Viele Erkrankungen verlaufen bei Frauen anders als bei Männern und unterscheiden sich zudem in ihren Symptomen. Deshalb muss der Geschlechteraspekt bei der Behandlung von Krankheiten berücksichtigt werden – ebenso wie bei ihrer Erforschung.
Forschung ist dann erfolgreich, wenn sie die Besonderheiten der Menschen berücksichtigt. In der medizinischen Forschung spielt das Geschlecht – neben Alter und persönlichem Lebensstil – eine zentrale Rolle. Ein geschlechtersensibler Forschungsansatz trägt dazu bei, viele Erkrankungen besser zu verstehen, denn schon die Symptome mancher Erkrankungen können sich bei Frauen und Männern so sehr voneinander unterscheiden, dass es lange dauert, bis die richtige Diagnose gestellt wird oder dass die Erkrankung übersehen wird. Bekannte Beispiele dafür sind der Herzinfarkt, der bei Frauen andere Symptome zeigt als bei Männern, und psychische Erkrankungen wie Depressionen, Angst- oder Essstörungen, die bei Männern seltener diagnostiziert werden als bei Frauen. Krankheiten können sich bei Frauen und Männern zudem unterschiedlich stark ausprägen, unterschiedlich häufig auftreten oder auf ein Geschlecht beschränkt sein. So leiden Frauen häufiger an Darmerkrankungen und, sind nach den Wechseljahren stärker gefährdet, an Osteoporose zu erkranken. Auch wirken manche Medikamente bei Frauen anders als bei Männern, denn das Geschlecht beeinflusst, wie schnell der Körper ein Medikament abbaut und damit auch, wie lange und wie stark es wirkt.
Beim Thema reproduktive Gesundheit, das menschliche Fruchtbarkeit und Fortpflanzung sowie das körperliche und seelische Wohlbefinden mit der eigenen Sexualität umfasst, ist der Bedarf an Forschung gleichermaßen hoch. Thematische Schwerpunkte reichen von der Keimzellbildung über die embryonale Entwicklung bis hin zu Schwangerschaft und Geburt. Die Forschung im Bereich reproduktive Gesundheit schließt sowohl körperliche und medizinische als auch psychosoziale und medizinethische Dimensionen ein.
Die englische Sprache unterscheidet das biologische Geschlecht („sex“) vom sozialen Geschlecht („gender“). Der Begriff „Gender“ steht für die gesellschaftlich geprägte und individuell erlernte Geschlechterrolle und wurde in den deutschen Sprachgebrauch übernommen.
Das biologische Geschlecht definiert sich über sicht- und messbare Merkmale, d. h. Geschlechtsorgane, Chromosomen und Hormone. Nicht bei allen Menschen sind diese Merkmale eindeutig einem biologischen Geschlecht zuzuordnen; auch gibt es Menschen, die sich ihrem sozialen Geschlecht trotz eindeutiger biologischer Merkmale nicht zugehörig fühlen.
Ansätze und Konzepte, die sowohl das biologische als auch das soziale Geschlecht berücksichtigen, werden in nahezu allen Bereichen der Gesellschaft diskutiert. Auch in der medizinischen Forschung rückt das Thema verstärkt in den Blickpunkt. Es gilt vielfältige geschlechtsspezifische Lebenslagen und -umstände zu berücksichtigen, um die Bedürfnisse möglichst aller Zielgruppen zu erfüllen.
Das BMBF stärkt geschlechterdifferenzierte Gesundheitsforschung
Bei vielen Krankheiten sind die geschlechtsspezifischen Unterschiede bislang nicht hinreichend untersucht. Noch immer mangelt es der Forschung an belastbaren Daten: Im Labor wird vor allem mit männlichen Tieren und Zellkulturen geforscht und in klinischen Studien sind Frauen oft unterrepräsentiert. Aufgrund dieser Datenlücke, dem „Gender Data Gap“, fehlt es auch an Wissen zu einer das Geschlecht berücksichtigenden Diagnostik von Krankheiten. Insgesamt ist ein neuer methodischer Ansatz vonnöten: eine geschlechterdifferenzierte Betrachtung in Bezug auf Fragestellungen, Forschungsmethoden und Analyseverfahren.
Diesen Forschungsbedarf greift das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) in mehreren Fördermaßnahmen auf.
Seit November 2023 fördert das BMBF den Aufbau von fünf interdisziplinären Zentren zur reproduktiven Gesundheit – in Hamburg, Jena, Leipzig, Münster und Ulm. Ziel der Fördermaßnahme ist es, die deutsche Forschungslandschaft zu diesem gesellschaftlich wichtigen Thema nachhaltig zu stärken und insbesondere junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für diesen Forschungsbereich zu gewinnen. Die Zentren werden zunächst für drei Jahre mit etwa elf Millionen Euro gefördert. Die Maßnahme ist Teil des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung der Bundesregierung. Im Falle einer erfolgreichen Zwischenbegutachtung ist eine Verlängerung der Förderung um drei Jahre möglich.
Die Forschungsschwerpunkte der geförderten Zentren umfassen Frauengesundheit und Schwangerschaft, die männliche Fortpflanzungsfähigkeit, den Erhalt der Zeugungsfähigkeit aller Geschlechter (beispielsweise bei Krebs bzw. Endometriose) und den Einfluss von Übergewicht auf die sexuelle und reproduktive Gesundheit.
