Dezember 2015

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Fiebersyndrome früher diagnostizieren und behandeln

Es dauert oft sehr lange, bis bei Kindern die systemische juvenile idiopathische Arthritis (Kinderrheuma) diagnostiziert und therapiert wird. Ein neuer Bluttest hilft jetzt, die Erkrankung früher zuverlässig zu erkennen.

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Die Erkrankung begann mit plötzlichem Fieber, starkem Krankheitsgefühl, Gliederschmerzen und einem wechselnden Hautausschlag. Die Laborwerte zeigten eine sehr schwere Entzündung an. Paul, sechs Jahre, wurde mit dem Verdacht auf eine schwere bakterielle Entzündung antibiotisch behandelt, allerdings ohne Erfolg. Auch ein Wechsel des Antibiotikums und sogar die Kombination mehrerer Antibiotika zeigten keine Wirkung. Später im Verlauf kamen noch schwere Entzündungen der Gelenke hinzu. Erst nachdem die Diagnose einer systemischen Form des Kinderrheumas gestellt und eine antientzündliche Therapie eingeleitet wurde, ging es Paul recht schnell wieder deutlich besser.

Ein langer Weg bis zur Gewissheit

Die systemische juvenile idiopathische Arthritis ist eine autoinflammatorische Erkrankung. Bei dieser Erkrankungsgruppe, aufgrund des Hauptsymptoms auch Fiebersyndrome genannt, wird die körpereigene Abwehr mobilisiert, ohne dass fremde Erreger vorhanden sind und eine Infektion vorliegt. Die Entzündung entwickelt sich selbst zur Krankheit. Autoinflammatorische Erkrankungen können in jedem Lebensalter auftreten. Sie beginnen oftmals aber schon im Kindesalter und gehören zu den Seltenen Erkrankungen. Im Einzelfall können Betroffene stark unter ihrer Erkrankungen leiden. „Für viele dieser Erkrankungen kennen wir bereits die Auslöser. Einige beruhen auf genetischen Ursachen, mit spezifischen Gendefekten. Viele dieser Krankheitsbilder können aber noch nicht ausreichend erklärt werden“, sagt Professor Johannes Roth vom Immunologischen Institut der Universität Münster. Da Fieber das Hauptsymptom dieser Erkrankungen ist, ist die Diagnose entsprechend schwierig. Zum einen, weil autoinflammatorische Erkrankungen verglichen mit anderen fiebrigen Erkrankungen selten sind. Zum anderen beruhen die Diagnosen meist auf den persönlichen Beobachtungen und Beschreibungen der Betroffenen und ihrer Angehörigen, die der Ärztin oder dem Arzt mitgeteilt werden. Weitere effiziente Diagnosemöglichkeiten fehlen zurzeit noch. „Gerade bei jungen Menschen verlaufen autoinflammatorische Erkrankungen aber nicht selten hochentzündlich und aggressiv. Hier ist es wichtig, die Zeit bis zur Diagnose zu verkürzen, damit entsprechend schnell therapiert werden kann“, sagt der Immunologe.

Laufen und Toben: Kinder lieben es, sich zu bewegen. Wenn Kinderrheuma frühzeitig erkannt und gezielt behandelt wird, können auch erkrankte Kinder wieder schmerzfrei mitspielen.

Laufen und Toben: Kinder lieben es, sich zu bewegen. Wenn Kinderrheuma frühzeitig erkannt und gezielt behandelt wird, können auch erkrankte Kinder wieder schmerzfrei mitspielen.

Tracy Whiteside_shutterstock

Krankheitsursachen verstehen

Hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Forschungsnetzwerk „AID-Net“ (AID = Auto-Inflammatory Diseases) an. Professor Roth erklärt: „Wir wollen autoinflammatorische Erkrankungen besser verstehen, vor allem bezogen auf die Krankheitsursachen. Gleichzeitig wollen wir die Diagnostik verbessern und neue Therapiekonzepte entwickeln.“ Hierfür hat das Forschungsnetzwerk ein deutschlandweites Register und eine Biomaterialbank für Kinder und Erwachsene mit autoinflammatorischen Erkrankungen aufgebaut. Insgesamt 45 klinische Zentren beteiligen sich an dieser Aufgabe. Gemeinsam haben sie mehr als 1.000 Betroffene in das Register aufgenommen.

Biomarker liefern zuverlässige Diagnose

Ein einfacher Bluttest verschafft Klarheit, ob ein Kind an einer bestimmten Form von Rheuma leidet oder nicht.

Ein einfacher Bluttest verschafft Klarheit, ob ein Kind an einer bestimmten Form von Rheuma leidet oder nicht.

DLR PT/BMBF

Die Anstrengungen der Forscherinnen und Forscher blieben nicht ohne Erfolg. Das Forschungsnetz konnte mehrere Biomarker identifizieren. Biomarker sind messbare Parameter biologischer Prozesse, die prognostische oder diagnostische Aussagekraft haben. Sie dienen beispielsweise als Indikatoren für Krankheiten oder zur Beobachtung des Krankheitsverlaufs. „Wir haben die identifizierten Biomarker zusammen mit unseren internationalen Partnern überprüft. Wir können einige autoinflammatorische Erkrankungen jetzt besser und schneller identifizieren und dann die Therapie individuell auf die jeweilige Person abstimmen“, fasst Roth das Ergebnis zusammen. Sehr konkret erkennt man den medizinischen Fortschritt bei der systemischen juvenilen idiopathischen Arthritis. „Bislang gab es keine Möglichkeit, diese Erkrankung früh zu diagnostizieren. Dies führte dazu, dass die Betroffenen erfolglos über Wochen antibiotisch behandelt wurden, obwohl ja gar keine Infektion vorlag“, erklärt Roth. Für die Betroffenen verstrich also wertvolle Zeit, in der keine zielführende Therapie durchgeführt wurde. „Dank der Arbeiten im AID-Net haben wir jetzt einen Biomarker, mit dem wir die Erkrankungen durch einen einfachen Bluttest diagnostizieren können“, resümiert Roth.

Anwendung auch bei Volkskrankheiten denkbar

Mithilfe der neuen Diagnostik können Menschen, die an systemischer juveniler idiopathischer Arthritis leiden, jetzt schneller und zielgerichteter therapiert werden. Möglicherweise können zukünftig aber noch viel mehr Menschen von der geleisteten Forschung profitieren. „Zwar betrifft unsere Forschung Seltene Erkrankungen. Die zugrunde liegenden Prozesse sind jedoch auch relevant in den häufiger auftretenden sogenannten Volkskrankheiten, wie beispielsweise der rheumatoiden Arthritis des Erwachsenen. Unseren Bluttest überprüfen wir gerade dahin gehend, ob er auch zur Verlaufsbeurteilung bei rheumatoider Arthritis verwendet werden kann“, erklärt Roth. Eine entsprechende Kooperation mit der Industrie hat der Forscher bereits aufgenommen.

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Johannes Roth
Westfälische Wilhelms-Universität Münster
Institut für Immunologie
Röntgenstraße 21
48149 Münster
0251 83-56578
0251 83-56549
rothj@uni-muenster.de