Schneller zurück in den Alltag

Neue Computertechniken ermöglichen die Patientenvisite zu Hause statt in der Klinik
Liegezeiten im Krankenhaus verkürzen, die Behandlung effizienter gestalten – neue Konzepte, mit denen sich Kosten im Gesundheitswesen senken lassen, sind nötiger denn je. Die Uniklinik Bochum setzt dabei auf moderne Informations-und Telekommunikationstechnologie. Patienten werden mit Computer, Digitalkamera und Handy ausgerüstet und früher als gewöhnlich aus dem Krankenhaus entlassen. Ihre optimale Versorgung ist trotzdem sichergestellt. Denn die Klinikärzte betreuen die Patienten weiter und machen täglich Visite – Televisite.

Ralf K. sitzt am Couchtisch im Wohnzimmer. Sein linker Arm zeigt noch deutliche Spuren des Fahrradunfalls. Aus der Operationswunde ragen Fäden. Mit dem rechten Arm gibt er Antworten in einen kleinen Computer ein, wie jeden Tag nach seiner vorzeitigen Entlassung aus dem Krankenhaus: "Fieber? Nein. – Schmerzen? Nein. – Befinden? Gut. – Zufrieden? Ja." Dann fotografiert er mit einer Digitalkamera noch den frisch operierten linken Unterarm.
Anschließend sendet er die Daten an den Arzt im Krankenhaus, der ihn nach seinem Unfall operiert und betreut hat. Der schaut sich Patientendaten und Bilder an, wertet sie aus und gibt K. dann eine Rückmeldung über das weitere Vorgehen. Nachmittags haben beide noch einen Termin im so genannten Telewartezimmer des Systems vereinbart, um via Internet direkt Fragen miteinander zu klären. Dass K. so früh nach seinem Unfall schon zu Hause ist, verdankt er einer neuartigen Form der Patientennachsorge: der Televisite.
Momentan wird ihre Machbarkeit und Effektivität in einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Patientenstudie untersucht. Schon bald könnte sie auch im klinischen Alltag zum Einsatz kommen, vor allem bei jüngeren Patienten, die nach einem Unfall operiert werden mussten.

Behandlung zu Hause spart Kosten
"Ziel unserer seit Herbst 2002 laufenden Untersuchung ist es nachzuweisen, dass mithilfe der Televisite auch zu Hause eine sichere Versorgung der Patienten erreicht werden kann, die mit der Endphase einer stationären Behandlung vergleichbar ist", sagt der Leiter der Studie, Dr. Bernhard Clasbrummel von der Bergmannsheil Universitätsklinik Bochum.
Und neue Behandlungskonzepte, die Kosten sparen, sind dringend gefragt – vor allem solche, bei denen eine Behandlungsphase vom stationären in den ambulanten Bereich verlegt wird. Denn der Tagessatz für den Aufenthalt im Krankenhaus, also die "Hotelkosten" ohne medizinische Versorgung, liegt schon allein bei 150 bis 250 Euro. Und genau hier setzt die Televisite an. Sie nutzt moderne Informations- und Telekommunikationstechnologien, die es ermöglichen, dass ein Patient von zu Hause aus mit seinem Arzt oder dem Spezialisten in der Klinik kommunizieren und sich von ihm behandeln lassen kann.
Vorreiter für derartige telematische Anwendungen sind Flächenstaaten wie die USA, Kanada, Norwegen und Australien, die auf diese Weise medizinisch unterversorgte Gebiete erreichen und abdecken können.

Modernste Technik für Arzt-Patienten-Kontakt
Das Arzt-Patienten-System zur Televisite besteht aus mehreren Komponenten: Der Patient bekommt bei Entlassung aus dem Krankenhaus den Televisitenkoffer mit nach Hause. Er enthält einen kleinen Computer mit integriertem Handy sowie eine hochauflösende Digitalkamera. Damit kann der Patient klinisch relevante Daten dokumentieren, zum Beispiel zu Schmerzen, Befinden und Körpertemperatur, aber auch Bilder seiner Operationswunde aufnehmen und an den Arzt im Krankenhaus senden.
Die Informationen werden über das Handy an ein Service-Center geleitet, das die Organisation, die Verwaltung und den Ablauf der Betreuung sicherstellt. Es übernimmt außerdem die wichtige Sicherung und Verschlüsselung der Patientendaten. Die Entschlüsselung ist nur dem behandelnden Arzt möglich. Er kann die Daten im Krankenhaus an jedem Computer mit Internetzugang vom Service-Center abrufen und kommentieren. Somit hat außer ihm und dem Patienten niemand Zugriff auf die Informationen.

Optimale Betreuung auch nach dem Krankenhaus
"Die Patientenbehandlung soll heute so gut, effektiv und individuell wie möglich sein", sagt Clasbrummel. "Die Televisite kann diesen Trend technologisch unterstützen und bietet dabei viele Vorteile." So entfallen zum Beispiel für die Patienten lange Wartezeiten. Sie können das Krankenhaus eher verlassen, werden aber trotzdem nahtlos vom erstbehandelnden Arzt weiter betreut, der mit ihrem Krankenverlauf und der Operation am besten vertraut ist. Außerdem sind sie mobil und können früher ihr gewohntes Leben wieder aufnehmen. Darüber hinaus kann das heimische Umfeld bei vielen Patienten dazu beitragen, dass sie schneller wieder gesund werden. Für den Arzt besteht der Vorteil darin, dass er eine größere Anzahl von Patienten innerhalb eines kurzen Zeitraumes betreuen kann. Das spart Geld und lässt auch die Kostenträger profitieren.

Studie soll Stärken und Schwächen aufzeigen
Das Arzt-Patienten-System zur Televisite ist mit all seinen Komponenten und Funktionselementen bereits einsatzfähig. In einer Voruntersuchung konnten ein reibungsloser technischer Ablauf, eine sehr hohe Bildqualität und eine gute Bedienbarkeit des Gesamtsystems gezeigt werden.
Die laufende klinische Studie untersucht nun, ob auch eventuell eintretende Komplikationen wie Wundinfektionen oder Thrombosen mit der Televisite in den Griff zu bekommen sind. Darüber hinaus gehen die Wissenschaftler der Frage nach, inwieweit die Televisite den Rehabilitationserfolg beeinflussen kann. Dafür wird der Krankheitsverlauf anhand von regelmäßigen Bilddokumentationen erfasst. Eine Abschlussuntersuchung der Patienten sechs Monate nach der Operation soll dann zeigen, inwiefern diese neue Form der Versorgung die Rehabilitationszeit und damit auch die Arbeitsunfähigkeit verkürzen kann.
Außerdem wollen Clasbrummel und sein Team mithilfe von Fragebögen erfassen, wie zufrieden die Patienten mit der Televisite sind. Die Auswertung dieser Fragebögen soll darüber hinaus zeigen, wo die Stärken und Schwächen der Behandlungsform liegen. Mit einer Kosten-Nutzen-Analyse wollen die Wissenschaftler schließlich nachweisen, dass sich diese neue Form der Patientenversorgung auch gesundheitsökonomisch rentiert.

Ansprechpartner:
Dr. Bernhard Clasbrummel
Chirurgische Klinik und Poliklinik
Berufsgenossenschaftliche Kliniken
Bergmannsheil
– Universitätsklinik –
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1
44789 Bochum

Tel.: 0234/3 02-0
Fax: 0234/3 02-67 90
E-Mail: Bernhard.Clasbrummel@ruhr-uni-bochum.de