März 2021

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REGIMS-Register erhöht Therapiesicherheit bei Multipler Sklerose

Zur Behandlung von Multipler Sklerose (MS) werden seit einigen Jahren auch sogenannte Biologika eingesetzt. Das REGIMS-Register dokumentiert mögliche Nebenwirkungen dieser neuen Medikamentenklasse und stärkt so die Arzneimittelsicherheit in der MS-Therapie.
 

Grafische Darstellung des Abbaus des Schutzmantels um Nervenzellen bei Multipler Sklerose.

Der bei Multipler Sklerose fortschreitende Abbau des Schutzmantels der Nervenzellen kann mit biotechnisch hergestellten Medikamenten verlangsamt werden; sollten dabei Nebenwirkungen auftreten, wird dies im REGIMS-Register dokumentiert.

freshidea/AdobeStock

Die Autoimmunerkrankung Multiple Sklerose (MS) ist eine der häufigsten entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Doch trotz großer Forschungsanstrengungen sind ihre Ursachen und Verlaufsformen bis heute nicht ausreichend geklärt. Allerdings lässt sich der Krankheitsverlauf inzwischen in vielen Fällen positiv beeinflussen – immer mit dem Ziel, Selbstständigkeit und Lebensqualität der Betroffenen so lange und so gut wie möglich zu erhalten. Je früher eine auf das körpereigene Immunsystem einwirkende Behandlung einsetzt, desto höher sind auch die Chancen, ein Fortschreiten der MS zu verlangsamen. Hier kommen die sogenannten Biologika ins Spiel, eine neue Klasse therapeutischer Substanzen, die häufig mit großem biotechnologischem Aufwand hergestellt werden. Sie greifen, je nach Wirkmechanismus, direkt in das komplexe Immungeschehen bei Multipler Sklerose ein und haben zahlreiche neue Therapieoptionen eröffnet.

Grundsätzlich erfolgen alle Neuzulassungen eines Medikaments auf der Grundlage von klinischen Studien der Phase III, die eine Überlegenheit der neuen Substanz gegenüber einem Vergleichspräparat aufgezeigt haben. Auch die MS-Therapie stütze sich auf Erkenntnisse aus derartigen Studien, erläutert Professor Dr. Klaus Berger von der Universität Münster. Sein Team am Institut für Epidemiologie und Sozialmedizin ging bei der Pharmakovigilanz – also der Überwachung der Sicherheit eines Arzneimittels – von MS-Medikamenten neue Wege und baute das Immuntherapieregister REGIMS auf. Dort werden Häufigkeit, Charakteristika und Auswirkungen von Nebenwirkungen bereits bestehender und neuer Immuntherapien systematisch dokumentiert.

Multiple Sklerose

Die Multiple Sklerose (MS) zählt zu den häufigsten chronisch-entzündlichen Erkrankungen des zentralen Nervensystems. Hochrechnungen zufolge sind mindestens 200.000 Menschen in Deutschland von MS betroffen, zwei Drittel davon Frauen. MS wird auch als „Krankheit mit tausend Gesichtern“ bezeichnet, weil sie höchst unterschiedlich und nicht vorhersehbar verläuft. Sie geht mit einer Zerstörung des Schutzmantels der Nervenzellen einher, in der Fachwelt Myelinscheiden genannt. Bei jeder Patientin und jedem Patienten können individuelle Gewebeschäden und Vernarbungen in Gehirn und Rückenmark entstehen und unterschiedlich ausgeprägt sein. Die Symptome von MS reichen von einem leichten Kribbeln in Händen oder Füßen über Gefühlsverlust bis hin zu schweren Störungen des Sehvermögens und der Bewegungsfähigkeit. Die Krankheit verläuft meist in Schüben und ist nicht heilbar. Ursachen und Verlaufsformen von MS sind bis heute nicht ausreichend geklärt, der Krankheitsverlauf lässt sich aber in vielen Fällen positiv beeinflussen. Die medizinische Forschung setzt deshalb vor allem auf Verbesserungen bei der MS-Diagnose und -Therapie.

Lesen Sie mehr zu Multipler Sklerose und Erkrankungen des Gehirns in unserem Dossier.

