Februar 2019

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Ein Modell der Blut-Hirn-Schranke für die Medikamentenentwicklung

Mit einem neuen Testsystem lässt sich zuverlässig untersuchen, ob ein Wirkstoff vom Blut in das Gehirn gelangt. Dies ist eine entscheidende Voraussetzung für Medikamente, die beispielsweise gegen Hirntumore oder die Alzheimer-Erkrankung wirken sollen.

Verschiedene Tabletten auf einer Hand

Viele Medikamente, die im Gehirn oder im zentralen Nervensystem wirken sollen, müssen zunächst die Blut-Hirn-Schranke überwinden.

DLR Projektträger / BMBF

Der Übergang vom Blutkreislauf zum zentralen Nervensystem ist strikt reguliert: Die Blut-Hirn-Schranke lässt Nährstoffe und Stoffwechselprodukte passieren, schützt das Gehirn aber vor Krankheitserregern und Giftstoffen. „Leider können auch viele Wirkstoffe die Blut-Hirn-Schranke nicht überwinden. Das erschwert die Entwicklung von Medikamenten, die beispielsweise im Gehirn oder im zentralen Nervensystem wirken sollen“, erläutert Dr. Antje Appelt-Menzel. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen und Kollegen entwickelte die Wissenschaftlerin ein Modellsystem dieser wichtigen Barriere, wobei sie das Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziell unterstützte. Mit diesem Modellsystem können Forschende zukünftig zuverlässig testen, ob ein potentieller Wirkstoff die Blut-Hirn-Schranke überwinden kann.

Eine gute Alternative zu Tierversuchen und bisherigen Modellsystemen

Bislang werden potentielle Wirkstoffe häufig im Tierversuch oder in einem der bereits zur Verfügung stehenden Modellsysteme getestet. Die Vorhersagekraft dieser Tests zur Passage der Blut-Hirn-Schranke ist allerdings gering.

Für ihr Modell der Blut-Hirn-Schranke erhielt Dr. Antje Appelt-Menzel den 3R-Science Prize.

Für ihr Modell der Blut-Hirn-Schranke erhielt Dr. Antje Appelt-Menzel den 3R-Science Prize.

privat

Im Vergleich zu den bisher verwendeten Modellsystemen weist das neu entwickelte System eine höhere Barrierestärke auf, ähnlich hoch wie die der natürlichen Blut-Hirn-Schranke im menschlichen Körper. Die zu testenden Stoffe können diese Barriere daher nur überwinden, wenn sie aktiv transportiert werden – auch darin gleicht das Modell seinem natürlichen Vorbild. Dass dieser Transportmechanismus funktioniert, konnte das Team bereits zeigen: Referenzsubstanzen – Stoffe, die nachweislich die Blut-Hirn-Schranke passieren wie Koffein oder das Schmerzmittel Diclofenac – überwinden auch in diesem Modellsystem die Barriere. Mit einer Folgestudie wollen die Wissenschaftler jetzt den Nachweis erbringen, dass das neue System den bisher vorhandenen Testmodellen auch bei weiteren Substanzklassen in Handhabung und Reproduzierbarkeit sowie anderen Belangen überlegen ist. „Insbesondere die Industrie benötigt ein zuverlässiges Testverfahren. Hier werden zahlreiche Substanzen oft noch im Tierversuch auf ihre mögliche Wirkung getestet, auch wenn noch unklar ist, ob sie die Blut-Hirn-Schranke überwinden können“, ergänzt die Wissenschaftlerin aus Würzburg. Das Bundesforschungsministerium unterstützt auch diese Studie im Rahmen der Fördermaßnahme „Innovative Stammzelltechnologien für die individualisierte Medizin“.

Pluripotente Stammzellen bilden die Basis des Testverfahrens

Für das neue Modellsystem verwenden die Forscherinnen und Forscher induzierte pluripotente Stammzellen. Im Gegensatz zu den embryonalen Stammzellen werden diese aus Gewebeproben erwachsener Menschen gewonnen und sind daher ethisch nicht so umstritten. Die Zellen der Gewebeproben, beispielsweise der Haut, werden künstlich in Stammzellen umgewandelt. Damit erhalten sie die Fähigkeit, sich in Folge zu Zellen anderer Gewebetypen zu entwickeln und beispielsweise eine Barriere wie die Blut-Hirn-Schranke aufzubauen.

Induzierte pluripotente Stammzellen bilden zudem die genetischen Besonderheiten der Person ab, von der die Zellen stammen. Auch das könnte zukünftig ein Vorteil des neuen Modellsystems sein. Eine medikamentöse Therapie ließe sich dann vorab mithilfe eines solchen Modells individuell auf den Erkrankten anpassen.

Grafische Darstellung des Testsystems zur Blut-Hirn-Schranke

Angepasst nach Appelt-Menzel et. al. "Establishment of a human blood-brain barrier co-culture model mimicking the neurovascular unit using induced pluri- and multipotent stem cells".  Stem Cell Reports 8 (4),894-906 (2017)

Die EPAA (kurz für European Partnership for Alternative Approaches to Animal Testing) zeichnete Dr. Antje Appelt-Menzel für ihr Modell der Blut-Hirn-Schranke mit dem 3R-Science Prize aus. Der Preis würdigt wissenschaftliche Arbeiten, die dazu beitragen, Tierversuche zu ersetzen, zu reduzieren oder zu verbessern. Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde im November 2018 in Brüssel überreicht.

Ansprechpartnerin:
Dr. Antje Appelt-Menzel
Universitätsklinikum Würzburg
Lehrstuhl für Tissue Engineering und Regenerative Medizin
Röntgenring 11
97070 Würzburg
antje.appelt-menzel@uni-wuerzburg.de