Die Versorgung der Menschen verbessern und die datenbasierte Gesundheitsforschung stärken – das sind die zentralen Ziele der Medizininformatik-Initiative des BMBF. Und das nicht nur in den Unikliniken, sondern pilothaft auch im „Krankenhaus nebenan“.
Unikliniken, Forschungseinrichtungen, Unternehmen: Wer treibt die Medizininformatik in Deutschland voran? Wo entstehen wegweisende IT-Lösungen – und wie verbessern sie die Versorgungspraxis?
Interaktive Karte „Medizininformatik in Deutschland“
BMBF
Die digitale Zukunft der Medizin hat längst begonnen. So können tragbare Sensoren die Vitaldaten zur Herzgesundheit von Patientinnen und Patienten mit Herzschwäche im häuslichen Umfeld erfassen und direkt an die Klinik übermitteln – Vorboten kritischer Entwicklungen sind so frühzeitig zu erkennen und Betroffene gezielt zu behandeln. Und intelligente Smartphone-Apps helfen Ärztinnen und Ärzten heute, in Notfallsituationen schnell die bestmöglichen Therapieentscheidungen zu treffen. Zentraler Wegbereiter für die Digitalisierung in der Medizin und die datenbasierte Gesundheitsforschung in Deutschland ist die Medizininformatik-Initiative (MII) des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF).
Wichtige Rohstoffe der digitalen Medizin sind Forschungsdaten – beispielsweise aus der Tumorforschung – und Daten aus der Versorgung der Patientinnen und Patienten, vom Blutwert aus dem Labor bis hin zur bildgebenden Diagnostik. Mithilfe intelligenter IT-Lösungen können Forscherinnen und Forscher in diesen Daten verborgene Muster aufspüren. Solche zuvor unbekannten Signaturen von Erkrankungen können helfen, Krankheiten früher zu erkennen oder Therapien auf einzelne Patientinnen und Patienten passgenau zuzuschneiden. Doch um solche Erkenntnisse aus Daten gewinnen zu können, bedarf es zunächst einer „digitalen Raffinerie“, die unterschiedlichste Daten in computerlesbare Informationen verwandelt und über sichere IT-Infrastrukturen miteinander vernetzt.
Den Grundstein legen: Daten nutzbar machen
Die MII vereint zahlreiche Akteure aus der medizinischen Forschung und der Gesundheitsversorgung. In vier Konsortien arbeiten alle Universitätskliniken Deutschlands mit Forschungseinrichtungen und Unternehmen zusammen. Im Dialog mit weiteren Akteuren – Krankenkassen, Patientenvertretungen und Ärzteverbänden – werden hier Daten aus unterschiedlichsten Quellen standardisiert und über die Grenzen von Institutionen und Standorten hinweg zusammengeführt. Die MII etabliert gemeinsam mit dem Netzwerk Universitätsmedizin medizinische Datenintegrationszentren und entwickelt innovative Softwarelösungen für die datenbasierte Gesundheitsforschung. Eine Koordinationsstelle organisiert die bundesweite Zusammenarbeit aller Akteure.
Mediathek: Medizininformatik – erklärt in 3 ½ min
Für das Wachstum und die Vernetzung einer zukunftsweisenden Forschungsdateninfrastruktur in Deutschland sind die Datenintegrationszentren der MII die idealen Ausgangspunkte. Das hat bereits 2021 ein externes Zwischen-Audit gezeigt.
Datenintegrationszentren der MII erstmals auditiert
Den Nutzen aufzeigen: Versorgungspraxis spürbar verbessern
Die Konsortien entwickeln IT-Lösungen für konkrete Anwendungen der Medizininformatik, im Fachjargon „Use Cases“ genannt. Mit diesen Anwendungsfällen zeigen sie den Mehrwert der Medizininformatik für Patientinnen und Patienten in der Praxis auf. Im Fokus stehen dabei ausgewählte Schwerpunkte – unter anderem aus den folgenden Bereichen:
Für eine personalisierte Krebstherapie müssen interdisziplinäre Behandlungsteams komplexe und vielfältige Informationen bewerten – von den genetischen Daten eines Tumors bis hin zu den Ergebnissen aus MRT-Untersuchungen. Das führt zu großen und komplexen Datenmengen. Virtuelle Austauschplattformen, auf denen die Daten aus unterschiedlichen Quellen übersichtlich dargestellt sind, sollen den Ärztinnen und Ärzten helfen, an allen Standorten schnell und sicher die jeweils erfolgversprechendste Therapieentscheidung zu treffen.
