Thorsten betritt den Raum – Gelächter, angeregte Gespräche, fröhliche Stimmung. Was bei den anderen Partygästen für gute Laune sorgt, macht Thorsten Angst. Der Schweiß steht ihm auf der Stirn. Sein Mund ist trocken. Das Herz rast. Warum tue ich mir das an, fragt er sich insgeheim. (Newsletter 70 / Oktober 2014)
Was für die anderen Spaß bedeutet, ist für Thorsten purer Stress. Er leidet unter sozialer Phobie. Von dieser häufigsten Form der Angststörung sind in Europa etwa zehn Millionen Menschen betroffen. Eine soziale Phobie beginnt oft schon im Jugendalter, auch bei Thorsten. Er merkte schon in der Pubertät, dass er – ganz im Gegensatz zu seinen Klassenkameradinnen und -kameraden – nicht gerne im Mittelpunkt steht, sogar Angst davor hat.
Menschen mit sozialer Phobie haben Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen. Stets haben sie Sorge, sich peinlich oder beschämend zu verhalten. Häufig vermeiden sie deshalb, an Partys, Konferenzen oder Fortbildungen teilzunehmen, vor anderen Personen zu sprechen oder in der Öffentlichkeit zu essen oder zu trinken. „Die gute Nachricht ist: Eine soziale Phobie ist überwindbar. Besonders gut geeignet für die Behandlung sozialer Ängste ist die Psychotherapie“, erklärt Professor Dr. Falk Leichsenring. Er leitet den vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Forschungsverbund zur Psychotherapie der Sozialen Phobie, kurz SOPHO-NET. Die beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befassen sich mit dem Verständnis und der Behandlung der sozialen Phobie. Eine großangelegte multizentrische Studie des SOPHO-NET wurde kürzlich erfolgreich abgeschlossen. Mit ihr untersuchten die Forscher die Wirksamkeit von Psychotherapien bei Menschen mit sozialer Phobie.
Weltweit eine der größten Studien zur Psychotherapie
Was für die einen Spaß bedeutet, ist für Menschen mit sozialer Phobie purer Stress. Sie haben Angst, im Zentrum der Aufmerksamkeit zu stehen.Fast 500 Patientinnen und Patienten nahmen an der Studie teil. „Unsere Studie ist damit eine der größten Studien zum Thema Psychotherapie weltweit“, sagt Leichsenring. Die Studienteilnehmenden wurden zufällig in eine von drei Gruppen eingeteilt. Entweder erhielten sie über einen Zeitraum von 10 Monaten eine kognitive Therapie, eine psychodynamische Therapie oder wurden ohne psychotherapeutische Behandlung auf eine Warteliste platziert. Nach Ablauf des Behandlungszeitraums wurden die Teilnehmenden zwei Jahre lang wissenschaftlich beobachtet und nach ihren Ängsten befragt.
Die Ergebnisse sind eindeutig: Eine Psychotherapie trägt dazu bei, dass sich die sozialen Ängste der Betroffenen deutlich verbessern. Ihre depressive Stimmung bessert sich und die klinischen Symptome nehmen ab oder verschwinden ganz. Auch zwei Jahre nach Therapieende profitieren fast 70 Prozent der Patientinnen und Patienten von der Behandlung. Dabei ist es egal, welche Form der Psychotherapie die Phobiker erhalten. Beide sind gleich erfolgreich. „Die soziale Phobie kann also sowohl mit einer kognitiven Therapie, als auch mit einer psychodynamischen Therapie erfolgreich behandelt werden. Klar ist: Einfach ohne jegliche Psychotherapie abzuwarten, ist keine sinnvolle Alternative, um soziale Ängste in den Griff zu bekommen“, betont Leichsenring.
Bei der kognitive Therapie stehen in erster Linie die Gedanken der Betroffenen im Vordergrund. Gemeinsam mit den Therapeuten versuchen die Patientinnen und Patienten zu verstehen, wie die Gedanken ihre Gefühle und ihr Verhalten bestimmen. Die psychodynamische Therapie hat sich aus der Psychoanalyse heraus entwickelt. Diese Therapieform befasst sich mit den unbewussten Konflikten, die den Symptomen der sozialen Phobie zugrunde liegen. Derzeit werden im SOPHO-NET noch weitere Studien durchgeführt.
„Das sind beispielsweise Studien zur Frage, welche Patienten von welcher Therapie besonders profitieren, Studien zum Transfer der erzielten Ergebnisse in die klinische Praxis, Studien zur Wirksamkeit von Psychotherapien bei Jugendlichen mit sozialer Phobie, zu genetischen Charakteristika von sozialer Phobie sowie zu den Kosten und Nutzen von Psychotherapie bei sozialer Phobie“, fasst Leichsenring zusammen.
Auch Thorsten hat an der Studie des SOPHO-NET teilgenommen. Ihm geht es seit der intensiven Psychotherapie viel besser. Er freut sich zwar nicht auf die nächste Einladung zu einer Geburtstagsfeier. Aber Angst hat er jetzt nicht mehr davor.
Kontakt:
Prof. Dr. Falk Leichsenring
Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie
Universitätsklinikum Gießen und Marburg
Friedrichstraße 33
35392 Gießen
Tel.: 0641 99-45660
Fax: 0641 985-45609
E-Mail: Falk.Leichsenring@psycho.med.uni-giessen.de