„Da gehen wir zusammen hin!“ - Gemeinschaft fördert das Gesundheitsverhalten älterer Migrantinnen und Migranten - Interview mit Dr. Elke Olbermann

Fit und gesund leben bis ins hohe Alter – wer wünscht sich das nicht? Angebote zur Gesundheitsprävention und Gesundheitsförderung helfen uns dabei, dieses Ziel zu erreichen. Doch nicht bei jedem kommen diese Präventionsmaßnahmen an. Besonders ältere Menschen mit Migrationshintergrund nutzen sie nur selten. Die Gründe hierfür und wie man die Angebote zukünftig attraktiver gestalten könnte, erklärt Dr. Elke Olbermann vom Institut für Gerontologie an der TU Dortmund. (Newsletter 54 / November 2011)

Dr. Elke Olbermann war zuständig für die Durchführung eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projektes zur gesundheitlichen Prävention bei dieser Bevölkerungsgruppe.

In Deutschland leben nach Angabendes Statistischen Bundesamtesrund 16 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Davonsind etwa 3 Millionen 55 Jahre und älter. Warum interessieren Sie sich gerade für die Gesundheitälterer Migrantinnen und Migranten?

Dr. Elke Olbermann, Institut für Gerontologie an der Technischen Universität DortmundÄltere Menschen mit Migrationshintergrund sind besonderen gesundheitlichen Belastungen und Risiken ausgesetzt. Gründe hierfür sind zum Beispiel physisch und psychisch belastende Arbeitsbedingungen, ungünstige Wohnverhältnisse und ein niedriges Einkommen. Viele ältere Migrantinnen und Migranten verfügen nur über geringe Deutschkenntnisse und sind unzureichend über gesundheitliche Themen oder Versorgungsangebote informiert. Zudem fehlt es den Fachkräften im Gesundheitswesen oftmals an interkultureller Kompetenz. All das erhöht das Risiko einer gesundheitlichen Fehl- und Unterversorgung und schränkt die Chancen für ein gesundes Altern erheblich ein. Maßnahmen der Prävention und Gesundheitsförderung sind daher von großer Bedeutung, um die Lebensqualität älterer Menschen mit Migrationshintergrund zu fördern, ihnen ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben im Alter zu ermöglichen und einer vorzeitig auftretenden Hilfe- und Pflegebedürftigkeit entgegenzuwirken.

Nun gibt es in Deutschland zahlreiche Angebote zur gesundheitlichen Prävention. Sind diese für ältere Menschen mit Migrationshintergrund nicht geeignet?

Für ältere Migrantinnen und Migranten sind die Möglichkeiten,allgemeine Präventionsangebote in Anspruch zunehmen, tatsächlich in vielfältiger Weise eingeschränkt.Sprachbarrieren, ein kulturell bedingter unterschiedlicher Umgang mit Gesundheit, aber auch Finanzierungsproblemeund Ausgrenzungserfahrungen sind nur einige Beispiele, dieihnen den Zugang zu vorhandenen Angeboten erschweren.

Es müssten also Präventionsmaßnahmen speziell für diese Zielgruppe angeboten werden?

Ja, wir brauchen Angebote, die an der konkreten Lebensweltder Zielgruppe ansetzen.

Wie sollten diese Angebote aussehen?

Um diese Frage zu beantworten, haben wir mehr als 100 Interviewsmit über 50-jährigen Migrantinnen und Migrantendurchgeführt. Die Mehrzahl stammte aus der Türkei und der ehemaligen Sowjetunion, wir befragten aber zum Beispielauch Zugewanderte aus Polen, Afghanistan und Indien.

Die Befragungsergebnisse zeigen, dass die sprachliche Verständigungvon zentraler Bedeutung ist. Um wirklich zufruchten, müssten Präventionsangebote also in der Herkunftssprache angeboten werden. Auch die Vermittlung und Motivation durch vertraute Bezugspersonen spielt einegroße Rolle. Die meisten Befragten, die an einer gesundheitsfördernden Maßnahme teilnehmen, sind durch persönliche Kontakte aus dem Freundes- und Familienkreis zu den Angebotengekommen. In der Regel ist also eine direkte persönliche Ansprache notwendig – auch um Relevanz und Nutzender Maßnahmen zu vermitteln. Dann scheint es von Vorteilzu sein, wenn die Präventionsmaßnahme in einer Gruppe von zugewanderten Älteren stattfindet. Dies fördert die Motivation und die Kontinuität der Teilnahme. Außerdem haben das Gemeinschaftserleben und der muttersprachliche Austausch in der Gruppe bereits einen gesundheitsförderlichen Effekt. Sie verstärken somit die Wirksamkeit von spezifischen Präventionsmaßnahmen. Ein weiterer entscheidender Faktor ist, dass die Angebote wohnortnah stattfinden oder gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu erreichen sein sollten. Zum Teil wäre es auch hilfreich, Angebote speziell fürMänner und Frauen anzubieten.

Sie sprachen bereits das Thema Finanzierung an. Wie sieht es mit den Kosten für die Maßnahmen aus?

Die Kosten sind tatsächlich ein nicht zu unterschätzendes Problem. Für die meisten älteren Migrantinnen und Migranten ist es eine notwendige Voraussetzung, dass die Angebotekostengünstig oder kostenfrei sein müssen. Die Finanzierungspraxis der Krankenkassen, also Vorfinanzierung und Rückerstattung beim Nachweis einer regelmäßigen Teilnahme, findet meist wenig Akzeptanz oder ist angesichts der häufig engen finanziellen Spielräume ganz einfach nicht realisierbar.

Welche Empfehlungen leiten Sie nun hieraus ab? Was sollten dieAnbieter von Präventionsmaßnahmen zukünftig beachten, umgezielt ältere Menschen mit Migrationshintergrund zu erreichen?

Besonders wichtig ist die Entwicklung ganzheitlicher Ansätze. Dies bedeutet, dass bei der Entwicklung und Umsetzung von Präventionsangeboten physische, psychische und sozialeAspekte von Gesundheit gleichermaßen berücksichtigt werden sollten. Grundsätzlich sollte es darum gehen, die Ressourcen und Potenziale der älteren Migrantinnen und Migrantenzu stärken und ihre Mitgestaltung, Eigeninitiative und Selbstverantwortung im Bereich der Gesundheitsförderung und Prävention zu fördern. Im Laufe unsere Studie ist deutlich geworden, dass ältere Menschen mit Migrationshintergrundeine sehr heterogene Gruppe sind. Es gibt erhebliche Unterschiede in den Lebensumständen, Erfahrungen und Einstellungen, woraus dann auch ein sehr unterschiedliches Präventionsverhalten entsteht. Diese Unterschiede müssen bei der Gestaltung von gesundheitsfördernden Angeboten berücksichtigt werden. Generell zeigen unsere Untersuchungsergebnisse, dass es keine Pauschallösung geben kann. Vielmehr sind unterschiedliche Ansätze notwendig, für deren Entwicklung unsere Projektergebnisse hilfreich sein können.

Wie könnte das in der Praxis umgesetzt werden?

Ein wesentlicher Schritt, um die Prävention für ältere Migrantinnen und Migranten zu verbessern, ist die Förderung der Zusammenarbeit relevanter Akteure in der Kommune und in den Stadtteilen. Dabei geht es insbesondere um eine stärkere Vernetzung zwischen Gesundheitsversorgung, Migrations bzw. Integrationsarbeit und Altenhilfe. Hierfür wäre es zum Beispiel hilfreich, ein Netzwerk der betreffenden Einrichtungen einzurichten. Um älteren Migrantinnen und Migranten den Zugang zu Präventionsmaßnahmen zu erleichtern, müssen auch geeignete Finanzierungsmodelle entwickelt werden.

Dabei sollte es u. a. darum gehen, Vorleistungen zu vermeiden und den Verwaltungsaufwand für die Anbieter von Präventionsmaßnahmen zu reduzieren. Eine vielversprechende Strategie wäre, Begegnungsstätten oder Treffpunkte älterer Migrantinnen und Migranten, die sich im Bereich der Gesundheitsförderung engagieren, finanziell zu unterstützen.

Ansprechpartnerin:
Dr. Elke Olbermann
Forschungsgesellschaft für Gerontologie e.V.
Institut für Gerontologiean der Technischen Universität Dortmund
Evinger Platz 13
44339 Dortmund
Tel.: 0231 728 488-29
Fax: 0231 728 488-55
E-Mail: elke.olbermann@tu-dortmund.de