14.02.2020

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Implantierter Defibrillator: Die Ängste bewältigen

Ein implantierter Defibrillator rettet vielen Menschen das Leben, er kann aber auch Ängste auslösen - vor einem Stromschlag und vor dem Tod. Ein webbasiertes Schulungsprogramm kann diese Ängste lindern.

Aufnahme von Implantierbaren Herz-Defibrillatoren (ICD)

So klein wie eine Streichholzschachtel, aber mit großen Konsequenzen: Ein ICD kann Leben retten aber auch große Ängste auslösen.

Betastock/Adobe Stock

Etwa 26.000 Menschen in Deutschland tragen einen implantierten Herz-Defibrillator (ICD) im Körper. Das Gerät, das ungefähr die Größe einer Streichholzschachtel hat, erkennt lebensbedrohliche Herzrhythmusstörungen und kann diese mit einem Stromschlag beenden. Es rettet den Träger somit  vor einem plötzlichen Herztod. Das Wissen darüber, dass es jederzeit zu diesem schmerzhaften Stromimpuls kommen könnte, macht allerdings vielen Betroffenen Angst – insbesondere denen, die eine solche Auslösung schon einmal erlebt haben. Hinzu kommt das Wissen darüber, dass sie ohne diesen Impuls sterben könnten. Die Begleitsymptome einer schweren Herzerkrankung belasten die Betroffenen zusätzlich. Das führt dazu, dass etwa 40 Prozent der Menschen mit einem ICD unter Ängsten, depressiven Verstimmungen und einer eingeschränkten Lebensqualität leiden.

Um ihnen die Angst zu nehmen und Lebensqualität zurückzugeben, entwickelten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität Würzburg und des Deutschen Zentrums für Herzinsuffizienz (DZHI) ein webbasiertes Schulungsprogramm: das ICD-Forum. Das sechswöchige moderierte Training zur Hilfe durch Selbsthilfe beruht auf wissenschaftlich gesicherten Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie, die durch medizinische und technische Informationen zum ICD ergänzt werden. Dass das Schulungskonzept den Betroffenen wirklich helfen kann, bestätigte eine durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte klinische Studie: Nach der Teilnahme am ICD-Forum litten die Probandinnen und Probanden seltener unter Depressionen und Angstzuständen als Personen, die nicht an der Schulung teilgenommen hatten. Diese Effekte waren auch noch ein Jahr später nachweisbar. „Das zeigt eindrücklich, dass die Patienten während des sechswöchigen Trainings eine Kompetenz erworben haben, wie sie mit der Angst umgehen können“, fasst der Psychologe Prof. Paul Pauli die Ergebnisse zusammen. „Wir haben den Samen für etwas gesät, das wächst, wenn es gebraucht wird: Die Patienten wurden für bestimmte Problemstellungen sensibilisiert und haben sich im späteren Verlauf an die Werkzeuge erinnert, die wir ihnen mitgegeben haben.“

Ein Schulungskonzept mit wöchentlich wechselnde Schwerpunktthemen

An der Studie nahmen insgesamt 118 Patientinnen und Patienten mit einem ICD teil. Sie alle litten unter einer messbaren psychischen Belastung durch ihre Erkrankung. Etwa die Hälfte von ihnen nahm am ICD-Forum teil, die anderen Probanden wurden einer Kontrollgruppe ohne Intervention zugeteilt.

In den ersten beiden Wochen wurden die Teilnehmenden in das Programm eingeführt und über die technischen Hintergründe des ICD aufgeklärt. „Die Patienten haben enorme Wissenslücken, aus denen wiederum Ängste entstehen“, erläutert der Psychologe Dr. Stefan Schulz, der die Studie leitete. „Einige Patienten haben zum Beispiel Angst, die Schranken in den Eingangstüren großer Geschäfte zu passieren, weil Gerüchte kursieren, dass die Elektrik die Defibrillatoren ausschaltet.“

In den darauffolgenden Wochen wurden im Schulungsprogramm unterschiedliche Schwerpunktthemen behandelt wie Depressionen, Angst oder Stress. Dabei lernten die Probandinnen und Probanden verschiedene Wege kennen, mit der belastenden Situation umzugehen.

Ausweitung des Schulungskonzeptes möglich

Aktuell suchen die Forschenden nach Partnern aus der Privatwirtschaft und bei den Krankenkassen, damit sie das ICD-Forum möglichst vielen Patientinnen und Patienten zur Verfügung stellen können. „Wir können uns gut vorstellen, die Internetintervention deutschlandweit anzubieten, aber auch auf andere Zielgruppen auszuweiten“, so Pauli. „Viele Belastungen, die wir in unserer Studie in den Fokus genommen haben, betreffen nämlich auch Herzpatienten ohne Defibrillator. Unsere webbasierte Schulung eröffnet einen praktikablen Weg, die Lebensqualität von psychisch belasteten herzkranken Patienten nachhaltig zu verbessern.“

Das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz

Das Deutsche Zentrum für Herzinsuffizienz (DZHI) ist ein integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum unter dem Dach des Universitätsklinikums und der Universität Würzburg. Es wird seit dem Jahr 2010 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Ziel ist es, effektive Strategien für die Prävention und Therapie der Herzinsuffizienz zu entwickeln und die Erkrankung grundlegend zu erforschen. Das Zentrum vereint dazu Grundlagen-, Versorgungs- und klinische Forschung in einem bundesweit einmaligen multidisziplinären und translationalen Ansatz.