April 2019

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Ausbreitung von gefährlichen Viruserkrankungen verhindern

Das MERS-Coronavirus ist sehr gefährlich. Um eine großflächige Ausbreitung des Virus zu verhindern, entwickeln Forschende aus Göttingen ein Testsystem, mit dem sie Virusvarianten mit einer hohen Übertragungsrate frühzeitig identifizieren können.

Dromedare

Dromedare werden in den arabischen Ländern unter anderem für den Rennsport gehalten. Mit MERS infizierte Tiere leiden häufig nur unter einem harmlosen Schnupfen. Wenn sich der Mensch infiziert, kann es zu schweren Lungenerkrankungen kommen.

typhoonski/iStock

Das Middle East Respiratory Syndrome (MERS) ist eine schwere Lungenerkrankung, die von einem Virus – dem MERS-Coronavirus – ausgelöst wird. Etwa 2.000 Menschen haben sich bislang mit diesem gefährlichen Virus infiziert, überwiegend auf der Arabischen Halbinsel. „Die Viren werden zumeist von infizierten Dromedaren auf den Menschen übertragen. Dromedare werden in den arabischen Ländern zur Fleischgewinnung oder für den Rennsport gehalten. Da die Tiere häufig nur unter einem harmlosen Schnupfen leiden, wird die Infektion bei ihnen oft nicht oder zu spät erkannt“, weiß Professor Stefan Pöhlmann, Infektionsbiologe vom Deutschen Primatenzentrum, Leibniz-Institut für Primatenforschung in Göttingen. „Große, überregionale Erkrankungswellen sind bislang aber glücklicherweise ausgeblieben. Denn das Virus wird derzeit nicht effizient von einem Menschen auf den anderen übertragen, ganz im Gegensatz zu Grippeviren beispielsweise.“

Coronaviren

Zu der Familie der Coronaviren gehören – neben dem MERS-Coronavirus – weitere meist harmlose Erkältungsviren. Aber auch das gefürchtete SARS-Coronavirus ist Teil dieser Familie. In den Jahren 2002 und 2003 kam es zu einem großen SARS-Ausbruch in China, der in weitere Länder verschleppt wurde und in dessen Folge fast 800 Menschen starben.

Das MERS- und das SARS-Coronavirus werden initial von Tieren auf den Menschen übertragen. In der Fachsprache werden diese Infektionen als zoonotische Erkrankungen bezeichnet. Für Tiere sind diese Viren weitgehend ungefährlich, während infizierte Menschen schwer erkranken können.

Doch das Erbgut des MERS-Coronavirus verändert sich, es mutiert. Dadurch könnten Virusvarianten entstehen, die leichter von Mensch zu Mensch übertragen werden. Dass diese Gefahr besteht, zeigt ein Ausbruch aus dem Jahr 2015: Ein einziger infizierter Reisender, der zuvor die Arabische Halbinsel besucht hatte, löste eine Infektionskette mit 186 Patientinnen und Patienten aus. 38 von ihnen verstarben. Dabei wurden auch Virusvarianten übertragen, die bis dahin unbekannte Mutationen trugen. „In Südkorea wurde das Virus direkt von einem Menschen auf den anderen übertragen. Dadurch steigt die Gefahr enorm, dass sich das Virus noch besser an den Menschen anpasst und sich großflächig ausbreitet. Wir brauchen ein Testsystem, um entsprechende Virusvarianten frühzeitig zu identifizieren. Denn dann können wir geeignete Gegenmaßnahmen einleiten und die Ausbreitung eindämmen“, erläutert Dr. Markus Hoffmann, ein Mitarbeiter der Forschungsgruppe aus Göttingen. Die Entwicklung dieses Testsystems wird als Teil des Forschungsverbundes „RAPID – Risikobewertung bei präpandemischen respiratorischen Infektionserkrankungen“ durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert.

Virusaktivierung als Ansatzpunkt für das Testsystem

Damit sich das MERS-Coronavirus im Körper vermehren kann, nutzt es – wie alle Viren – bestimmte Proteine und Enzyme seines Wirtes. Das Team um Stefan Pöhlmann konnte zeigen, dass das Wirtsenzym TMPRSS2 das virale Spike-Protein in der Virushülle spaltet und es so aktiviert. Nun untersuchen die Forschenden, ob Varianten des MERS-Coronavirus dieses Wirtsenzym unterschiedlich effizient nutzen – und ob das die Übertragbarkeit beeinflusst. „Falls dem so ist, könnte ein Testsystem hier ansetzen: Es könnte die Effizienz der TMPRSS2-Nutzung messen und dadurch Vorhersagen zur Übertragbarkeit ermöglichen“, erklärt Hannah Kleine-Weber, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit entsprechende Untersuchungen durchführt. Die Stelle, an der TMPRSS2 das Spike-Protein des Virus spaltet, haben die Forschenden bereits identifiziert. „Daher wissen wir auch, welche Strukturen wir im Blick haben müssen, um Virusvarianten zu erkennen, die effektiver gespalten werden“, ergänzt die Wissenschaftlerin.

Um ihren Ansatz zu überprüfen, verwenden die Forscherinnen und Forscher zunächst defekte Viren, die das Spike-Protein tragen, aber vermehrungsunfähig sind und von denen somit keine Gefahr ausgeht. Mithilfe dieser Partikel und des neu entwickelten Zellkultursystems können Varianten des Spike-Proteins identifiziert werden, die eine veränderte TMPRSS2-Nutzung zeigen. Anschließend werden die entsprechenden Virusvarianten hergestellt. In Zellkulturen und im Tiermodell wird dann untersucht, inwieweit die Effizienz der TMPRSS2-Nutzung und die Übertragbarkeit zusammenhängen.

TMPRSS2 als mögliches Ziel für Medikamente

Doch nicht nur das MERS-Coronavirus nutzt TMPRSS2 für seine Vermehrung. Auch andere Viren werden im Körper so aktiviert, unter anderem das Influenza-A-Virus, der Auslöser der Grippe. Das Testsystem könnte daher zukünftig auch Vorhersagen zur Übertragbarkeit von anderen, deutlich häufiger auftretenden Viren ermöglichen.

Infektionsversuche mit Nagern legen zudem nahe, dass TMPRSS2 ein guter Angriffspunkt für Medikamente sein könnte. „Im Tiermodell unterdrückt ein Hemmstoff, der TMPRSS2 und verwandte Enzyme ausschaltet, auch die Entwicklung von Grippe und SARS. Ein ähnlicher Effekt ist auch für MERS zu erwarten“, weiß Pöhlmann. „Wir erforschen daher ebenfalls, mit welchen Wirkstoffen wir TMPRSS2 hemmen können.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Stefan Pöhlmann
Deutsches Primatenzentrum
Abt. Infektionsbiologie
Kellnerweg 4
37077 Göttingen
spoehlmann@dpz.eu