Cholesterin – Freispruch für ein angeklagtes Molekül? - Wie Cholesterin vor den lebensbedrohlichen Folgen einer Lungenentzündung schützt

Ist ein niedriger Cholesterinspiegel ein Garant für gute Gesundheit? Wissenschaftler aus Jena haben nun in einer großen Studie das Gegenteil herausgefunden. Bei an Lungenentzündung erkrankten Mäusen schützte Cholesterin die Nager vor lebensbedrohlichen Folgen. (Newsletter 58 / Juli 2012)

Bildquelle: FotoliaIst Cholesterin ein schlechtes Fett? Viele denken das. Und tatsächlich: Ist der Cholesterinspiegel zu hoch, so steigt die Gefahr, einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall zu erleiden. Das hängt damit zusammen, dass zuviel Cholesterin im Blut die Gefäße schädigt. Ein besonderer Risikofaktor ist hier das Cholesterin, welches im Blut von der Leber zu den Organen transportiert wird. Fachleute nennen es das LDL-Cholesterin. Patientinnen und Patienten, die zu viel LDL-Cholesterin im Blut haben, müssen größtenteils Medikamente einnehmen, die helfen, ihren Cholesterinspiegel in Zaum zu halten. Mittlerweile zeichnet sich sogar der Trend ab, dass schon vorbeugend Cholesterinsenker eingenommen werden. Ohne dass ein gefährlicher Cholesterinwert gemessen wurde, sondern allein, um einem zu hohen Fettgehalt im Blut vorzubeugen. Dass diese sogenannte prophylaktische Einnahme auch gefährlich sein kann, belegt eine aktuelle Studie, die Prof. Dr. Michael Bauer aus Jena und Prof. Dr. Ulrich Maus aus Hannover gemeinsam mit Kollegen aus Lyon, Innsbruck, den USA und Australien durchgeführt haben.

Lungenentzündungen – warum wir daran sterben

„Wir wollten in unserer Studie herausfinden, welche Faktoren den Verlauf und die Prognose einer Lungenentzündung bestimmen“, erklärt Professor Bauer. Er ist der Sprecher des Center for Sepsis Care and Control, kurz CSCC, einem Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrum, in dem Sepsis und Sepsisfolgen mit finanzieller Unterstützung des Bundesforschungsministeriums untersucht werden.

Lungenentzündung oder Pneumonie ist die häufigste tödliche Infektionskrankheit in Deutschland. Zehntausende sterben hierzulande jährlich an einer Lungenentzündung. Weltweit sind es drei bis vier Millionen Menschen.

Kleine kugelrunde Bakterien, die Pneumokokken, greifen dabei in über der Hälfte der Fälle unsere Lunge an und setzen Zellgifte frei. Pneumolysin ist ein solches Zellgift. Es hilft den Bakterien, die menschlichen Zellen zu befallen, das Immunsystem in Schach zu halten und die Vermehrung der Bakterien zu fördern. „Meistens bleiben Lungenentzündungen begrenzt und heilen unter Behandlung mit geeigneten Antibiotika gut aus“, erklärt Professor Bauer. „Doch kann sich die Infektion zu einer lebensbedrohlichen Sepsis entwickeln, andere Organe schädigen und tödlich enden“, weiß der Intensivmediziner. Eine wesentliche Rolle spielt dabei das Cholesterin. Es scheint das Gegengift zu Pneumolysin zu sein. Die Forscher konnten Pneumolysin nämlich mit Hilfe von Cholesterin unschädlich machen.

Umdenken in Sachen Cholesterinsenker nötig?

Bildquelle: CSCCBlick in eine Intensivstation. Die lebenswichtigen Körperfunktionen eines Patienten mit schwerer Sepsis müssen fortwährend überwacht werden.„Auf Cholesterin sind wir dank unseres systembiologischen Ansatzes gekommen“, erklärt Professor Bauer. „Das heißt, wir haben bei unseren Mäusen, die an einer Lungenentzündung erkrankt waren, nicht nur die Stressantwort in der Lunge, sondern auch im Blut und in der Leber untersucht.“ Und hier beobachteten die Forscherinnen und Forscher dann auch die entscheidende Veränderung: Pneumolysin kurbelt die körpereigene Cholesterinproduktion in der Leber an. „Dieser ausgeklügelte Abwehrmechanismus, der wahrscheinlich auch beim Menschen existiert, ist natürlich dann geschwächt, wenn Medikamente eingenommen werden, die unsere Cholesterinproduktion drosseln“, vermutet der Wissenschaftler. „Hier müsste die Debatte um die liberale Einnahme von Cholesterinsenkern zur Primärprävention in eine neue Richtung gelenkt werden. Bisher werden hauptsächlich gesundheitsökonomische Aspekte in den Vordergrund gestellt, also die Kosten der Medikamente versus den Nutzen, berechnet aus der hinzugewonnen Lebensqualität. Dabei handelt es sich bei unserer Beobachtung um eine ganz konkrete Gefahr, die von einem zu niedrigen bzw. zu voreilig eingestellten Cholesterinspiegel ausgeht.“

Die Wissenschaftler wollen diesen Zusammenhang zwischen Cholesterin und Lungenentzündung nun in einer Studie mit Patientinnen und Patienten bestätigen. „Derzeit arbeiten wir an Strategien, eine Cholesterin-basierte Therapie gegen die Lungenentzündung zu entwickeln“, erklärt Professor Bauer abschließend.


CSCC: Im Kampf gegen die Sepsis
LogoDie Sepsis, umgangssprachlich oft als Blutvergiftung bezeichnet, geht immer von einer lokalen Infektion aus. Wenn es dem Körper nicht gelingt, diese Infektion auf den Ursprungsort zu begrenzen, lösen die Gifte der Krankheitserreger eine Entzündung in allen Organen des Körpers aus. Innerhalb weniger Stunden weisen dann alle lebenswichtigen Organe Entzündungszeichen auf und drohen zu versagen. Mit 220 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner und Jahr in Deutschland ist die Sepsis vergleichbar häufig wie der Herzinfarkt. Etwa die Hälfte der Betroffenen stirbt an ihren Folgen. Das Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum für Sepsis und Sepsisfolgen (Center for Sepsis Control and Care, kurz CSCC) am Universitätsklinikum Jena erforscht die Ursachen, Risikofaktoren und die Behandlung sowie die Langzeitfolgen von Sepsis. Es schafft dabei sowohl neue Strukturen und Karriereperspektiven als auch neue Ansätze im gesamten Behandlungspfad von Sepsispatienten. Hierfür wird es seit 2010 mit bis zu fünf Millionen Euro jährlich vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Das CSCC ist eines von insgesamt acht Integrierten Forschungs- und Behandlungszentren (IFB) in Deutschland. Jedes der für fünf Jahre geförderten Zentren hat dabei einen anderen Schwerpunkt.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Michael Bauer
Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum
Sepsis und Sepsisfolgen - Center for Sepsis Control and Care
(CSCC)
Universitätsklinikum Jena
Erlanger Allee 101
07747 Jena
Tel.: 03641 9323-110
Fax: 03641 9323-112
E-Mail: michael.bauer@med.uni-jena.de