April 2019

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Akute myeloische Leukämie: Antidepressivum macht Hoffnung auf verträglichere Therapie

Die akute myeloische Leukämie (AML) ist die aggressivste Blutkrebsform bei Erwachsenen. Im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) wird in einer klinischen Studie getestet, ob ein Antidepressivum die Krebszellen ausbremsen kann.

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Auslöser der AML sind Stammzellen des Knochenmarks, die sich ungehemmt zu unreifen Vorläuferzellen teilen, statt zu roten und weißen Blutkörperchen auszureifen. Mittels Chemotherapie versuchen Ärztinnen und Ärzte, die Leukämiezellen so weit zurückzudrängen, dass sie in Knochenmarkproben fast nicht mehr nachweisbar sind. In vielen Fällen überleben jedoch einzelne Zellen – die Krankheit kann daher wieder aufflammen. Zwar kann einigen Betroffenen auch in solchen Fällen noch mit Knochenmark- und Stammzelltransplantationen geholfen werden, aber selbst die derzeit effektivsten Therapiemethoden schlagen nicht bei allen Patientinnen und Patienten an. Neue Behandlungsmöglichkeiten werden daher dringend gebraucht.

Eine Option sind sogenannte LSD1-Hemmer. Das Enzym Lysin-spezifische Demethylase 1 (LSD1) beeinflusst die Verpackung des Erbguts und verändert damit das Ablesen entscheidender Gene. Es spielt auch eine wichtige Rolle bei der Ausreifung von Blutzellen. LSD1-Hemmer können in Mäusen die ungehemmte Teilung der Krebszellen ausbremsen, indem sie die Ausreifung von Leukämiezellen wieder aktivieren.

Leukämiezellen

Ausreifung von Leukämiezellen unter Behandlung mit Tranylcypromin. Nach vier Tagen Behandlung mit Tranylcypromin reifen Leukämiezellen von Mäusen (links) wieder zu Zellen heran, die normalen Blutzellen ähneln (rechts).

Universität Freiburg

Krebserkrankte können von zugelassenen Medikamenten profitieren

Zufällig gab es mit dem Medikament Tranylcypromin (TCP) bereits einen gut verträglichen LSD1-Hemmer, der schon seit Jahren in der Psychiatrie für die Behandlung von Depressionen zugelassen war. „In Zellkulturen und Mäusen konnten wir zeigen, dass sich mit TCP auch das Wachstum von AML-Zellen ausbremsen lässt, insbesondere wenn man die Behandlung mit dem Vitamin-A-Abkömmling ATRA kombiniert“, erklärt Dr. Tobias Berg, der als Arzt am Universitätsklinikum Frankfurt die molekulare Wirkung von LSD1-Hemmern an Labormodellen testet.

Professor Dr. Manfred Jung, Professor Dr. Michael Lübbert

Prof. Dr. Manfred Jung (links),
Prof. Dr. Michael Lübbert (rechts)

Universitätsklinikum Freiburg

Im DKTK wird deshalb in einer klinischen Studie (TRANSATRA) geprüft, inwieweit die Kombinationstherapie von TCP und ATRA den Erfolg einer Chemotherapie verbessert. „Ein großer Vorteil ist, dass die Nebenwirkungen von TCP bereits sehr gut erforscht sind“, sagt Professor Dr. Michael Lübbert, Leiter der klinischen Studie am Universitätsklinikum Freiburg. „In die Verträglichkeitsstudie haben wir 22 Patientinnen und Patienten eingeschlossen und alle haben die Behandlung vertragen. Auch bei hohen Dosen konnten wir keine gravierenden Nebenwirkungen feststellen.“ Nach diesem erfolgreichen Abschluss werden jetzt weitere Teilnehmende gesucht, um die Wirksamkeit des Medikamentes zu untersuchen.