Ein computerbasiertes Frühwarnsystem soll die Übertragungen gefährlicher Keime in Krankenhäusern automatisch erkennen. Es soll helfen, Infektionen einzudämmen oder ihnen vorzubeugen. Zudem wird eine App entwickelt, die Ärztinnen und Ärzten in Krankenhäusern dabei hilft, Antibiotika zielgerichtet einzusetzen. Das trägt auch dazu bei, die Entstehung resistenter Keime zu verhindern.
Ein intelligentes elektronisches System sucht in den Routinedaten von Patientinnen und Patienten automatisch nach Anzeichen eines drohenden Lungenversagens. Wird das System fündig, sendet es sofort eine Nachricht auf die Dienst-Smartphones der behandelnden Ärztinnen und Ärzte – noch bevor sich der klinische Zustand der Betroffenen verschlechtert. Das Frühwarn-System verbessert auch die Versorgung von COVID-19-Patientinnen und Patienten.
Die Erkrankungen verlaufen von Fall zu Fall sehr unterschiedlich. Welches Medikament bei wem am besten wirkt, das müssen Ärztinnen und Ärzte oft mühsam herausfinden. Zudem verlieren die Arzneimittel im Verlauf der Erkrankungen ihre Wirksamkeit. Um das Zusammenspiel von Therapie und individuellem Krankheitsverlauf besser zu verstehen, werden die Daten vieler Einzelfälle zusammengeführt und von intelligenten Computerprogrammen analysiert. Die Ergebnisse sollen Ärztinnen und Ärzten helfen, die Medikamente im Laufe einer Behandlung gezielter und effizienter einzusetzen.
Die meisten Ärztinnen und Ärzte haben es in ihrer Berufspraxis kaum mehr als wenige Male mit Seltenen Erkrankungen zu tun. Umso schwieriger ist es, sie zu erkennen – und umso wichtiger, die vorhandenen Daten zu Seltenen Erkrankungen effizient zu nutzen. Dafür müssen die digitalen Dokumentationen einheitlich und maschinenlesbar sein. Dann können sie künftig standortübergreifend analysiert werden, um neue Forschungsprojekte für eine bessere Diagnostik und Therapie anzustoßen.
Verschiedene Arzneien können ihre Wirkung gegenseitig beeinflussen oder auch unerwünschte Nebenwirkungen auslösen. Betroffen sind insbesondere ältere Menschen, weil sie oft mehrere Medikamente zugleich einnehmen. Um mögliche unerwünschte Wechselwirkungen besser im Blick zu haben, sollen maßgeschneiderte IT-Lösungen klinische Daten über verordnete Medikamente analysieren und riskante Wirkstoffkombinationen aufspüren – um Patientinnen und Patienten davor besser schützen zu können.
Bioproben – von der Blutprobe bis zur Gewebebiopsie – fallen im Rahmen der normalen Behandlung in den Universitätskliniken an. Sie helfen den Ärztinnen und Ärzten, präzise Diagnosen zu stellen und Therapieverläufe zu dokumentieren. Gut konserviert lagern diese Proben in den Biobanken der Kliniken und können für weitere Forschungsfragen genutzt werden. Die Verknüpfung dieser Bioproben mit digitalen Informationen zu damit verbundenen Krankheiten und Therapien macht sie noch wertvoller für die Forschung und zu einem wichtigen Baustein des lernenden Gesundheitssystems.
Bevor neue Therapien den medizinischen Alltag verbessern, müssen klinische Studien nachweisen, dass die Neuerungen wirksam und verträglich sind. Diese Studien sind auf freiwillig Teilnehmende angewiesen, die – je nach Fragestellung der Studie – bestimmte Vorgaben erfüllen müssen, z.B. hinsichtlich ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen. Solche Teilnehmenden finden sich jedoch oft nur über einen längeren Zeitraum oder nicht in ausreichender Zahl. Die Folge: Die Zulassung neuer Therapien oder diagnostischer Verfahren verzögert sich. Eine Analyse von Routinedaten aus der klinischen Versorgung soll künftig helfen, geeignete Probandinnen und Probanden zielgerichtet und schneller zu finden, um ihnen die Möglichkeit zur Teilnahme an klinischen Studien anzubieten.
