Dezember 2019

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Ein Molekül, das vor Alzheimer schützt?

Forschende des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben festgestellt, dass ein Protein des Immunsystems den Verlauf der Alzheimer-Erkrankung positiv beeinflussen kann. Aus diesen Erkenntnissen könnten neue Therapieansätze hervorgehen.

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Ein spezialisiertes Arsenal aus Abwehrmechanismen schützt das Gehirn vor Schadstoffen und Keimen. Auch bei einer Alzheimer-Erkrankung wird dieses Immunsystem aktiv. Fachleute des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in München haben schon vor einiger Zeit herausgefunden, dass der Eiweißstoff „TREM2“ dabei von Bedeutung ist. Produziert wird dieses Molekül von den sogenannten Mikroglia – den Immunzellen des Gehirns –, und es wirkt wie ein Schalter: Wird dieser „umgelegt“, kommt eine Signalkette in Gang. Sie veranlasst die Mikroglia, schädliche, für Alzheimer typische Ablagerungen im Hirngewebe abzubauen. Die Münchner Forscherinnen und Forscher konnten diese Vorgänge an Mäusen beobachten. „Dies deutet darauf hin, dass TREM2 das Gehirn vor Alzheimer in gewissem Umfang schützen kann – jedenfalls im Tiermodell“, so Prof. Christian Haass, Sprecher des DZNE am Standort München und Leiter der Abteilung Stoffwechselbiochemie am Biomedizinischen Centrum München der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU).

„Anlass, uns überhaupt mit TREM2 zu befassen, waren Befunde von Fachkollegen unter anderem aus Island. Sie haben vor einigen Jahren festgestellt, dass Personen mit bestimmten Genvarianten ein erhöhtes Risiko haben, im Alter an Alzheimer zu erkranken. Diese Genvarianten betrafen das TREM2-Protein“, erläutert der Münchner Wissenschaftler.

Ärztin betrachtet Computertomograph-Bilder vom Schädel.

Im Archiv der „Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative“ sind Proben und Aufzeichnungen von Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen verschiedener Ausprägung bis hin zur Demenz und von gesunden älteren Erwachsenen hinterlegt.

pixfly/Adobe Stock

Spuren im Nervenwasser

Hat TREM2 beim Menschen also eine schützende Wirkung? Indizien dafür konnte das Team um Haass und Prof. Michael Ewers vom Institut für Schlaganfall- und Demenzforschung der LMU bereits in einer weiteren Studie finden: Bei Alzheimer-Patientinnen und -Patienten im Frühstadium war die Konzentration von TREM2 im sogenannten Nervenwasser, das Gehirn und Rückenmark umgibt, vergleichsweise hoch. Ein Hinweis dafür, dass das Protein als Reaktion auf die Erkrankung von den Mikroglia vermehrt hergestellt wurde. Nun gingen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen Schritt weiter: Sie untersuchten den Zusammenhang zwischen TREM2-Pegel und gesundheitlicher Entwicklung.

Internationaler Datenpool

Haass und Kollegen nutzen dafür Daten der „Alzheimer’s Disease Neuroimaging Initiative“. In deren Archiv sind Proben und Aufzeichnungen von Personen mit kognitiven Beeinträchtigungen verschiedener Ausprägung bis hin zur Demenz und von gesunden älteren Erwachsenen hinterlegt. Die Daten stammen aus den USA und Kanada. Für die aktuelle Studie konzentrierten sich die Münchner Forschenden auf 385 Probanden mit und ohne geistige Einbußen. Deren gesundheitliche Entwicklung war im Durchschnitt vier Jahre lang und maximal bis zu einem Zeitraum von 11,5 Jahren erfasst worden. Auf diese Weise war es möglich, das Aufkommen von TREM2 im Nervenwasser mit gesundheitlichen Veränderungen in Beziehung zu setzen. Dabei stellte sich heraus: Je höher die Konzentration von TREM2 im Nervenwasser, umso langsamer ließ die geistige Leistungsfähigkeit nach. Das Gedächtnis blieb stabiler, und der Hippocampus – eine Hirnregion verantwortlich für Lernen und Gedächtnis, die bei Alzheimer massiv beschädigt wird – schrumpfte weniger stark.

„Diese Korrelation zwischen TREM2-Spiegel und gesundheitlicher Entwicklung belegt zwar noch keinen kausalen Zusammenhang. Doch wenn man auch die Befunde aus anderen Untersuchungen berücksichtigt, dann ist das ein starkes Indiz dafür, dass TREM2 die Immunantwort auf Alzheimer vorantreibt“, so Haass.

Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE)

Das Deutsche Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen e. V. (DZNE) erforscht die Ursachen von Erkrankungen des Nervensystems und entwickelt Strategien zur Prävention, Therapie, Pflege und Patientenversorgung. Durch seine zehn Standorte (Berlin, Bonn, Dresden, Göttingen, Magdeburg, München, Rostock/Greifswald, Tübingen, Ulm und Witten) bündelt das DZNE exzellente, über Deutschland verteilte Expertise innerhalb einer Forschungseinrichtung. Zugleich kooperiert es eng mit Universitäten, deren Kliniken und außeruniversitären Einrichtungen.

Das DZNE ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und gehört zu den Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) eingerichtet wurden, um Maßnahmen gegen die wichtigsten Volkskrankheiten zu entwickeln. Es wird vom BMBF und den Bundesländern gefördert, in denen die Standorte des DZNE angesiedelt sind.

Weitere Informationen im Internet unter www.dzne.de sowie auf Facebook unter www.dzne.de/facebook

Möglicher Ansatz für neue Therapie

Die Konzentration von TREM2 im Nervenwasser steigt vor allem in einer frühen Phase der Erkrankung. „Die TREM2-Produktion ist eine Antwort auf eine bereits erfolgte Schädigung des Gehirns“, sagt Haass. „Die Mikroglia werden dadurch angeregt, das Gehirn zu schützen. Bei Alzheimer ist dieser Schutz offenbar unzureichend.“

Hier sehen Haass und seine Kolleginnen und Kollegen einen möglichen Ansatzpunkt für neue Behandlungsstrategien: „Wir entwickeln zurzeit einen therapeutischen Antikörper, der die Funktion von TREM2 stimulieren und damit die Schutzfunktion der Mikroglia verbessern kann“, so der Münchner Forscher. „Allerdings muss man dabei enorm vorsichtig sein und diesen Therapieansatz erst einmal im Tiermodell genau untersuchen, bevor man ihn an Menschen einsetzt. Man darf nicht über das Ziel hinausschießen und das Immunsystem zu stark aktivieren. Eine Überreaktion könnte zu schädlichen Entzündungen führen.“
 

Originalpublikation

„Increased soluble TREM2 in cerebrospinal fluid is associated with reduced cognitive and clinical decline in Alzheimer’s disease“, Michael Ewers et al.; Science Translational Medicine (2019), DOI: 10.1126/scitranslmed.aav6221

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Christian Haass
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Feodor-Lynen-Straße 17
81377 München
christian.haass@dzne.de

Pressekontakt:
Dr. Marcus Neitzert
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE)
Stabsstelle Kommunikation
Venusberg-Campus 1, Gebäude 99
53127 Bonn
marcus.neitzert@dzne.de