Anregende Umgebung hält das Gehirn jung - Wie das Gehirn flexibel bleibt

Ob Fremdsprache, Musikinstrument oder Rollschuhfahren – was Kinder meist im Handumdrehen lernen, ist für Erwachsene oftmals schwierig. Der Grund: Die Anpassungsfähigkeit und Flexibilität unseres Gehirns nimmt mit dem Alter ab. Diese jugendlichen Eigenschaften sind jedoch gerade nach einer Verletzung des Gehirns, wie zum Beispiel nach einem Schlaganfall, besonders wichtig für die Genesung. Jetzt gibt es Belege, was das Gehirn auch im fortgeschrittenen Alter jung und flexibel halten kann: das Aufwachsen in einer interessanten und anregenden Umgebung. (Newsletter 69 / August 2014)

Laufräder, Labyrinthe, Rutschen, Treppen und viele Möglichkeiten für soziale Interaktionen – wachsen Mäuse in großen Käfigen mit einer solch abwechslungsreichen Umgebung auf, hält das ihr Gehirn jung. Auch ältere Tiere zeigen dann eine so hohe Anpassungsfähigkeit ihres Gehirns wie sonst eigentlich nur Jungtiere. „Aktivität in einer interessanten Umwelt scheint das Wichtigste zu sein, um das Gehirn jung zu halten“, sagt Professorin Dr. Siegrid Löwel. Sie ist Neurobiologin an der Universität Göttingen und hat mit ihrem Team die neuronale Aktivität in der Sehrinde von Mäusen – einer Hirnregion, die visuelle Informationen verarbeitet – in verschiedenen Umgebungen untersucht.

Bildquelle: Georg-August-Universität Göttingen
Eine anregende Umwelt hält Mäuse jung.

Schäden eines Schlaganfalls vorbeugen

Das Ergebnis: Eine Kombination von körperlichen, sozialen und kognitiven Umweltreizen steigert tatsächlich die Hirnfunktion der Tiere. Wuchsen die Mäuse in den abwechslungsreichen Käfigen auf, zeigte ihre Sehrinde auch im Erwachsenenalter noch eine ausgeprägte neuronale Plastizität, wie die Anpassungsfähigkeit des Gehirns im Fachjargon genannt wird. Doch auch ältere Tiere profitierten von dieser anregenden Umgebung. Setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Mäuse erst in fortgeschrittenem Alter, wenn die Plastizität der Sehrinde üblicherweise schon verloren gegangen ist, in die größeren Käfige, konnte die Plastizität wiederhergestellt werden. „Das heißt, eine abwechslungsreiche Umgebung kann die jugendliche Anpassungsfähigkeit des Gehirns nicht nur bis ins Erwachsenenalter bewahren, sondern auch wiederherstellen“, fasst Dr. Franziska Greifzu, die Erstautorin der Studie, zusammen.

„Besonders beeindruckend war, dass die Plastizität der Sehrinde bei Tieren auch nach einem Schlaganfall erhalten blieb, wenn sie in der angereicherten Umgebung lebten. Nach einem Schlaganfall ist die Plastizität des Gehirns im Normalfall deutlich beeinträchtigt. Es scheint also tatsächlich so zu sein, dass die stimulierende Umwelt das Gehirn der Mäuse jung und damit flexibler hält“, so Löwel. Die Studie wurde in der Fördermaßnahme Bernstein Fokus „Neuronale Grundlagen des Lernens“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) durchgeführt.

Rätsel, Kartenspiel und Tanzen halten fit

Bildquelle: ThinkstockKartenspielen mit Freunden – eine Möglichkeit, um körperlich, geistig und sozial aktiv zu bleiben.Was für Mäuse gilt, lässt sich natürlich nicht zwangsläufig auf den Menschen übertragen. Dennoch weist die Wissenschaftlerin darauf hin, „dass es schon etliche Studien gibt, die zeigen, wie wichtig auch beim Menschen regelmäßige körperliche, geistige und soziale Betätigung ist − nicht nur für die Gesunderhaltung des Körpers, sondern auch für die Gesunderhaltung des Gehirns.“

Ob die Ergebnisse der Schlaganfallstudie auch auf den Menschen übertragen werden können, wurde noch nicht untersucht. „Es besteht jedoch die begründete Hoffnung, dass wir unser Gehirn jung halten und den Schäden eines Schlaganfalls vorbeugen könnten, wenn wir unser ganzes Leben hindurch körperlich und geistig aktiv und sozial integriert sind“, sagt Löwel. Was für die Mäuse Laufrad, Labyrinth und
 Co. sind, könnte für uns Menschen zum Beispiel das Lösen von Kreuzworträtseln, Kartenspiele mit Freunden und regelmäßige ausgedehnte Spaziergänge oder Tanzen sein. „Um unser Gehirn fit zu halten, sollten wir verschiedene körperliche, soziale und kognitive Komponenten einer angereichten Umgebung in unseren Alltag integrieren. Und damit sollten wir nicht erst im Alter beginnen“, empfiehlt Löwel. „Ich schwinge mich jetzt auch selbst wieder öfter aufs Fahrrad.“

Ansprechpartnerin:
Prof. Dr. Siegrid Löwel
Georg-August-Universität Göttingen
Abteilung Systemische Neurobiologie
Von-Siebold-Straße 6
37075 Göttingen
Tel.: 0551 39-20161
Fax: 0551 39-20162
E-Mail: sloewel@gwdg.de  
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