Doppelte Last - Übergewichtige Menschen werden durch Mitbürger abgelehnt

Kritische Blicke, ein Tuscheln hinter vorgehaltener Hand, verständnisloses Kopfschütteln – diese Reaktionen von Mitmenschen gehören für viele Übergewichtige zum Alltag. Denn Vorurteile, Ausgrenzung und Diskriminierung begleiten übergewichtige und fettleibige Menschen meist ein ganzes Leben lang. Wie die Bevölkerung über adipöse Menschen denkt, hat nun eine Studie gezeigt. (Newsletter 60 / November 2012)

Logo„Dick gleich dumm“, „dick gleich faul“ oder „dick gleich selbst schuld“, das sind die Vorurteile, denen adipöse Menschen immer wieder ausgesetzt sind. Der Grund: Die große Mehrheit der Bevölkerung verknüpft fettleibige Menschen mit negativen Stereotypen und bewertet sie deutlich schlechter als normalgewichtige Mitbürger. Zu diesem Ergebnis kommt ein Forscherteam des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig in einer bundesweiten, repräsentativen Studie.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wollten wissen, wie die Bevölkerung über Menschen mit starkem Übergewicht denkt und worin sie die Ursachen von Fettleibigkeit sieht. Sie befragten dazu mehr als 3.000 Bürgerinnen und Bürger in ganz Deutschland. Die Ergebnisse sind eindeutig. Für zwei Drittel der Befragten sind die Hauptgründe für starkes Übergewicht ganz klar Bewegungsfaulheit und übermäßiges Essen. „Die meisten Befragten nehmen an“, erläutert die Koordinatorin der Studie, Diplom-Psychologin Claudia Sikorski, „Fettleibigkeit ist selbst verschuldet.“ Nur rund 28 Prozent nannten auch genetische oder Stoffwechsel-Störungen als möglichen Grund für Übergewicht. „So kommt dann auch die negative Haltung gegenüber den Betroffenen zustande.“ Dabei ist aus Zwillingsstudien bekannt, dass Adipositas zu etwa 40 bis 70 Prozent auf erbliche Faktoren zurückzuführen ist. Bisher sind ungefähr 40 Genregionen bekannt, die mit Fettleibigkeit assoziiert sind.

Unförmig, langsam und untätig

Bildquelle: iStockphotoAber die Vorurteile gehen noch weiter. Während der Befragung wurden den Teilnehmerinnen und Teilnehmern Fallbeispiele mit normalgewichtigen und stark übergewichtigen Kindern, Erwachsenen und Senioren vorgegeben. Die Aufgabe bestand darin, den Charakter der dargestellten Personen einzuschätzen und ihnen bestimmte Eigenschaften zu- zuschreiben. Dabei schnitten adipöse Menschen durchgehend schlechter ab. „Die am häufigsten gewählten Eigenschaften waren unförmig, langsam und untätig“, sagt Sikorski. Junge und ältere Menschen, Frauen und Männer urteilten dabei ähnlich hart. Nur die Befragten mit eigenem Übergewicht zeigten etwas mehr Milde. „Erstaunlich ist, wie durchgehend negativ adipöse Menschen beurteilt werden. Auch Kinder. Sie gelten sogar als besonders langsam und unattraktiv – mehr noch als übergewichtige Erwachsene“, beschreibt die Studienleiterin. Bei den Kindern erkannten die Befragten allerdings auch äußere Faktoren, wie das soziale Umfeld und die Erziehung, als Ursache für das Übergewicht an.

Früher wurde angenommen, dass eine Stigmatisierung die Betroffenen zum Abnehmen motiviert. Heute ist klar, dass eher das Gegenteil der Fall ist: „Die Stigmatisierung trägt oft dazu bei, dass sich das Essverhalten verschlechtert, dass sich die Betroffenen zurückziehen und noch weniger bewegen und dass psychische Begleiterkrankungen wie Depressionen zunehmen“, so Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller, die im IFB AdipositasErkrankungen die Stigmatisierung adipöser Menschen erforscht. „Deshalb sind Studien wie diese wichtig. Sie können helfen, gezielte Kampagnen zu entwickeln, um die bestehende Stigmatisierung und Diskriminierung in der Bevölkerung abzubauen.“


Mehr über aktuelle Forschungsergebnisse zum Thema Adipositas lesen Sie in der neuen BMBF-Broschüre „Adipositas Erkrankungen“.
Ansprechpartnerinnen:
Prof. Dr. Steffi Riedel-Heller
Claudia Sikorski
Institut für Sozialmedizin, Arbeitsmedizin und Public
Health (ISAP)
IFB AdipositasErkrankungen
Universität Leipzig
Philipp-Rosenthal-Straße 55
04103 Leipzig
Tel.: 0341 971-5408
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