Mai 2021

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KI ermöglicht schnelleres Aufspüren von Antibiotika­resistenzen

Hinter Resistenzen steht häufig ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Gene der Krankheitserreger. Ein Forschungsteam aus Hessen nutzt Methoden der künstlichen Intelligenz (KI), um Zusammenhänge aufzudecken und die Diagnostik zu verbessern.

Zwei Hände in Gummihandschuhen halten eine Petrischale.

Antibiotikaresistenzen sind eine große Gefahr. Mithilfe von KI können Kliniken sie zukünftig schneller erkennen und entsprechende Maßnahmen ergreifen.
 

Eremit08/Adobe Stock

Über 50.000 Menschen erkranken in Deutschland jährlich an antibiotikaresistenten Erregern. Und die Resistenzen nehmen stetig zu. Antibiotika als eine der bislang stärksten Waffen im Kampf gegen ansteckende Krankheiten stehen damit kurz davor, wirkungslos zu werden. Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt, dass in 30 Jahren zehn Millionen Menschen jährlich an resistenten Keimen sterben, wenn die Entwicklung so ungehindert weitergeht. Allerdings ist es mitunter nicht einfach, die Resistenzen aufzuspüren. Die Betroffenen erhalten dadurch häufig zunächst wirkungslose Antibiotika. „Gerade bei schweren Fällen kann hier wertvolle Zeit verloren gehen und die gefährlichen Keime infizieren weitere Menschen“, erklärt Professor Dr. Alexander Goesmann von der Justus-Liebig-Universität Gießen. Mit Methoden des maschinellen Lernens wollen er und sein Forschungsteam Resistenzen schneller aufspüren und langfristig Angriffspunkte für neue Antibiotika identifizieren. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) fördert das interdisziplinäre Team aus Gießen und Marburg dabei mit rund einer Million Euro im Rahmen der Fördermaßnahme „Computational Life Sciences“.

YouTuber trifft KI-Team

Der YouTuber Cedric Engels vom Kanal Doktor Whatson hat die Forschenden in Gießen besucht und sich die KI erklären lassen, die eine schnellere Bestimmung von Antibiotika-Resistenzen möglich macht.
KI gegen gefährliche Keime

Resistenzen sind komplex

Multiresistente Erreger schnell und sicher zu identifizieren ist essenziell, wenn es darum geht, den Infizierten effektiv zu helfen und eine Besiedelung weiterer Personen zu vermeiden. Moderne Genanalysen können schnell Klarheit schaffen, wenn ein einzelnes Gen die Resistenz vermittelt. „Die Resistenzen sind jedoch häufig deutlich komplexer. Es gibt verschiedene Abstufungen und häufig sind weitere Gene beteiligt“, erklärt Goesmann. So können einzelne Mutationen harmlos, aber in Kombination mit weiteren Mutationen gefährlich sein. Um diese komplexen Zusammenhänge zu identifizieren, setzt das Forschungsteam auf Methoden des maschinellen Lernens. „Die Algorithmen können riesige Datensätze analysieren und die Zusammenhänge aufspüren“, sagt Professor Dr. Dominik Heider von der Philipps-Universität Marburg. Langfristig wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auch bei solch komplexen Resistenzmechanismen einen schnellen und einfachen Test auf Resistenzen möglich machen.

Für die Erhebung der Daten kooperiert das Team von Professor Goesmann mit der Abteilung für medizinische Mikrobiologie in Gießen unter der Leitung von Professor Dr. Chakraborty. Sein Team nimmt regelmäßig Proben von Patientinnen und Patienten, die mit multiresistenten Erregern besiedelt sind, und untersucht diese mit molekularbiologischen Methoden. Neben der Genomsequenz der Bakterien interessiert sein Forschungsteam vor allem, wie die Bakterien auf Antibiotika reagieren. Hierzu überprüfen sie, welche Gene die Bakterien nach Gabe von Antibiotika an- und ausschalten, aber auch, wie sich das Wachstum der Bakterien unter bestimmten Konzentrationen verschiedener Antibiotika verändert. Dafür lassen die Forschenden die Bakterien im Labor unter standardisierten Bedingungen wachsen, behandeln sie zu definierten Zeitpunkten mit einer festgelegten Menge an Antibiotika und analysieren, wie sich das Wachstum verändert.

Ansatzpunkte für neue Antibiotika

Mithilfe der Algorithmen lernt dann ein Computerprogramm aus diesen Daten, welche Gene vorhanden und angeschaltet sein müssen, damit die Bakterien trotz der Zugabe einer bestimmten Gruppe von Antibiotika weiterwachsen. So kann dann auch trotz der komplexen Muster schnell klassifiziert werden, ob der untersuchte Bakterienstamm bereits resistent gegen bestimmte Antibiotika ist oder nicht. Für den Einsatz in der Praxis wollen die Bioinformatikerinnen und Bioinformatiker auch verstehen, warum das Programm die Entscheidung trifft. Letztlich gilt es also, herauszufinden, was sich auf molekularer und genetischer Ebene bei den Bakterien verändert hat. „Wie gefährlich die Bakterien sind, entscheiden nicht nur die Resistenzmechanismen, sondern auch andere Eigenschaften, wie ihr Potenzial zur Verbreitung.“

In Zukunft könnte die computergestützte Analyse eine schnellere und sicherere Diagnostik als bisher ermöglichen. Die behandelnden Ärztinnen und Ärzte erhalten dann bereits kurz nach Einlieferung der Betroffenen in der Klinik eine Einschätzung, ob einer oder mehrere der Erreger resistent sind, ob wirksame Antibiotika verfügbar sind und ob eine Isolierung der Betroffenen angebracht ist. Um einen sicheren Einsatz bei den Patientinnen und Patienten zu ermöglichen, muss das Forschungsteam das Verfahren jedoch noch weiter validieren und zertifizieren. „Wir schätzen, dass wir in fünf bis zehn Jahren so weit sind“, so Goesmann. „Darüber hinaus hoffen wir allerdings, dass unsere Analysen Ansatzpunkte für neuartige Antibiotika liefern und wir dazu beitragen können, neue Waffen im Kampf gegen multiresistente Erreger zu entwickeln.“

Ansprechpartner:
Prof. Dr. Alexander Goesmann
Bioinformatik und Systembiologie
Justus-Liebig-Universität Gießen
Heinrich-Buff-Ring 58
35392 Gießen
0641 9935-800
Alexander.Goesmann@computational.bio.uni-giessen.de