Wenn die Worte fehlen - Kommunikation mit demenzkranken Menschen verbessern

Dösen, erinnern oder aktiv sein – es gibt zahlreiche therapeutische Versuche, um Kommunikationsbarrieren zwischen Patientinnen und Patienten mit Demenz und ihren Mitmenschen zu überwinden. Doch welche Strategie hilft? (Newsletter 56 / März 2012)

Logo„Zunächst fehlten ihm nur die Worte. Dann wiederholte er immer wieder dieselben Fragen. Und jetzt kann er weder Worte formulieren, noch verstehen, was ich ihm sage.“ – So beschreibt eine Frau, wie sich die Verständigung mit ihrem an Alzheimer erkrankten Mann im Laufe der Zeit verändert hat. Prof. Dr. Johann Behrens vom Institut für Gesundheitsund Pflegewissenschaft der Universität Halle kennt die Probleme der Betroffenen und ihrer Angehörigen genau: „Eines der größten Probleme von Demenzkranken ist es, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, sich mitzuteilen, sich verständlich zu machen und auch zu verstehen. Wir alle missverstehen uns im Alltag gegenseitig und brauchen deshalb die Fähigkeit, Missverständnisse zu korrigieren. Diese Fähigkeit lässt nach, wenn wir an Demenz erkranken.“ Meist beginnen die Kommunikationsschwierigkeiten mit Wortfindungsstörungen, in späteren Stadien folgen dann Einschränkungen des Sprachverständnisses und Deutungsschwierigkeiten. „Demenzerkrankte und ihre Mitmenschen kommunizieren meist auf so unterschiedlichen Ebenen, dass ein gegenseitiges Verstehen oft schwer möglich ist“, beschreibt Professor Behrens. Stress, Abwehr, Angst, Rückzug und Sprachlosigkeit – das sind die Reaktionen vieler Demenzpatienten auf diese Kommunikationsbarrieren. „Deshalb ist es wichtig, die Betroffenen genau an diesem Punkt zu unterstützen“, sagt seine Kollegin Katharina Sadowski. Hierfür gibt es zahlreiche Therapieansätze. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) werden derzeit in einer Studie des Pflegeforschungsverbundes Mitte-Süd drei Strategien erprobt, um den kommunikativen Zugang zu Demenzpatienten zu verbessern:

Snoezelen*: Beim Snoezelen befinden sich die Patientinnen und Patienten in einem speziell gestalteten Raum, der durch Licht und Klang Wohlbefinden auslösen soll. Hierbei geht es um den bewussten Einsatz von Reizen, ohne dass es zu einer Reizüberflutung kommt. Ein Beispiel: Eine Bewohnerin liegt in der Badewanne und hört Entspannungsmusik. Dabei nimmt sie den langsamen Wechsel von Farbtönen an Wänden und Decke wahr. Oder: Ein Bewohner sitzt ganz bequem in einem Sessel und hält einen Gegenstand, zum Beispiel einen Besenkopf, in der Hand. Mit den Borsten stimuliert er seine Hände und konzentriert sich dabei auf rhythmische Trommelklänge.

* Das Wort „Snoezelen“ ist ein Kunstwort, das sich aus den niederländischen Wörtern „snuffelen“ (schnüffeln, schnuppern) und „doezelen“ (dösen, schlummern) zusammensetzt. Es hat Ähnlichkeit mit dem englischen Wort „to snooze“ (ein Nickerchen machen, die Zeit vertrödeln). Das Wort wird „snuselen“ ausgesprochen, mit einem gedehnten „u“.

Bildquelle: FotoliaErinnern Sie sich? Bei der Biographiearbeit regen zum Beispiel alte Fotos zum Erinnern an.Strukturierte Biographiearbeit: Hier werden durch Gespräche mit geschulten Pflegekräften bei den Betroffenen Erinnerungen geweckt. Hierfür stellen die Pflegekräfte Gegenstände zusammen, die die Betroffenen dazu anregen sollen, sich an ihre eigene Geschichte zu erinnern und Gefühle wahrzunehmen. Hat eine Bewohnerin zum Beispiel früher viel genäht, tragen die Pflegenden mit Hilfe der Kinder beispielsweise genähte Bezüge und Spitzendeckchen, Fotos oder Nähmaterial zusammen. Mit Fragen wird die Demenzkranke dann dazu motiviert, von ihren Erfahrungen und Erinnerungen mit dem Nähen zu erzählen.

