Faktor aus Fettzellen verschlechtert die Herzfunktion - Warum Übergewicht der Auslöser für zahlreiche Folgeerkrankungen ist

Immer mehr Menschen in Deutschland sind übergewichtig. Mit schwerwiegenden Folgen auch für das Gesundheitssystem: Denn Übergewicht kommt selten allein.

Oftmals leiden stark Übergewichtige an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder an Störungen des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels. Aber warum entstehen durch übermäßige Fettpolster diese Begleit- und Folgeerkrankungen? Wissenschaftler des Kompetenznetzes Adipositas haben eine Hypothese: Der Auslöser ist eine Fehlfunktion im Fettgewebe.

Die Zahlen sind alarmierend: Bereits jeder zweite Erwachsene in Deutschland hat Übergewicht und jeder fünfte ist sogar stark übergewichtig, also fettleibig oder adipös. In den seltensten Fällen kommt Übergewicht allein: Fast ein Viertel aller Deutschen leidet am sogenannten Metabolischen Syndrom, einer Kombination aus Übergewicht, Bluthochdruck und einer Störung des Kohlenhydrat- und Fettstoffwechsels. Besonders besorgniserregend ist, dass schon fünf bis zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen ein Metabolisches Syndrom haben. Wissenschaftler des Forschungsverbundes „Adipose Target“ des Kompetenznetzes Adipositas haben eine Hypothese, warum sich aus starkem Übergewicht oftmals ein Metabolisches Syndrom entwickelt: „Wir gehen davon aus, dass Struktur und Funktion des Fettgewebes bei den meisten adipösen Menschen gestört sind und so adipositasassoziierte Begleit- und Folgeerkrankungen entstehen“, sagt Prof. Dr. Matthias Blüher von der Universität Leipzig.

Fett ist ganz und gar nicht träge

Lange Zeit wurde das Fettgewebe als „träges“ Speicherorgan angesehen. Das hat sich geändert. „Heute ist bekannt, dass bestimmte Hormone spezifisch im Fettgewebe gebildet werden“, erläutert Professor Blüher. Mit dieser Entdeckung ist deutlich geworden, dass Fettgewebe ein komplexes und hochaktives Organ ist. „So kann man auch verstehen, warum eine Funktionsstörung im Fettgewebe durchaus gefährliche Folgen haben kann.“ Bisher ist jedoch weitgehend unbekannt, welche Rolle eine gestörte Fettfunktion beispielsweise bei der Entwicklung von Adipositas und deren Folgeerkrankungen spielt. Mit Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) möchten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im Forschungsverbund „Adipose Target“ deshalb verstehen, welche Veränderungen im Fettgewebe das Risiko für Begleiterkrankungen erhöhen. Damit wollen sie die Grundlage für neue Therapiestrategien schaffen.

„Wir haben bereits einige strukturelle und molekulare Mechanismen im Fettgewebe entschlüsselt, die das Risiko für Folgeerkrankungen von Adipositas beeinflussen“, erklärt Professor Blüher. Sind beispielsweise die einzelnen Fettzellen in ihrem Durchmesser vergrößert, ist das Risiko der betroffenen Übergewichtigen, eine Herz-Kreislauf-Erkrankung oder eine Kohlenhydrat- und Fettstoffwechselstörung zu entwickeln, erhöht. „Ähnliches gilt, wenn viele Zellen des Immunsystems in das Fettgewebe eingewandert sind, also eine Entzündung vorliegt“, erklärt der Experte. Für genau diese Umgestaltungen im Fettgewebe sind bestimmte Gene verantwortlich. „Es scheint also Risikogene zu geben, die darüber entscheiden, welche Folgen starkes Übergewicht auf den Körper hat“, sagt Professor Blüher.