Innovationen zu den Menschen bringen – auch auf regionaler Ebene
Für viele Patientinnen und Patienten sind nicht die Universitätskliniken, sondern Arztpraxen und Krankenhäuser die erste medizinische Anlaufstelle. Eine besondere Herausforderung der MII besteht daher darin, auch Daten aus der regionalen Versorgung in die Anwendungsfälle einzubeziehen. Denn künftig sollen digitale Innovationen die Versorgung der Menschen auch im „Krankenhaus nebenan“ verbessern. Aufzuzeigen wie das konkret funktionieren kann, das ist die Aufgabe der vom BMBF geförderten Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit.
Digitale FortschrittsHubs Gesundheit
Datenschutz und Datensicherheit: Grundpfeiler der Initiative
Umfassender Datenschutz und Datensicherheit sind ein zentraler Erfolgsfaktor der MII. Die freiwillige und informierte Einwilligung der Patientinnen und Patienten ist die Voraussetzung dafür, dass ihre Daten für Forschungsprojekte genutzt werden dürfen. Die MII bindet Datenschutzbeauftragte, Ethikkommissionen sowie Vertreterinnen und Vertreter von Patientenorganisationen in ihre Planungen ein. Ausgewiesene IT-Expertinnen und Experten stellen sicher, dass die Patienteneinwilligungen sicher elektronisch dokumentiert und sorgfältig verwaltet werden. Die Patientinnen und Patienten können ihre Einwilligung jederzeit zurückziehen oder ändern.
Erklärfilm: Die Patienteneinwilligung der Medizininformatik-Initiative des BMBF
Das Deutsche Forschungsdatenportal für Gesundheit: Unterstützung Forschender – Transparenz für Bürgerinnen und Bürger
Nach der Einwilligung der Patientinnen und Patienten in die Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken entscheidet im nächsten Schritt jede Uniklinik, ob ein Forschungsprojekt die Daten ihrer Patientinnen und Patienten nutzen darf. Dabei prüft sie in jedem Einzelfall, ob das Projekt alle wissenschaftlichen, ethischen und datenschutzrechtlichen Standards erfüllt.
Damit Forschende auf der Suche nach für ihre Fragestellungen relevanten Daten nicht jede Klinik einzeln ansprechen müssen, wird die MII eine zentrale Anlaufstelle für sie einrichten: das Deutsche Forschungsdatenportal für Gesundheit. Es soll aber nicht nur den Forschenden helfen, die richtigen Daten für ihr Projekt zu finden. Das Portal soll auch in der Öffentlichkeit Transparenz schaffen. Dafür wird es interessierte Bürgerinnen und Bürger über alle laufenden Projekte informieren, die mit Patientendaten aus den Datenintegrationszentren der MII forschen.
Alle Patientendaten werden verschlüsselt. Das bedeutet, dass alle eine Person identifizierenden Angaben aus den Datensätzen entfernt werden, wie zum Beispiel Name, Geburtsdatum und Wohnort. Die Datensätze, mit denen die Forscherinnen und Forscher arbeiten, ermöglichen also keine Rückschlüsse auf bestimmte Personen. Nur wenn Patientinnen und Patienten es ausdrücklich wünschen, können ausgewählte Daten zu ihnen zurückverfolgt werden. Dadurch können Betroffene über neue und wichtige medizinische Zusatzbefunde informiert werden, die sich bei der Datenanalyse ergeben können. Diese Identifizierung ist nur über eine unabhängige Treuhandstelle möglich.
Indem Patientinnen und Patienten heute die Nutzung ihrer Daten zu Forschungszwecken erlauben, tragen sie dazu bei, dass zukünftige Patientinnen und Patienten von besseren Präventions-, Diagnose- und Therapieansätzen profitieren.
Medizininformatik-Initiative – die Eckdaten
Daten vernetzen, Gesundheitsversorgung verbessern – dafür stehen die MII und die Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit der Bundesregierung. Das Förderprogamm ist modular aufgebaut: