Juli 2022

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Das Sterberisiko bei Blutstrominfektionen rechtzeitig erkennen

Blutstrominfektionen (BSI) sind schwere bakterielle Infektionen und mit einem hohen Sterberisiko verbunden. Klinische Vorhersagemodelle könnten helfen, dieses Risiko präziser zu prognostizieren – und so auch Therapie und Überlebenschancen zu verbessern.

Blutkulturflaschen im Inkubator.

Ein ganz besonderer Saft: Blutkulturflaschen im Inkubator.

DZIF/scienceRELATION

In den vergangenen Jahren ist die Anzahl der BSI durch multiresistente Erreger massiv gestiegen: Europäische Daten zeigen, dass sich schätzungsweise sechs Prozent der Patientinnen und Patienten im Krankenhaus mit einer BSI infizieren. Das sind jährlich rund 3,2 Millionen Fälle. Etwa 150.000 Menschen sterben daran und zunehmende Resistenzentwicklung verkompliziert die Behandlung dieser ohnehin schweren Erkrankung. Generell hängen die Schwere und der Verlauf der bakteriellen Infektion von den auslösenden Bakterien, dem zugrunde liegenden Gesundheitszustand sowie von der Behandlung der Infektion ab.

Als häufige Erreger kommen im Krankenhaus Escherichia coli und Staphylococcus aureus vor; beide können schwere Komplikationen auslösen. Deren Behandlung wird bei einigen Patienten durch Resistenzentwicklung gegen Antibiotika erschwert. Kann eine BSI nicht ausreichend behandelt werden, besteht die Gefahr, dass sich eine unkontrollierte Entzündungsreaktion entwickelt, was als Sepsis oder Blutvergiftung bekannt ist. Trotz erfolgreicher Behandlung kann sich eine Infektion oftmals noch mehrere Monate nach der Entlassung aus dem Krankenhaus auswirken.

Obwohl Vorhersagemodelle für die Prognose des Verlaufs bereits existieren, sind diese bislang auf bestimmte Krankheitserreger oder Intensivpatienten und -patientinnen beschränkt und betreffen vor allem die kurzfristige Vorhersage innerhalb des Krankenhausaufenthalts. Die langfristigen Auswirkungen der BSI nach der Entlassung sind erst in den letzten Jahren in den Fokus der Forschenden gerückt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass auch Monate nach einer BSI die Sterblichkeit bei Betroffenen höher ist als bei Patientinnen und Patienten, die keine BSI hatten.

BLOOMY-Studie untersucht 14-Tages- und Sechs-Monats-Sterblichkeit

Mit der multizentrischen Kohortenstudie BLOOMY (BLOOdstream infection due to multidrug-resistant Organisms: Multicenter studY on risk factors and clinical outcomes) des Deutschen Zentrums für Infektionsforschung (DZIF) hatten sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler unter Leitung von Professorin Dr. Evelina Tacconelli ein hohes Ziel gesetzt: Sie wollten die kurz- und langfristige Sterblichkeit bei BSI-Patientinnen und -Patienten mit verschiedenen bakteriellen Infektionen sowohl auf der Normal- als auch auf der Intensivstation besser prognostizieren können.

Dazu brauchten sie zuallererst viele Daten: Für rund 2.500 Betroffene in sechs Kliniken erhoben die Forschenden seit 2017 mikrobiologische, klinische, laborchemische sowie Behandlungs- und Überlebensdaten. Insgesamt wurden über 1.000 Variablen pro Patientin bzw. pro Patient analysiert und ausgewertet. Auf dieser Grundlage ließen sich mit statistischen Methoden und maschinellem Lernen mathematische Modelle für die frühzeitige Vorhersage der Sterblichkeit nach 14 Tagen bzw. nach sechs Monaten erstellen.

BLOOMY-Studie

Hinter dem Kürzel BLOOMY verbirgt sich eine multizentrische Studie zum Sterberisiko bei Blutstrominfektionen, die durch Bakterien verursacht wurden. Die Studie des DZIF wurde unter Federführung der Universitätsklinika Tübingen und Freiburg durchgeführt. Die Universitätskliniken Berlin, Gießen, Köln und Lübeck sind ebenfalls beteiligt.
Für die Studie wurden Daten von 2.568 Patientinnen und Patienten erhoben, die sich mit Keimen infiziert hatten, die potenziell auch mehrere Resistenzen gegen Antibiotika  aufweisen können
(Staphylococcus aureus, Enterococcus spp, Escherichia coli, Klebsiella spp, Enterobacter spp, Pseudomonas aeruginosa und Acinetobacter baumannii). Alle Studienteilnehmenden waren älter als 18 Jahre und wurden über einen Zeitraum von sechs Monaten beobachtet. Dabei zeigte sich: 16,3 Prozent der Betroffenen starben innerhalb von 14 Tagen und noch im Krankenhaus; 41,5 Prozent der Betroffenen waren nach sechs Monaten verstorben.

Bei ihren Untersuchungen fanden die Forscherinnen und Forscher heraus, dass für beide Zeiträume Faktoren wie das Alter, Krebsvorerkrankungen, bestimmte Keime sowie der Body Mass Index (BMI; Maßzahl für das Körpergewicht eines Menschen in Relation zu seiner Körpergröße) maßgeblich sind. Ebenso bedeutend ist die Anzahl an Blutplättchen und weißen Blutkörperchen im Blut, ein Entzündungsmarker (CRP) und die Frage, ob die Betroffenen sich bei einem Aufenthalt im Krankenhaus infiziert hatten. Zusätzliche Variablen für die Vorhersage der 14-Tage-Sterblichkeit waren, ob der Patient zum Zeitpunkt der Untersuchung bei Bewusstsein war, einen zu niedrigen Blutdruck hatte oder ob die Notwendigkeit einer mechanischen Beatmung bestand. Für die Vorhersage der Sechs-Monats-Mortalität hingegen waren zusätzlich der Infektionsherd, Komplikationen während des Krankenhausaufenthaltes sowie die Nierenfunktion bei Behandlungsende relevant.

Punktwerte ermöglichen präzisere Vorhersagen

Die Auswertungsergebnisse wurden zu zwei klinischen Scores zusammengeführt – Modellen, die  Parameter in Punktwerten angeben. Ein Beispiel: Für die Kurzzeitprognose spielt das Alter eine große Rolle. Ist der Patient zwischen 40 und 79 Jahre alt, erhält er zwei Punkte auf der Punkteskala; ist er bereits 80 Jahre alt oder älter, schlägt das mit drei Punkten zu Buche. So ergeben sich am Ende der Skala Punktwerte, anhand derer man das Sterberisiko in einer Tabelle ablesen kann. Mit diesen Modellen lassen sich dann bereits zu einem frühen Zeitpunkt der Erkrankung präzisere Vorhersagen für die 14-Tages sowie die Sechs-Monats-Sterblichkeit treffen. Beide Scores wurden im Anschluss an die Studie bereits bei weiteren rund 1.000 Patientinnen und Patienten aus den verschiedenen Zentren erfolgreich auf ihre Vorhersagekraft validiert.

Im DZIF entwickeln bundesweit circa 500 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Ärztinnen und Ärzte aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur  Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Das DZIF ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung (DZG), die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gemeinsam mit den Ländern zur Bekämpfung der wichtigsten Volkskrankheiten ins Leben gerufen wurden.
Weitere Informationen:
www.dzif.de

„Unsere Studie zeigt, dass die BLOOMY-Scores eine gute Trennschärfe und damit Vorhersagekraft in Bezug auf die kurz- und langfristige Sterblichkeit nach Blutstrominfektion aufweisen und dass wir mit ihrer Hilfe differenzierte BSI-Managementprotokolle entwickeln können“, erklärt DZIF-Studienleiterin Tacconelli. Oberärztin Dr. Siri Göpel, Mitglied der Forschungsgruppe aus Tübingen, erläutert: „Wir können somit frühzeitig jene  Patientinnen und Patienten im Behandlungsverlauf identifizieren, die ein sehr hohes Risiko haben, und diese engmaschiger überwachen.“ Laut Studie ist etwa ein Drittel der Betroffenen erst nach der Entlassung aus dem Krankenhaus gestorben. „Auch nach der Entlassung aus dem Krankenhaus aber ließen sich Patientinnen und Patienten mit einem hohen Langzeitrisiko gezielt überwachen und somit vor Folgeschäden bewahren“, ergänzt Göpel. Weitere Studien sollen nun evaluieren, ob spezielle Maßnahmen die Prognose bei diesen Patientinnen und Patienten verbessern können.

Originalpublikation:
Tacconelli, E. et al. (2022): Infectious Diseases: Development and validation of BLOOMY prediction scores for 14-day and 6-month mortality in hospitalized adults with bloodstream infections: a multicenter, prospective, cohort study. The Lancet (Januar 19, 2022), DOI: 10.1016/S1473-3099(21)00587-9

Ansprechpartnerin:
Dr. Siri Göpel
Fachärztin Innere Medizin mit Zusatzbezeichnung Infektiologie (DGI)
Innere Medizin I - Gastroenterologie, Gastrointestinale Onkologie, Hepatologie, Infektiologie und Geriatrie
Universitätsklinikum Tübingen
Otfried-Müller-Straße 10
72076 Tübingen
07071 2985-450

Siri.Goepel@med.uni-tuebingen.de

Pressekontakt:
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