Diese sichtbare Veränderung im Fettgewebe von adipösen Patienten
erhöht das Risiko für Folgeerkrankungen: Unter dem Mikroskop
zeigen Gewebeschnitte, dass bei einer Fehlfunktion im Fettgewebe
(oben) im Vergleich zu normalem Fettgewebe (unten) vermehrt
Immunzellen (blau gefärbt) zwischen die Fettzellen (weiß) einwandern.
Das Gewebe ist entzündet.
Bildquelle: Klinik für Endokrinologie und Nephrologie, Universität Leipzig

Fett bestimmt die Funktion des Herzens

Auch haben die Forscher einen Faktor identifiziert, der ausschließlich im Fettgewebe produziert und freigesetzt wird, das FABP4. „In unserem Forschungsverbund hat Frau Dr. Valéria Lamounier-Zepter herausgefunden, dass genau dieses Protein einen direkten Einfluss auf die Kontraktionsfähigkeit des Herzens hat“, erläutert Professor Blüher. „Und zwar verschlechtert FABP4 die Pumpfunktion des Herzens.“ Diese Ergebnisse stammen aus Versuchen im Tiermodell, aber die Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Freisetzung von FABP4 aus den Fettzellen auch beim Menschen an der Entstehung einer übergewichtsbedingten Herzmuskelschwäche beteiligt ist. „Es gibt also einen direkten Zusammenhang zwischen Fettgewebe und der Funktionsfähigkeit unseres Herzens.“ Zudem mehren sich die Hinweise, dass FABP4 auch die Entstehung des Metabolischen Syndroms sowie von Diabetes mellitus und Arteriosklerose beeinflusst.

Tödliches Quartett – Das Metabolische Syndrom

Das Metabolische Syndrom ist keine eigenständige Erkrankung. Vielmehr beschreibt es das gemeinsame Auftreten von vier verschiedenen Erkrankungen oder Symptomen:

  • Übergewicht (bauchbetonte Adipositas),
  • Insulinresistenz (die Körperzellen reagieren vermindert auf die Wirkung des Botenstoffs Insulin, der den Blutzuckerspiegel reguliert),
  • Bluthochdruck und
  • Erhöhung der Blutfettwerte.

Im angloamerikanischen Sprachraum wird die Kombination dieser vier Erkrankungen auch „deadly quartet“, also tödliches Quartett genannt. In Deutschland leidet etwa ein Viertel der Bevölkerung unter dem Metabolischen Syndrom (21 Prozent der Frauen und mehr als 26 Prozent der Männer). Inzwischen sind bereits Kinder und Jugendliche betroffen: Aktuellen Schätzungen zufolge kann bei fünf bis zehn Prozent der Kinder und Jugendlichen ein Metabolisches Syndrom nachgewiesen werden. Die Gefahr für Folgeerkrankungen ist hoch. Im schlimmsten Fall können Herzinfarkt und Schlaganfall drohen.

Übergewicht oder Adipositas? Der Body-Mass-Index

Mediziner unterscheiden grundsätzlich zwischen Übergewicht und schwerem Übergewicht, also Adipositas oder Fettleibigkeit. Ob eine Person unter-, normal-, übergewichtig oder adipös ist, lässt sich vereinfacht mit dem Body-Mass-Index, kurz BMI, unterscheiden. Dabei wird das Körpergewicht in Kilogramm durch das Quadrat der Körpergröße in Metern geteilt. Für Erwachsene werden von der Weltgesundheitsorganisation WHO feste Grenzwerte zur Definition von Übergewicht und Adipositas empfohlen: Ab einem BMI von 25 kg/m2 oder mehr ist ein Erwachsener übergewichtig und ab einem BMI von 30 kg/m2 adipös.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Matthias Blüher
Department für Medizin
Klinik für Endokrinologie und Nephrologie
Universität Leipzig
Liebigstraße 20
04103 Leipzig
Tel.: 0341 97-15984
Fax: 0341 97-22439
E-Mail: bluma@medizin.uni-leipzig.de