Kasino im Kopf - Was ein Kartenspiel über unser Essverhalten aussagt

Bildquelle: iStockphotoOb wir zur Sahnetorte greifen oder der Versuchung widerstehen, entscheidet unser Gehirn.Die Menschen werden immer dicker – soviel steht fest. Bereits jetzt ist in Deutschland fast jede zweite Frau übergewichtig und rund zwei Drittel der Männer sind zu schwer für ihre Größe – ihr Body-Mass-Index, kurz BMI, liegt über 25. Wissenschaftler des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums (IFB) AdipositasErkrankungen in Leipzig erforschen und behandeln die Ursachen und Folgeerkrankungen von krankhaftem Übergewicht. In einer Studie in Kooperation mit dem Max Planck Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften beschäftigen sie sich mit der Frage, welchen Einfluss das Gewicht auf unser alltägliches Entscheidungsverhalten und auf die Hirnstruktur hat. Hierfür schickten die Leipziger Forscher 60 gesunde normalgewichtige Frauen und Männer sowie 60 Übergewichtige in ein virtuelles Kasino. „Die Versuchsteilnehmer lagen in einem Magnetresonanztomographen und spielten ein PC-Kartenspiel“, beschreibt Dr. Annette Horstmann vom Leipziger IFB den Ablauf der Untersuchung.

Bei dem Kartenspiel „Iowa Gambling Task“ können die Versuchsteilnehmer zwischen zwei Spielkartenstapeln wählen, die mit unterschiedlichen Erfolgs- und Risikoaussichten belegt sind. Ein Stapel führt zu schnellen Sofortgewinnen, birgt aber hohe Langzeitrisiken. Der zweite Stapel ist weniger riskant, bringt aber erst auf längere Sicht Gewinne. Im Verlauf der Studie zeigte sich besonders zwischen übergewichtigen und normalgewichtigen Frauen ein Unterschied im Spielverhalten: Übergewichtige Frauen verhielten sich im Vergleich zu normalgewichtigen besonders kurzsichtig. „Sie wählten überproportional häufig den Stapel, der zwar zu hohen Sofortgewinnen, aber auch zu einem negativen Langzeitergebnis führt“, sagt Dr. Horstmann. Während normalgewichtige Frauen im Laufe des Spiels lernten, den Stapel mit Langzeitverlusten zu vermeiden, blieben die übergewichtigen Frauen bei ihrer impulsiven Strategie. „Im Prinzip spiegelt dieses Spiel den Alltag und damit auch das Essverhalten wider. Wer sich eher für den Sofortgewinn entscheidet, denkt weniger an die langfristigen Risiken. Diese Personen neigen dazu, sich kurzfristig durch übermäßiges Essen Befriedigung zu verschaffen. Schlanke Frauen hingegen beweisen häufiger Weitsicht“, so die Expertin. Sie vermeiden langfristige negative Konsequenzen, auch wenn diese kurzfristige Belohnung versprechen.

Was bei den Frauen ganz eindeutig ist, trifft für Männer nicht zu. Hier konnten die Forscher keinen Unterschied im Spielverhalten zwischen normal- und übergewichtigen Männern erkennen. Allerdings glich das Spielverhalten der Männer im Schnitt eher dem der übergewichtigen Frauen.

Hirnstruktur verändert

Bildquelle: Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum AdipositasErkrankungenDreidimensionale Abbildung eines Gehirns. Die Unterschiede zwischen Adipösen und Normalgewichtigen sieht man mit bloßem Auge nicht, dafür brauchen die Forscher ein wenig Statistik: Farbkodiert sind diejenigen Bereiche, die positiv mit dem Body-Mass-Index (BMI) korrelieren. Je höher der BMI, desto mehr graue Substanz in diesen Regionen, je heller die Farbe, desto stärker ist dieser Zusammenhang.Mögliche Ursachen für diese Unterschiede im sogenannten belohnungsabhängigen Entscheidungsverhalten fanden die Forscher in der Gehirnstruktur. „Im Magnetresonanztomographen konnten wir eindeutig erkennen, dass bei übergewichtigen Menschen diejenigen Hirnstrukturen verändert sind, die wir als Belohnungssystem bezeichnen“, beschreibt Dr. Horstmann. Genau in diesen Hirnregionen haben adipöse Menschen mehr graue Substanz als Schlanke, einer Struktur, die für die Verarbeitung von Nervensignalen verantwortlich ist. Zudem ist der Hypothalamus, eine Hirnregion, die in die hormonelle Steuerung von Hunger- und Sättigungsempfinden eingebunden ist, bei übergewichtigen Männern und Frauen stark vergrößert. Im Gegensatz dazu sind Hirnstrukturen, die an der kognitiven Verhaltenskontrolle beteiligt sind, vor allem bei übergewichtigen Frauen verkleinert. „Wichtig ist, dass diese Veränderungen nicht als Abbau von Gehirnsubstanz gewertet werden können“, betont Dr. Horstmann. Ganz im Gegenteil deuten sie auf eine andere Arbeitsweise des Gehirns hin, was vermutlich die mangelnde Impulskontrolle bewirkt.

Ähnliche strukturelle Veränderungen des Gehirns sind aus Studien mit Frauen, die an Ess-Brechsucht, der Bulimie, leiden, bekannt. Dies lässt darauf schließen, dass die Unterschiede in der Hirnstruktur nicht mit Übergewicht, sondern generell mit einem veränderten Essverhalten einhergehen. Ob das veränderte Essverhalten und die eingeschränkte Impulskontrolle diese strukturellen Veränderungen hervorrufen oder umgekehrt, ist noch unklar.

Blick ins Gehirn zeigt: Adipositas ist eine Sucht

Das Fazit der Wissenschaftlerin: „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass Menschen mit krankhaftem Übergewicht ein Verhalten zeigen, welches mit typischem Suchtverhalten vergleichbar ist. Im Gehirn laufen nämlich ganz ähnliche Prozesse wie etwa bei einer Alkoholsucht ab“, sagt Dr. Horstmann. Was zunächst erschreckend klingen mag, werten die Forscherinnen und Forscher des IFB in Leipzig durchaus positiv: „Durch unsere Ergebnisse hoffen wir, die Ursachen von Essstörungen besser zu verstehen und neue Therapieansätze zu finden.“


Das IFB AdipositasErkrankungen

LogoDas Integrierte Forschungs- und Behandlungszentrum, kurz IFB, AdipositasErkrankungen in Leipzig vereint die Forschung und Behandlung zu krankhaftem Übergewicht und seinen Folgeerkrankungen unter einem Dach. Durch die enge Verzahnung von grundlagenbezogener und patientenbezogener Forschung sollen in den nächsten Jahren Behandlungsmöglichkeiten entwickelt werden, die effektiver sind als die zurzeit verfügbaren. Eine innovative Organisationsstruktur mit flachen Hierarchien und demokratisch gewählten Gremien gibt vor allem jungen Forschenden die Möglichkeit, wissenschaftliche Vorhaben eigenverantwortlich umzusetzen. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das IFB mit rund 24 Millionen Euro zunächst für fünf Jahre.
Ansprechpartnerin:
Dr. Annette Horstmann
Integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum
AdipositasErkrankungen
Stephanstraße 9c
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