02.07.2020

| Aktuelle Meldung

COVID-19: Schwerer Verlauf durch Blutgruppe beeinflusst?

Die Blutgruppe könnte Einfluss darauf haben, wie schwer Menschen an COVID-19 erkranken. Für Menschen mit der Blutgruppe 0 besteht ein geringeres Risiko, wie Forschende aus Schleswig-Holstein in einer genomweiten Assoziationsstudie herausgefunden haben.

Blutproben in Reagenzgläsern

Einer Kieler Studie zufolge haben Menschen mit der Blutgruppe 0 ein geringeres Risiko, schwer an COVID-19 zu erkranken.

PeopleImages/iStock

Warum zeigen manche Menschen nur leichte Symptome bei einer Infektion mit SARS-CoV-2, während andere schwer erkranken und beatmet werden müssen? Neben Alter, Vorerkrankungen, Rauchen und einem überreagierenden Immunsystem könnte dafür ein weiterer Faktor ausschlaggebend sein – die Blutgruppe. Dies haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein (UKSH) und der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe aus Norwegen herausgefunden. In der weltweit ersten großangelegten genomweiten Assoziationsstudie fanden sie bestimmte Genvarianten, die den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung beeinflussen könnten.

Die Federführung für das vom BMBF-geförderte Projekt COVID19HOSTaGE liegt bei Professor Dr. Andre Franke, dem Direktor des Instituts für Klinische Molekularbiologie an der Kieler Universität. Das von ihm geleitete Forschungsteam untersuchte 5.000 Blutproben aus Norditalien und Spanien, die zu den am stärksten von der Corona-Pandemie betroffenen Regionen Europas gehören. Im Interview geht Professor Franke auf die ersten Erkenntnisse der Studie ein.

Prof. Dr. Andre Franke

Prof. Dr. Andre Franke

Prof. Dr. Andre Franke

Herr Professor Franke, was haben Sie durch Ihre Studie herausgefunden?

Wir haben unter anderem Varianten der Gene untersucht, die die Blutgruppe bestimmen. Wir konnten einen Zusammenhang zwischen dem Krankheitsverlauf von COVID-19 und den Blutgruppen 0 und A detektieren. Signifikant mehr COVID-19-Patientinnen und -Patienten hatten im Vergleich zur Normalbevölkerung Blutgruppe A – je nach Region etwa 5 bis 10 Prozent mehr. Umgekehrt wiesen signifikant weniger Patientinnen und Patienten die Blutgruppe 0 auf, das heißt diese Blutgruppe bietet einen um 50 Prozent erhöhten Schutz vor einer ernsten COVID-19-Erkrankung.

Auf welche Daten stützen sich Ihre Untersuchungen und wie gehen Sie dabei vor?

Unsere Hypothese war, dass eine Infektion mit SARS-CoV-2 und ein schwerer Krankheitsverlauf durch genetische Faktoren beeinflusst werden können. Diese Hypothese stützte sich auf die Ergebnisse sogenannter genomweiter Assoziationsstudien für Infektionserkrankungen, beispielsweise zur Influenza. Unsere Ergebnisse haben uns allerdings überrascht: Weder in dem von uns vermuteten Chromosomenabschnitt 6p21, der mit dem Immunsystem und vielen Infektionserkrankungen assoziiert ist, noch in dem Gen IFITM3, das mit der Influenza in Zusammenhang gebracht wird, konnten wir signifikante Unterschiede zwischen den gesunden Probanden der Studie und den untersuchten Proben von Patienten finden. Der von uns untersuchte Abschnitt auf Chromosom 3 dagegen war bislang noch gar nicht mit COVID-19 in Zusammenhang gebracht worden.

Genomweite Assoziationsstudien (GWAS)

Genomweite Assoziationsstudien (GWAS) suchen nach Risikofaktoren für Krankheiten auf der Ebene der Erbsubstanz DNA (Genom). In solchen Studien fahnden die Forscher nach typischen Veränderungen im gesamten Genom und schauen, ob diese Veränderungen bei Menschen mit bestimmten Krankheiten häufiger vorkommen. Das muss nicht bedeuten, dass die Veränderungen ursächlich mit der Krankheit zu tun haben. Sie sind aber mit der Krankheit assoziiert, stehen also auf eine bekannte oder unbekannte Weise mit ihr in Verbindung.

Gibt es weitere genetische Signaturen, die eine Vorhersage zum Verlauf einer COVID-19-Erkrankung ermöglichen?

Das werden die nächsten Wochen zeigen. Unsere Studie war erst der Anfang und konnte eindeutig zwei chromosomale Abschnitte beschreiben. Nun folgen weitere Analysen in internationalen Konsortien wie zum Beispiel der „Covid19 host genetics initiative“ (covid19hg), einer internationalen Plattform, über die Forschende ihre Daten austauschen, um die genetische Erforschung von SARS-CoV-2 zu beschleunigen. Auch wir werden unsere Analyse mit mehr Patienten- und Kontrollproben aus Italien und Spanien überprüfen.

Wie können Ihre Arbeiten dazu beitragen, wirksame Therapieansätze zu finden?

Unsere Arbeiten sind primär grundlagenwissenschaftlicher Natur und erfolgen ergänzend zur Impfstoffforschung, die auf eine Prophylaxe abzielt. Wir liefen ein weiteres kleines Puzzleteil, um Entstehung und Verlauf von COVID-19 besser zu verstehen. Dies könnte dabei helfen Wirkstoffe für neue Targets zu entwickeln, das heißt Biomoleküle zu identifizieren, an die ein Wirkstoff binden kann. Vorherige Studien haben gezeigt, dass Wirkstoffe, die an Targets binden, die anhand genetischer Assoziationsstudien identifiziert wurden, eine doppelt so hohe Wahrscheinlichkeit haben, den Patientinnen und Patienten zu helfen.

Vorläufige Erkenntnisse Ihrer Studie wurden zunächst auf einem sogenannten Preprint-Server veröffentlicht, um sie der Forschungscommunity möglichst schnell zur Verfügung zu stellen. 

Unsere Arbeiten sind zwischenzeitlich im New England Journal of Medicine publiziert worden. Dort war die Arbeit zeitweise auf der Titelseite gelistet. Wir sind sehr stolz und froh über diesen Erfolg. Die Geschwindigkeit, mit der wir diese Studie durchgeführt haben, und exzellentes internationales Teamwork haben sicherlich dazu beigetragen.

Wie geht es jetzt weiter?

Wir selber werden uns vor allem mögliche Zusammenhänge zwischen anderen Blutgruppenmerkmalen und der Schwere von Krankheitsverläufen näher ansehen und gegebenenfalls eine weitere genomweite Assoziationsstudie mit Proben durchführen.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung öffnete zu Beginn der SARS-CoV-2 Pandemie das Rapid Response Modul der „Richtlinie zur Förderung eines Nationalen Forschungsnetzes zoonotische Infektionskrankheiten“ für einen Förderaufruf zur Erforschung von COVID-19. Ab dem 3. März 2020 konnten Forschende Anträge stellen, um zum Verständnis des Virus und dessen Ausbreitung beizutragen sowie um therapeutische und diagnostische Ansätze gegen COVID-19 zu entwickeln.

Zurück zur Projektübersicht zur Erforschung von COVID-19