Juni 2019

| Newsletter 95

Chlamydien – die unterschätzte Gefahr

Bestimmte Viren sind als Krebstreiber bereits bekannt, doch auch Bakterien stehen unter Verdacht. Ein internationales Forschungsteam untersucht den Zusammenhang von Chlamydien-Infektionen und Eierstockkrebs – und hat überraschende Indizien entdeckt.

Chlamydien können bei einer Infektion von der Vagina über die Gebärmutter bis in die Eileiter wandern und sich dort einnisten. In den Eileitern liegt zumeist auch der Ursprung von Eierstockkrebs.

Chlamydien können bei einer Infektion von der Vagina über die Gebärmutter bis in die Eileiter wandern und sich dort einnisten. In den Eileitern liegt zumeist auch der Ursprung von Eierstockkrebs.

magicmine/Adobe Stock

Chlamydien-Infektionen gehören zu den weltweit häufigsten Geschlechtskrankheiten. Allein in Deutschland stecken sich jedes Jahr laut Schätzungen rund 300.000 Frauen mit dem Erreger an. Allerdings bemerken die Betroffenen die Infektion oft nicht, da sie ohne Symptome verlaufen kann. Die Folgen können jedoch schwerwiegend sein: Infizierte Frauen – in Einzelfällen auch Männer – können unfruchtbar werden. Infektionsbiologe Professor Thomas Meyer, wissenschaftlicher Direktor am Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie in Berlin, hat noch einen weiteren, beunruhigenden Verdacht: Sein Forschungsteam untersucht die Entstehung von Eierstockkrebs und ob Chlamydien-Infektionen diese begünstigen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat das internationale Forschungsprojekt unterstützt. Die Untersuchungen haben Modellcharakter für die Erforschung der Krebsentstehung durch weitere chronische bakterielle Infektionen. Die Beweislage ist zwar noch lückenhaft, aber überraschende Hinweise gibt es bereits.

Bei einer Infektion können Chlamydien von der Vagina über die Gebärmutter bis in die Eileiter aufsteigen. Dort in den Eileitern, wo sich die Erreger gerne einnisten, liegt meist auch der Ursprung von Eierstockkrebs. Die Tumorzellen können sich von hier aus in den Bauchraum und zum Eierstock ausbreiten. Die Forscherinnen und Forscher haben herausgefunden, dass eine chronische Chlamydien-Infektion zu dauerhaften genetischen Veränderungen der Eileiterzellen führt – Veränderungen, die so auch bei der Entstehung von Krebs zu beobachten sind. „Wir finden in den infizierten Zellen eine Reihe von Merkmalen, die für die Krebsentwicklung bedeutsam sind“, sagt Meyer.

Infektion bewirkt Anhäufung mutierter Zellen

Mikroskopieaufnahme eines Eileiterorganoids im Querschnitt. Die mit Chlamydien infizierten Bereiche (rot) sind gut zu erkennen.

Mikroskopieaufnahme eines Eileiterorganoids im Querschnitt. Die mit Chlamydien infizierten Bereiche (rot) sind gut zu erkennen.

MPI für Infektionsbiologie

So schalten die Chlamydien ein Protein in der Zelle aus, das als Tumor-Suppressor fungiert. Es überwacht die Anhäufung von Mutationen und entscheidet an zentraler Stelle darüber, ob geschädigte Zellen noch repariert werden oder besser das eingebaute Selbstzerstörungsprogramm aktiviert werden sollte. Bei einer chronischen Infektion mit Chlamydien ziehen es die Zellen vor, trotz Schädigung zu überleben. Darüber hinaus krempeln die Erreger den Stoffwechsel der Zelle um: Diese nutzt ihre Energie dann weniger für physiologisch sinnvolle Aufgaben, sondern ist vor allem auf Vermehrung programmiert – der sogenannte Warburg-Effekt. „Insgesamt führt das zu einer Anhäufung mutierter Zellen“, erklärt Meyer. „Die im Verlauf einer chronischen Infektion auftretenden Entzündungsprozesse könnten die Tumorentstehung in derart geschädigten Zellen zusätzlich begünstigen.“

Der Nachweis für die Tumorentstehung ist schwierig. Denn zwischen einer Infektion mit Chlamydien und der Krebsentwicklung können viele Jahre oder Jahrzehnte liegen. Zudem hinterlassen Bakterien im Gegensatz zu Tumorviren keinen eindeutigen Fingerabdruck in infizierten Zellen. HPV-Viren etwa, die als Treiber für die Entstehung von Gebärmutterhalskrebs bekannt sind, schleusen Teile ihrer DNA in die Wirtszelle. Derart offensichtliche genetische Veränderungen sind bei einer Infektion mit Chlamydien nicht vorhanden. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler setzen daher bei der Spurensuche nach genetischen Fingerabdrücken der Chlamydien auf sehr viel aufwendigere und empfindlichere Methoden für die Analyse des Erbguts.

Motor für die Impfstoff-Entwicklung

Dem Team von Meyer ist es zudem gelungen, kleine Organoide aus menschlichen Eileiterzellen zu züchten. Diese bilden Zellansammlungen, die dem natürlichen Aufbau des Gewebes entsprechen. „Erstmalig konnten wir mithilfe solcher Organoide eine chronische Chlamydien-Infektion über viele Monate hinweg untersuchen“, erläutert Meyer. „So werden wir überprüfen können, inwieweit insbesondere chronische Infektionen mit Chlamydien anhaltend krebsfördernde Prozesse in Gang setzen.“

Sollten sich die Hinweise auf einen Zusammenhang erhärten, ist Meyer sich sicher, wäre das ein entscheidender Motor für die Entwicklung eines Impfstoffs sowie wirksamerer Antibiotika gegen Chlamydien. Auch der Test auf die Erreger beim Gynäkologen wird bisher nur für Frauen bis Mitte 20 sowie Schwangere erstattet. „Die Gefahren einer Chlamydien-Infektion werden derzeit noch unterschätzt“, sagt Meyer. Das könnte sich bald ändern.

CINOCA – ein Verbund, viele Partner

Das Projekt war Teil eines großen europäischen Verbunds von drei deutschen, einem österreichischen, einem schwedischen und einem assoziierten Partner aus England. Das BMBF hat die deutschen Projekte insgesamt mit rund 600.000 Euro gefördert.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Thomas F. Meyer
Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie, Berlin
Charitéplatz 1
Campus Charité Mitte
10117 Berlin
meyer@mpiib-berlin.mpg.de