10-Minuten-Aktivierung: In dieser Methode geht es in erster Linie um körperliche Bewegung, die dazu beitragen soll, das Erinnerungsvermögen zu fördern. Bewohner mit einer sehr geringen Konzentrationsspanne bekommen zum Beispiel einen Holzkochlöffel in die Hand gelegt, der gemeinsam in typischer Form bewegt wird. Durch die vertraute Bewegung werden Erinnerungen ausgelöst, über die gesprochen werden kann oder die einfach ein Lächeln auf das Gesicht des Bewohners zaubern.

Was zählt, sind Zeit und Geduld

An der Studie der Universität Halle beteiligen sich 20 Pflegeheime. Mehr als 300 Demenzkranke wurden – per Zufallsprinzip – in eine der drei Gruppen oder in eine Kontrollgruppe eingeteilt. In der Kontrollgruppe unterhielten sich die Pflegekräfte mit den Heimbewohnern über den Tag oder die Tagespresse. Mehr als 100 Pflegekräfte wurden in der Durchführung der unterschiedlichen Ansätze geschult. Ein Jahr lang „übten“ die Pflegerinnen und Pfleger ein- bis zweimal pro Woche mit ihren Patienten.

Bildquelle: Martin-Luther-Universität Halle-WittenbergLicht- und Klangeffekte erfüllen den Snoezelen-Raum.Das Ergebnis: Ob Snoezelen, Biographiearbeit oder Aktivierung – egal welcher therapeutische Ansatz genutzt wird, die Bewohner profitieren sehr von dem intensiven und individuellen Kontakt – das gilt auch für die Kontrollgruppe. Kein therapeutischer Ansatz wirkte besser als die Begegnungen in der Kontrollgruppe. „Einige Patienten, die bislang sehr zurückgezogen und apathisch wirkten, gingen im Laufe der Studie regelrecht aus sich heraus“, berichten Professor Behrens und seine Kollegin Sadowski. „Bei ihnen konnten seit langem bestehende Kommunikationsbarrieren überwunden werden.“ Es scheint also weniger auf den jeweiligen therapeutischen Ansatz anzukommen, sondern wie man mit den Betroffenen trainiert. Allein die intensivierten sozialen Kontakte mit den Pflegerinnen und Pflegern tragen dazu bei, die Verständigung zwischen den Patienten und ihren Mitmenschen zu verbessern und ihre Depressivität, Aggression und Apathie zu verringern. „Das Wichtigste ist also, sich mit Zeit und Geduld ganz individuell mit jedem einzelnen Demenzkranken zu befassen“, resümieren Professor Behrens und Frau Sadowski.


Demenz – eine „ver-rückte“ Welt

Die Demenz ist eine der häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Lebensalter. In Deutschland leben zurzeit schätzungsweise 1,3 Millionen Menschen mit einer Demenz. Jedes Jahr erkranken etwa 200.000 Menschen neu. Gerade im fortgeschrittenen Stadium der Erkrankung wächst die Bedeutung von Pflegeheimen zur Versorgung der Betroffenen: „Nach Schätzungen werden in Deutschland 40 Prozent aller Demenzkranken und mehr als 70 Prozent aller schwer demenziell erkrankten Menschen in Pflegeeinrichtungen versorgt“, sagt Professor Behrens.

Neben den kognitiven Störungen sind es vor allem die nicht-kognitiven oder sekundären Symptome einer Demenzerkrankung wie etwa Apathie, Angst, Depression und Aggressivität, die das Leben der Betroffenen und ihrer Angehörigen erschweren. Die Schwierigkeit sich verständlich zu machen und zu verstehen, behindert den kommunikativen Zugang der Betroffenen zu ihrer Umwelt ebenso wie umgekehrt. Oftmals bewegen sich die Betroffenen und ihre Mitmenschen auf unterschiedlichen Interpretationsebenen – wie in einer „ver-rückten“ Welt.

Ansprechpartner/-in:
Prof. Dr. Johann Behrens, Katharina Sadowski
Institut für Gesundheits- und Pflegewissenschaft
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Magdeburger Straße 8
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Tel.: 0345 557-4450
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