischen Erkrankungen und der Neigung zu Atemwegsinfekten. Insgesamt gibt es vergleichsweise wenige Daten zur Häufigkeit einer Infektanfälligkeit in unserer Bevölkerung und zu den Faktoren, die für deren unterschiedliche Ausprägung verantwortlich sind. Das alles sind Gründe, warum wir endlich eindeutige Kennzeichen brauchen, um feststellen zu können, ob jemand aufgrund einer individuellen Veranlagung erkrankt ist oder nicht, und wie wir ihm oder ihr helfen können.

Was wollen Sie mit Ihrer Studie herausfinden?

Unsere Studie dient zunächst einmal dazu, eine Bestandsaufnahme zur Häufigkeit von Atemwegsinfekten in unserer Bevölkerung zu erheben und anhand der Daten festzustellen, wie viel Prozent der Bevölkerung von häufigen und/oder schwerwiegenden Infekten betroffen sind. In einem zweiten Schritt wollen wir eine Gruppe von Personen mit vielen beziehungsweise schwerwiegenden Infekten bezüglich einer Reihe von Faktoren vergleichen mit einer Gruppe von Menschen, die – trotz ähnlich häufigen Kontakts zu Erregern – nur selten Atemwegsinfekte bekommen. So wollen wir mögliche Risikofaktoren erkennen und – auf lange Sicht – Präventionsmaßnahmen entwickeln, die Menschen mit einer Abwehrschwäche vor den Folgen wiederkehrender Atemwegsinfekte schützen.

Wie wollen Sie das herausfinden? Fragen Sie jeden einzelnen Einwohner?

Wir haben tatsächlich über 70.000 zufällig ausgewählte Menschen in den Regionen Freiburg, Breisgau im Hochschwarzwald und Lörrach angeschrieben und gebeten, uns Fragen zu beantworten. In den Fragen geht es unter anderem um die Häufigkeit, den Schweregrad, die Dauer von Atemwegsinfekten der letzten zwei Jahre sowie das Vorliegen bestimmter chronischer Erkrankungen, die mit einer Infektneigung einhergehen. Wir fragen aber auch danach, wie häufig die Menschen Kontakt zu kleinen Kindern haben, die ja häufig die Überträger von Erregern sind, wie ich auch aus eigener Erfahrung berichten kann. Aus den Antworten zu bestimmten Fragen berechnen wir dann einen Wert, den so-genannten AWIS-Score. Ein hoher Wert deutet auf eine mögliche Infektneigung hin, wohingegen ein niedriger AWIS-Score eher dafür spricht, dass das Abwehrsystem gesund ist.

Wie viele Antworten liegen Ihnen schon vor?

Bildquelle: ThinkstockVon den 70.000 Personen haben circa 13.000 Menschen die Fragen beantwortet. Fast jeder Fünfte hat also direkt geantwortet. Das ist eine erfreulich hohe Teilnehmerzahl, mit der wir nicht unbedingt gerechnet hatten. Uns freut es, dass so viele Menschen an dieser Studie interessiert sind und uns unterstützen. Diese Personen haben größtenteils außerdem eingewilligt, dass wir sie gegebenenfalls noch mal kontaktieren dürfen, um sie für Folgeprojekte zum Thema Infektanfälligkeit einzuladen.

Wie geht es nun weiter?

Wir werten gerade die vielen Antworten aus und berechnen für alle einzelnen Teilnehmer und Teilnehmerinnen ihren jeweiligen AWIS-Score. Bei den Patienten mit einem besonders hohen beziehungsweise niedrigen Score wollen wir genauer schauen, warum das so ist. Dafür nehmen wir das Angebot der weiteren Kontaktaufnahme wahr. Wir schicken diesen Personen zurzeit umfangreichere Fragebögen zur Erfassung der Lebensgewohnheiten und anderer Faktoren und bitten um die Zustimmung, ihren Hausarzt zum Abgleich ihres Infektanfälligkeits-Status kurz zu befragen. Hier zeigt sich bei unseren ersten Teilnehmern eine erstaunlich hohe Übereinstimmung zwischen Arzt- und Selbstangaben. Diese Folgestudie nennen wir AWIS-Plus – nächstes Jahr werden die ersten Ergebnisse vorliegen. Außerdem haben uns viele Befragte Speichelproben geschickt, die wir für den Vergleich der Erbsubstanz beider Gruppen, der Infektanfälligen und der Nicht-Betroffenen, einsetzen. Wenn wir diese Proben untersuchen, hoffen wir herauszufinden, ob es auch eine genetische Vorbelastung für eine Infektneigung in der allgemeinen Bevölkerung gibt.

Wollen Sie noch ein paar abschließende Worte sagen?

Vor allem möchte ich mich auch im Namen des ganzen Studienteams bei allen Teilnehmern und Teilnehmerinnen bedanken sowie bei den Hausärzten und Hausärztinnen der Region, die uns wunderbar unterstützen. Wir hoffen mit diesem Ansatz, zur Klärung bisher offener Fragen zum Thema Infektanfälligkeit beitragen zu können. Wir planen derzeit, die Bevölkerung in unserer Region und hier ganz speziell unsere Studienteilnehmer regelmäßig über unsere Ergebnisse zu informieren – der erste Newsletter ist bereits geschrieben.


CCI – Abwehrschwäche im Fokus
Immundefizienz ist eine angeborene oder erworbene Erkrankung, bei der die körpereigene Abwehr über lange Zeit geschwächt ist. Oftmals handelt es sich hierbei um viele seltene Erkrankungen, die jede für sich nicht so häufig vorkommen, in ihrer Gesamtheit jedoch viele Patienten und Patientinnen betreffen. Erhöhte Infektanfälligkeit der Atemwege ist dabei mit Abstand die häufigste Beschwerde. Das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum für Chronische Immundefizienz (Centrum für Chronische Immundefizienz, kurz CCI) am Universitätsklinikum Freiburg erforscht die Ursachen, Risikofaktoren und die Behandlungen von Patienten mit einer Abwehrschwäche. Das Centrum hat sowohl neue Strukturen und Karriereperspektiven für junge Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen als auch neue Ansätze im gesamten Diagnose- und Behandlungspfad von immundefizienten Patienten geschaffen. Hierfür wird es seit 2008 mit bis zu fünf Millionen Euro jährlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Das CCI ist eins von insgesamt acht Integrierten Forschungs-und Behandlungszentren (IFB) in Deutschland. Jedes der für fünf Jahre geförderten Zentren hat dabei einen anderen Schwerpunkt. Dieses Jahr kann sich das CCI um eine Förderung für weitere fünf Jahre bewerben. 
Ansprechpartnerin:
Priv.-Doz. Dr. Alexandra Nieters
Centrum für Chronische Immundefizienz (CCI)
Molekulare Epidemiologie
Universitätsklinikum Freiburg
Engesser Straße 4
79108 Freiburg
Tel.: 0761 270-78150
Fax: 0761 270-77600
E-Mail: alexandra.nieters@uniklinik-freiburg.de