Könnte AML mit diesem Ansatz vollständig geheilt werden? „Das wäre unrealistisch“, sagt Lübbert. „Aber wenn wir die AML-Zellen im Knochenmark stark zurückdrängen und die Produktion von gesunden Blutzellen anstoßen können, ist den Patientinnen und Patienten bereits sehr geholfen.“ Ihr Immunsystem könnte dann zum Beispiel wieder besser gegen Infektionen vorgehen. „Darüber hinaus kann eine gut verträgliche Behandlung der AML eine sehr sinnvolle Zwischentherapie sein, damit die Betroffenen in einem gutem Allgemeinzustand bleiben, bevor sie eine Blutstammzelltransplantation erhalten“, ergänzt Lübbert.

Labor und Klinik arbeiten Hand in Hand

Dr. Tobias Berg

Dr. Tobias Berg

T. Berg/ Universitätsklinikum Frankfurt

Wie wertvoll es ist, wenn Mediziner in der Klinik eng mit Forschern im Labor zusammenarbeiten, zeigen die aktuellen Ergebnisse von Berg und seinen Kolleginnen und Kollegen. In einem kooperativen Projekt mit den Gruppen von Roland Schüle, Manfred Jung, Michael Lübbert und Cyrus Khandanpour konnten sie in Maus- und Zellmodellen zeigen, dass nur ganz bestimmte LSD1-Hemmer auch das Wachstum der Leukämiezellen stoppen. Die beste Wirksamkeit zeigte ein chemischer Abkömmling von TCP. „LSD1-Hemmer inaktivieren das Enzym auf unterschiedliche Weise und können dadurch unterschiedliche molekulare Antworten in den Zellen auslösen“, erklärt Berg. „Das könnte auch erklären, warum die Behandlung mit LSD1-Hemmern bisher nur bei einigen Unterformen der AML anschlägt.“

Die neuen Inhibitoren für seine Tests erhält Berg aus Freiburg. Das Institut für Pharmazeutische Wissenschaften der Universität Freiburg stellt dort unter der Leitung von Professor Dr. Manfred Jung mithilfe von Strukturanalysen optimierte TCP-Varianten her. „Das Interesse an dieser Wirkstoffgruppe ist groß, und weitere TCP-Varianten werden auch von Pharmafirmen bereits in klinischen Studien in der Krebstherapie getestet“ sagt Jung.

Grundlagenforschung, Pharmazie und klinische Praxis arbeiten so Hand in Hand. „Die Entwicklung therapeutischer Ansätze verläuft nicht nur in Richtung Klinik, sondern geht auch immer wieder zurück ins Labor, um die Behandlungen zu optimieren“, betont Berg. In der aktuellen Studie will er mithilfe genetischer Analysen klären, warum die Behandlung bei manchen Patientinnen und Patienten besser anschlägt als bei anderen. „Wir werden vor und nach der Behandlung Zellen entnehmen, um vergleichen zu können, welche Gene in den Zellen der Betroffenen dadurch an- und ausgeschaltet werden. So werden wir hoffentlich in Zukunft vorhersagen können, welche Patientinnen und Patienten auf die Therapie ansprechen.“

Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)

Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung, kurz DKTK, ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gemeinsam mit den Sitzländern gefördert werden. Im DKTK bündeln Forscherinnen und Forscher aus mehr als 20 universitären und außeruniversitären Einrichtungen in ganz Deutschland ihre Kräfte im Kampf gegen Krebserkrankungen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg verbindet sich als Kernzentrum mit sieben universitären Partnerstandorten im Konsortium mit einigen der stärksten Krebsforschungs- und Krebstherapiezentren in Deutschland.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Lübbert
Universitätsklinikum Freiburg
Klinik für Innere Medizin I
Hämatologie, Onkologie und Stammzelltransplantation
Hugstetter Straße 55
79106 Freiburg
michael.luebbert@uniklinik-freiburg.de

Prof. Dr. Manfred Jung
Institut für Pharmazeutische Wissenschaften
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Albertstraße 25
79104 Freiburg
manfred.jung@pharmazie.uni-freiburg.de

Dr. Tobias Berg
Universitätsklinikum Frankfurt
Medizinische Klinik II – Hämatologie/Onkologie
t.berg@med.uni-frankfurt.de

Pressekontakt:
Dr. Alexandra Moosmann
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
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