April 2016

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Blasenentzündungen - zwei von drei Frauen werden ohne Antibiotikum gesund

Brennen beim Wasserlassen, der Unterbauch schmerzt – typische Anzeichen für einen Harnwegsinfekt. Meist wird er mit Antibiotika behandelt. Doch oft klingt die Entzündung von selbst ab und entzündungshemmende Wirkstoffe reichen für die Therapie aus.

Jede dritte Frau kennt es: Brennen beim Wasserlassen und Unterbauchschmerzen sind die ersten Anzeichen eines Harnwegsinfektes.

Jede dritte Frau kennt es: Brennen beim Wasserlassen und Unterbauchschmerzen sind die ersten Anzeichen eines Harnwegsinfektes.

AndreyPopov_thinkstock

Heute kennen wir zwar noch Erkrankungen wie Tuberkulose, Lungenentzündung und Scharlach. Ihren Schrecken haben sie aber schon lange verloren. Wie viele andere bakterielle Infektionen auch, können sie mit Antibiotika sehr gut und effektiv behandelt werden. Leider werden aber immer mehr Bakterienstämme resistent gegen diese lebensrettenden Medikamente. Voreilige und häufige Gabe von Antibiotika sind Gründe dafür. Damit wir auch in Zukunft bakterielle Infektionen erfolgreich behandeln können, sollten daher Antibiotika gezielter eingesetzt werden. Eine vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Studie zeigt auf, dass dies bei Harnwegsinfekten zukünftig umgesetzt werden könnte, da alternative Behandlungsmöglichkeiten bestehen. Bislang haben nur wenige Studien den Verlauf eines Harnwegsinfektes unter nicht-antibiotischer Therapie untersucht. Da Harnwegsinfekte sehr häufig vorkommen, könnte so eine große Zahl Antibiotikaverordnungen eingespart werden.

Die Studie: Entzündungshemmer oder Antibiotikum?

„Es ist bekannt, dass viele Frauen, die an einem Harnwegsinfekt erkranken, ein Interesse an Alternativen zur üblichen antibiotischen Behandlung haben“, sagt Dr. Idilkó Gágyor. Die Fachärztin für Allgemeinmedizin, die die Studie an der Universitätsmedizin Göttingen geleitet hat, nennt damit einen Grund, warum so viele Patientinnen bereit waren, an der Studie teilzunehmen. Insgesamt wurden 494 Patientinnen mit Harnwegsinfekten in der Studie untersucht und medikamentös behandelt. ICUTI, so der Name der Studie, wurde in 42 hausärztlichen Prüfpraxen in Göttingen, Hannover und Umgebung durchgeführt.

ICUTI ist eine sogenannte doppelblinde, randomisiert-kontrollierte Studie. Das sind Studien, die wissenschaftlich die höchste Evidenz erbringen. Verglichen wurden zwei Behandlungskonzepte im Hinblick auf Wirksamkeit und Komplikationen: sofortige Gabe eines Antibiotikums versus anfängliche Behandlung mit einem entzündungshemmenden Wirkstoff und Gabe von Antibiotika nur dann, wenn es erforderlich war. Entsprechend gab es zwei Behandlungsgruppen, denen die Patientinnen per Zufall zugeordnet wurden. Eine Gruppe von 246 Patientinnen erhielt sofort ein Antibiotikum. Die anderen 248 Patientinnen bekamen das Medikament, das die Entzündung hemmt. Die Frauen wurden gebeten, sich bei anhaltenden oder zunehmenden Beschwerden wieder in der Praxis vorzustellen. So konnte ausgeschlossen werden, dass schwerere Erkrankungen unerkannt blieben. Die Medikation wurde im Falle einer Verschlechterung auf ein Antibiotikum umgestellt.

REGATTA: Fortsetzung folgt

In einer Folgestudie prüfen Medizinerinnen und Mediziner nun den Einsatz eines pflanzlichen Präparates als Alternative zum Antibiotikum beim unkomplizierten Harnwegsinfekt. Auch diese Studie wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Ihr Name: REGATTA. Sie ist im Februar 2016 gestartet. Erste Ergebnisse werden in drei Jahren erwartet.

Das Ergebnis: Antibiotika sind in vielen Fällen nicht unbedingt erforderlich

Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt betrifft meist nur die unteren Harnwege und die Blase. In zwei von drei Fällen klingt die Entzündung von selbst wieder ab.