Risikoprofile helfen bei individueller Behandlungswahl

Vor REGIMS erstreckte sich die Pharmakovigilanz vor allem auf spontane Berichte über Nebenwirkungen seitens der behandelnden Ärztinnen und Ärzte. Unerwünschte Wirkungen würden so aber nur unzureichend erfasst, unterstreicht Berger die Bedeutung des Registers: „Eine systematische, registerbasierte Erfassung möglicher Nebenwirkungen ist gerade beim Einsatz von Biologika in der MS-Therapie besonders wichtig. Schwerwiegende Nebenwirkungen sind zwar selten, treten aber oft erst nach längerer Zeit auf und können lebensbedrohlich sein.“ Eine standardisierte Dokumentation trage maßgeblich dazu bei, die Anwendungssicherheit von Medikamenten, auch von Substanzklassen wie Biologika, quantitativ und qualitativ deutlich zu verbessern. „Die teilnehmenden Zentren übermitteln die bei Routinebesuchen erfassten Nebenwirkungen direkt an unser Studienteam“, so Berger. „Darauf aufbauend konnten wir Risikoprofile für bestimmte Immuntherapien ermitteln, die nun als Grundlage für individuelle Therapieentscheidungen genutzt werden können.“

REGIMS

Über das REGIMS-Register wollen die Forschenden Anhaltspunkte gewinnen, wie MS-Patientinnen und -Patienten auf eine immuntherapeutische Behandlung mit Biologika ansprechen und welche Nebenwirkungen möglicherweise damit verbunden sind. Der Aufbau des Registers wurde zwischen 2016 und 2019 mit rund 498.000 Euro durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Ziel des Registers ist es, unbekannte Nebenwirkungen, die vor allem neue Therapien mit sich bringen können, frühzeitig zu erkennen.

Mehr zu REGIMS finden Sie hier.

Breite Mitwirkung von Betroffenen und Behandlungszentren

Das Team um Berger lud zunächst Kliniken, Ambulanzen und Schwerpunktpraxen zur Teilnahme ein, an denen Menschen mit diagnostizierter MS-Erkrankung mit einer Immuntherapie behandelt werden. Bis zum Ende der durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projektlaufzeit im Jahr 2019 konnten 1.450 Patientinnen und Patienten in das Register eingeschlossen werden; künftig soll es Angaben zu mehr als 3.000 Betroffenen aus 60 teilnehmenden Zentren umfassen.

Vor der Aufnahme in das Register füllen die behandelnden Ärztinnen und Ärzte sowie die Patientinnen und Patienten unabhängig voneinander zunächst einen Fragebogen zur Basiserhebung aus. Bei Folgeuntersuchungen in sechsmonatigen Abständen werden zudem soziodemografische und krankheitsspezifische Daten sowie potenzielle Nebenwirkungen erfasst. Dank der breiten Mitwirkung der Betroffenen an der Dokumentation ist es möglich, Auswirkungen der jeweiligen Therapie auf die Lebensqualität zu berücksichtigen. Regelmäßig werden aufgetretene Nebenwirkungen pseudonymisiert sowohl an die teilnehmenden MS-Zentren als auch an pharmazeutische Hersteller und Behörden gemeldet.

Monitoring wird mit der Zulassung neuer Substanzen immer wichtiger

Eine enge Zusammenarbeit kennzeichnet den Aufbau des REGIMS-Registers – Kooperationspartner kommen aus der Präventionsforschung, der Epidemiologie und der Pharmaindustrie. Gemeinsam mit der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) führen die Münsteraner Forscher derzeit Gespräche mit mehreren Pharmaunternehmen über eine längerfristige Finanzierung eines gemeinsamen Pharmakovigilanzregisters. „In den kommenden Jahren ist die Zulassung zahlreicher neuer Substanzen zur MS-Therapie zu erwarten, ein solches Monitoring wird also immer wichtiger werden“, betont Berger. Auch nach dem Auslaufen der BMBF-Förderung wird das REGIMS-Register deshalb für zunächst drei Jahre weitergeführt – mit Unterstützung des Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA).

Krankheitsbezogenes Kompetenznetz Multiple Sklerose

Um die Diagnostik und Behandlung der Multiplen Sklerose zu verbessern, haben sich Forschende im Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose (KKNMS) zusammengeschlossen. Das KKNMS ist interdisziplinär und bearbeitet Vorhaben in der Grundlagen- sowie der klinischen Forschung. Das Netzwerk mit Sitz in Münster ist eines von 21 Kompetenznetzen in der Medizin, die das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) initiierte, und wurde von 2009 bis 2019 mit rund 23 Millionen Euro gefördert.

Weitere Informationen zum KKN Multiple Sklerose finden Sie hier.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. med. Klaus Berger, MPH, MSc
Direktor des Instituts für Epidemiologie und Sozialmedizin der Universität Münster
Albert-Schweitzer-Campus 1, Gebäude D3
48149 Münster
bergerk@uni-muenster.de