Weitere Informationen:
BMBF stärkt Forschungslandschaft zur reproduktiven Gesundheit
Interdisziplinäre Nachwuchszentren für reproduktive Gesundheit (Fördermaßnahme)
Endometriose ist eine schmerzhafte gynäkologische Erkrankung, deren Ursachen noch weitgehend unbekannt sind. Im Krankheitsverlauf siedelt sich Gewebe, das der Gebärmutterschleimhaut ähnelt, außerhalb der Gebärmutter an. Dies kann zu Gewebeschäden und chronischen Entzündungen, aber auch zu Unfruchtbarkeit führen. Die Diagnose ist nur schwer möglich und die Symptome können bislang nur gelindert, aber nicht geheilt werden.
Um den Betroffenen zu helfen, fördert das BMBF ab September 2024 fünf Forschungsverbünde mit rund zehn Millionen Euro über einen Zeitraum von zunächst drei Jahren. Ziel ist es, mit Hilfe interdisziplinärer Verbundforschung wesentliche Fragen zu der Entstehung und dem Verlauf der Erkrankung zu beantworten und bessere Präventions-, Diagnose-, und Therapiemöglichkeiten zu entwickeln. Die Förderrichtlinie ist Teil des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung der Bundesregierung.
Die geförderten Verbünde untersuchen verschiedene Fragestellungen, wie den Zusammenhang zwischen Endometriose und Unfruchtbarkeit. Auch die mit einer Endometriose verbundenen Schmerzen werden gezielt in den Blick genommen. Zudem wird das Zusammenspiel von Endometrioseherden mit dem umliegenden Gewebe und mit dem körpereigenen Immunsystem sowie der Einfluss von Ernährung und Darm-Mikroorganismen auf die Mechanismen der Endometriose-Entstehung untersucht.
Weitere Informationen:
Endometriose: „Chamäleon der Gynäkologie“ wird erforscht
Bekanntmachung
Die Fördermaßnahme „Gendergesundheit“ (2017) war ein wichtiger Baustein der Förderinitiative „Gesund – ein Leben lang“ des Rahmenprogramms Gesundheitsforschung. Gefördert wurden gendersensible vergleichende Studien, um geschlechtsbedingte Unterschiede zu erkennen und gendersensible Versorgungskonzepte und Maßnahmen zur Prävention und Gesundheitsförderung zu entwickeln und erproben. Durch systematische Übersichtsarbeiten wurde das Wissen zu bereits verfügbaren gendersensiblen Studien zusammengefasst und bewertet. Im Rahmen der bis 2022 laufenden Maßnahme stellte das BMBF rund zehn Millionen Euro für neun Forschungsverbünde sowie fünf Einzelvorhaben bereit.
Die Themen der Forschungsprojekte analysierten den Einfluss des Geschlechts auf die Wirksamkeit von Präventions-, Diagnose- und Behandlungsmethoden von Krankheiten und auf die Entwicklung von Krankheitsverläufen. So untersuchte eine Forschungsgruppe beispielsweise die Potenziale effektiverer und kosteneffektiverer geschlechtsspezifischer Strategien für die Darmkrebsvorsorge in Deutschland. Auch wurde die Frage adressiert, ob und in welchem Umfang das Geschlecht das diagnostische und therapeutische Verhalten von Hausärztinnen und -ärzten bei der Behandlung von Herzinsuffizienz beeinflusst. Geschlechtsspezifische Strategien zur Förderung der psychischen Gesundheit wurden entwickelt und geschlechtsbezogene Ungleichheiten in Alterskohorten aufgedeckt. Zugleich wurden gendersensible Forschungsmethoden entwickelt, beispielsweise für die Gesundheitsberichterstattung.
Weitere Informationen:
Der kleine große Unterschied von Frauen und Männern
Gendergesundheit (Fördermaßnahme)
Geschlechteraspekte im Blick (GiB)
Ein wichtiges Ziel von Forschung ist es, Leben und Lebensqualität der Menschen zu verbessern: Therapien und Technologien, Produkte und Dienstleistungen sollen sich an den Lebensrealitäten und Bedürfnissen aller Menschen orientieren. Das erfordert eine differenzierte Betrachtung, die geschlechtsbezogene Besonderheiten berücksichtigt – im naturwissenschaftlich-technischen Bereich ebenso wie in der medizinischen Forschung.
Mit der Richtlinie „Geschlechteraspekte im Blick“ (GiB) aus dem Jahr 2021 will das BMBF eine geschlechtersensible Vorgehensweise in Wissenschaft und Forschung stärken und diesen Ansatz im gesamten Forschungsprozess und in allen Fachgebieten verankern. Die Ergebnisse einer solchen Forschung sind genauer und die Bereitstellung entsprechender Forschungsinstrumente verhindert, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen bevorteilt oder benachteiligt werden: Mehr Wissen dank geschlechtersensibler Gesundheitsforschung beispielsweise ermöglicht bessere Diagnosen, innovative Medikamente und bedarfsgerechte Therapien.
Ein Hauptanliegen des im Rahmen der Maßnahme geförderten Verbundvorhabens „Umsetzung Inklusiver Exzellenz (InkE) in der Medizin“ ist es deshalb, einen Kulturwandel der Forschungspraxis anzustoßen, der sich an Inklusivität, Diversität und wissenschaftlicher Exzellenz orientiert. In interdisziplinärer Zusammenarbeit entwickeln die Verbundpartner innovative Ansätze zur Beratung und Weiterbildung von Forschenden, zur Wissenschaftskommunikation und zur Datenmodellierung in epidemiologischen und klinischen Studien.
Weitere Informationen:
Geschlechteraspekte in der Forschung (BMBF-Homepage)
Geschlechteraspekte im Blick (Bekanntmachung)
Der „kleine“ Unterschied kann Leben retten (Universitätsmedizin Greifswald)
InkE – Inklusive Exzellenz (Universitätsmedizin Greifswald)
Übersicht: Geförderte Vorhaben in der Umsetzungsphase (PDF, 136KB, Datei ist nicht barrierefrei)