„Wachsamer für Stresssymptome werden“

Interview mit Prof. Dr. Arnold Lohaus, Fakultät für Psychologie und Sportwissenschaft, Universität Bielefeld

Wieso fühlen sich so viele Kinder und Jugendliche gestresst?
Heranwachsende sind heute hohen Anforderungen ausgesetzt. Was stresst, ist allen voran die Schule und die zu erbringenden Leistungen - sprich gute Noten. Ein weiterer wichtiger Stressor ist Zeitdruck: Viele Termine, der Tennistrainer wartet schon, hier noch eine Klavierstunde, dann der Tanzkurs. Kinder und Jugendliche sind heute sehr verplant und stehen bereits ebenso unter Freizeitstress wie Erwachsene. Die Eltern meinen es „nur gut“ und wollen mit umfangreichen Ausbildungs- und Freizeitaktivitäten „das Beste“ für ihr Kind erreichen. Im Gegensatz zu früher stehen Heranwachsende mehr im Mittelpunkt. In den Familien leben weniger Kinder und so konzentriert sich die Aufmerksamkeit voll auf sie. Was die Grundanspannung weiter erhöht, ist das umfangreiche Medienangebot. Dauerberieselung via MP3-Player, Fernseher und Computer, Videospiele - alles das steigert das Stressempfinden zusätzlich.

Wie sind die Stresssymptome zu erklären und wie lassen sie sich lindern?
Die Beschwerden resultieren aus der anhaltenden Aktivierung des Organismus. Die ständigen Belastungen versetzen das Nerven- und Hormonsystem in Daueralarm. Adrenalin und andere Stresshormone schießen ins Blut. Mit der Zeit bringt das den gesamten Körper aus dem Gleichgewicht - Schlafstörungen, Kopf- oder Bauchschmerzen sind einige der Folgen. Um diese zu lindern, empfiehlt sich zum einen ein besseres Zeitmanagement und zum anderen die Inanspruchnahme sozialer Unterstützung. Dazu kann auch gehören, sich gegebenenfalls an entsprechende Institutionen zu wenden - auch wenn die Hemmschwelle hierfür groß sein mag. Ein wichtiger Aspekt ist auch die innere Einstellung. Wenn es gelingt, die Sichtweise zu ändern, die eigene Person und Situation positiver zu bewerten, werden Stressfaktoren als weniger belastend empfunden.

Wodurch können Eltern und Erzieher das Stresserleben im Vorfeld verhindern?
Ziel ist nicht, nun sämtliche Anforderungen drastisch zu reduzieren. Denn schließlich soll Bewältigungsverhalten gelernt werden. Eltern und Erzieher sollten vielmehr wachsamer für mögliche Stresssymptome wie häufige Kopfschmerzen oder Schlafstörungen sein. Natürlich ist es auch wichtig, dass besonders die Eltern mit gutem Beispiel vorangehen: als positives Vorbild im Umgang mit Stress, das Gelassenheit vermittelt und vorlebt.

Was sind die Kernpunkte Ihres Stressbewältigungsprogramms?
Eines unserer wichtigsten Ziele ist es, dass die Jugendlichen lernen, problemlösungsorientiert zu denken. Sie sollen die Situation bewerten und nach möglichen Strategien zur Bewältigung der Anforderungen suchen. Dabei hilft auch die Stress-Schlange, die schrittweise Lösungsstrategien vermittelt. Ein zentraler Lerninhalt ist zudem die aktive Suche nach Unterstützung von außen. Nicht zuletzt ist es uns auch wichtig, die Fähigkeit zum positiven Denken zu steigern. Entspannungstechniken - wir bieten die Progressive Muskelrelaxation nach Jacobsen an - und Zeitmanagement stehen ebenso auf dem Stundenplan.

Was bringt das Trainingsprogramm im Internet?
Wie unsere Ergebnisse zeigen, einen wesentlich höheren Wissenszuwachs. Das onlinebasierte Training wird von den Jugendlichen deutlich besser bewertet. Allerdings sollte das Programm nicht ausschließlich im Internet angeboten werden. Denn damit würden viel weniger Jugendliche erreicht werden als mit der Kombination, wie sie jetzt eingesetzt wird.

Sind die Inhalte des Programms langfristig wirksam? Wie kann die Nachhaltigkeit der erlernten Strategien erhöht werden?
Aus unseren Untersuchungen wissen wir, dass bei Kindern noch mindestens sechs Monate und bei Jugendlichen noch mindestens drei Monate nach dem Training stabile Effekte nachzuweisen sind. Wie nachhaltig diese sind, bleibt zu prüfen. Der Nachweis einer darüber hinausgehenden Langzeitwirkung steht derzeit noch aus. Dabei ist uns bewusst, dass die Erwartungen nicht zu hoch angesetzt werden dürfen. Wenn es gelungen ist, die Haltung zu sich selbst und der Stress auslösenden Situation gegenüber zu verändern, wenn verinnerlicht wurde, dass bei stressbedingten Kopfschmerzen nicht gleich Tabletten einzunehmen sind, dann haben wir schon viel erreicht.