Ein unkomplizierter Harnwegsinfekt betrifft meist nur die unteren Harnwege und die Blase. In zwei von drei Fällen klingt die Entzündung von selbst wieder ab.

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Insgesamt hatte die mit Entzündungshemmern behandelte Gruppe zwar etwas stärkere Beschwerden. Zwei Drittel der Frauen wurden aber auch ohne Antibiotikum wieder gesund. In der Gruppe mit den Entzündungshemmern bekamen fünf Frauen eine Nierenbeckenentzündung, in der Gruppe mit Antibiotika hingegen nur eine. „Wir können nicht sagen, ob das Zufall ist oder durch das fehlende Antibiotikum ausgelöst wurde“, sagt Gágyor. „Klar ist: Hierzu muss weiter geforscht werden“, erläutert die Ärztin. Insgesamt wiesen die Studienteilnehmerinnen aber weniger starke und weniger lang bestehende Symptome auf, verglichen mit Patientinnen, die nicht an der Studie teilnehmen wollten oder konnten.

Die Studienergebnisse gelten für Patientinnen mit leichten bis mäßigen Beschwerden eines unkomplizierten Harnwegsinfekts. „Wir können mit Patientinnen mit leichten bis mäßigen Harnwegsinfekt-Symptomen also durchaus gemeinsam überlegen, ob sie zunächst auf Antibiotika verzichten möchten“, sagt Dr. Jutta Bleidorn, Studienleiterin am Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen Hochschule Hannover.

„Gleichermaßen können Patientinnen, die häufig unter Harnwegsinfekten leiden, zukünftig auch ohne ärztliche Konsultation einen ersten Behandlungsversuch mit einem rezeptfrei erhältlichen Medikament starten – und hätten damit nicht nur das Antibiotikum, sondern auch einen Besuch in der Hausarztpraxis gespart“, ergänzt Gágyor.

Für Professor Dr. Eva Hummers-Pradier, Direktorin des Instituts für Allgemeinmedizin der Universitätsmedizin Göttingen und Leiterin der klinischen Prüfung der ICUTI-Studie, könnte die Beratung von Patientinnen mit Harnwegsinfektionen auch noch anders aussehen: „Wie zum Beispiel in Großbritannien üblich, kann auch eine sogenannte ‚verzögerte Verschreibung‘ erwogen werden. Das heißt, Patientinnen erhalten ein Rezept für ein Antibiotikum, das sie aber erst einlösen, falls sich die Beschwerden nicht bessern.“

Die Autorinnen erwarten, dass ihre Erkenntnisse die zukünftigen Therapieempfehlungen beeinflussen. „Die Studienergebnisse sprechen dafür, dass die nicht-antibiotischen Therapiemöglichkeiten mehr genutzt werden sollten“, sagt Koautor Dr. Guido Schmiemann vom Institut für Public Health und Pflegeforschung der Universität Bremen. Er ist Mitglied der nationalen Leitliniengruppe Harnwegsinfektionen. ‚Leitlinien‘ sind systematisch entwickelte Hilfen für Ärztinnen und Ärzte, die in den Arbeitsgemeinschaften der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften erstellt werden. Sie verknüpfen aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse mit den in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für mehr Sicherheit in der Medizin.

Antimikrobielle Resistenzen

Seit der Entdeckung des Penicillins 1928 sind Antibiotika ein wichtiges Mittel zur Behandlung von bakteriellen Infektionskrankheiten. Die Bakterien werden aber zunehmend gegen Antibiotika resistent. Besonders im Krankenhaus kann das zum Problem werden. Immer öfter stecken sich dort Patientinnen und Patienten mit solchen Erregern an.
Doch warum gibt es immer mehr antibiotikaresistente Keime? Der Grund: Einzelne Bakterien können sich gezielt gegen Antibiotika wehren. In ihren Genen befinden sich zum Beispiel Informationen für einen Stoff, der Antibiotika spalten und somit unwirksam machen kann. Bakterien können diese Information untereinander schnell austauschen – sodass bislang wirksame Antibiotika den Keimen nichts mehr anhaben können.

Ansprechpartner:
Dr. med. Ildikó Gágyor
Koordination Forschung
Institut für Allgemeinmedizin
Universitätsmedizin Göttingen
Humboldtallee 38
37073 Göttingen
0551 39-14226
0551 39-9530
Ildiko.Gagyor@medizin.uni-goettingen.de
www.allgemeinmedizin.med.uni-goettingen.de