Kleine Helfer auf Umwegen - Darmbakterien haben ungeahnte Fähigkeiten

Dass Bakterien im Darm die Blutgerinnung in Gang setzen, klingt eher ungesund. Doch das Gegenteil ist der Fall. Die „kleinen Verdauungshelfer“ nutzen die Blutgerinnung, um etwas ganz anderes zu bewirken. Es ist ihr Weg, unsere Darmschleimhaut dazu zu bringen, ihre Oberfläche zu vergrößern, neue Blutgefäße zu bilden und so die Aufnahme von Nährstoffen aus der Nahrung zu verbessern. (Newsletter 60 / November 2012)

Bildquelle: Dr. Christoph Reinhardt, CTH MainzMikroskopischer Blick in den Mäusedarm: Die Darmzotten sind blau umrandet, die Gefäße sind grün gefärbt.Bakterien können Krankheiten auslösen, wie etwa Scharlach oder Tuberkulose. Aber es wäre falsch, sie pauschal als die natürlichen Feinde des Menschen zu betrachten. Ohne Darmbakterien, die uns bei der Verdauung helfen, könnten wir nicht überleben. Die Mikroben sorgen dafür, dass wir unsere Nahrung überhaupt verdauen können. Rund 1.000 verschiedene Arten von Bakterien leben in unserem Magen-Darm-Trakt und bilden ein kleines, gut aufeinander eingestelltes Ökosystem.

Wie wichtig die Einzeller im Darm für unseren Körper sind, weiß jeder, der schon einmal Antibiotika einnehmen musste. Denn Antibiotika töten Bakterien ab – die guten, die beispielsweise den Darm bevölkern, wie die schlechten, die Krankheiten auslösen. Ist die Darmflora durch die Medikamente stark dezimiert, rutscht der Nahrungsbrei schneller durchs Körperinnere, der Mensch leidet unter Durchfall. Wegen des beschleunigten Nahrungstransports und der fehlenden Darmbazillen können weder wichtige Nährstoffe noch Vitamine oder Mineralien in den Körper aufgenommen werden.

Bakterien – Architekten im Darm

Doch Bakterien sind nicht nur Bewohner des Darms – sie sind auch seine Architekten. „Tatsächlich formen Bakterien aktiv die Struktur unseres Darms“, sagt Dr. Christoph Reinhardt vom Centrum für Thrombose und Hämostase in Mainz. „Denn in Gegenwart von Mikroorganismen verändert sich die Form der Darmzotten.“ Darmzotten – auch Villus-Strukturen genannt – sind Auffaltungen der Darmwand, die die Oberfläche der Darmschleimhaut vergrößern und so die Absorption von Nährstoffen maximieren. Sobald Bakterien die Darmschleimhaut besiedeln, werden die Zotten kürzer und breiter. Der Darm vergrößert so seine Fläche, mit der er die Nährstoffe aus dem Essen aufnehmen kann. Zugleich werden neue Blutgefäße gebildet. „Diese Blutgefäße versorgen die Darmschleimhaut mit mehr Sauerstoff und verbessern die Aufnahme und den Abtransport der Nährstoffe“, erklärt Dr. Reinhardt. Wie die Bakterien es schaffen, die Darmzotten zur Bildung neuer Blutgefäße anzuregen, war bislang unklar. Nun haben Dr. Reinhardt und sein Team unterstützt vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) herausgefunden, dass die Bakterien hierfür das Blutgerinnungssystem der Darmschleimhaut nutzen.

Wasserfälle in unserem Körper

Bildquelle: iStockphotoSchon jetzt ist bei diesem jungen "Patienten" die Blutgerinnung in vollem Gang.Die Blutgerinnung ist uns allen bekannt: Wenn wir uns geschnitten haben, dann blutet es. Nach kurzer Zeit fängt das Blut an zu gerinnen. Es verklumpt und verklebt dadurch die Wunde. Dieser natürliche Vorgang soll uns davor schützen, dass Keime in die Wunde eindringen und sie sich entzündet. Die Blutgerinnung wird von einer Vielzahl molekularer Faktoren bestimmt – man spricht hier von Kaskaden, also wasserfallartigen Vorgängen. „Ist erstmal ein Faktor aktiviert, werden unausweichlich viele andere Wege nach und nach frei geschaltet, so dass das Blut nach einer Verletzung unweigerlich gerinnt“, beschreibt der Nachwuchswissenschaftler. Schon in diesem Stadium leitet unser Körper die notwendigen Schritte für die spätere Gefäßneubildung und damit die Heilung der Wunde ein. Wundheilung und Blutgerinnung sind also ganz eng mit der Entstehung neuer Blutgefäße verknüpft.

Auch im Darm gibt es diese Zusammenhänge: Das haben die Mainzer Forscherinnen und Forscher jetzt mit Hilfe von Antikörpern herausgefunden. Antikörper können ein ganz bestimmtes Eiweiß binden, sodass dieses Eiweiß seine Funktion nicht mehr ausüben kann. „Wir haben Mäuse mit Antikörpern gegen das Starterprotein der plasmatischen Blutgerinnung, den sogenannten Tissue Factor, behandelt“, sagt Dr. Reinhardt, „und gesehen, dass diese Mäuse tatsächlich weniger Blutgefäße im Darm bilden.“ Der Tissue Factor wird von den Epithelzellen im Darm gebildet und muss chemisch aktiviert werden, um die Blutgerinnung in Gang zu setzen. Hier kommen die Bakterien wieder ins Spiel. „Auch die Zellen der Darmschleimhaut von Mäusen, die in einer keimfreien Umgebung aufwachsen und deshalb über keine Darmflora verfügen, setzen den Tissue Factor frei. Dieser ist allerdings inaktiv“, beschreibt Dr. Reinhardt. Die Aktivierung des Proteins erfolgt erst durch die Besiedelung der Darmschleimhaut mit Mikroorganismen. Neben dem Tissue Factor, auch Gewebethromboplastin genannt, spielt ein weiterer Membranrezeptor namens PAR1, der durch Gerinnungsfaktoren aktivierbar ist, bei der Neubildung von Blutgefäßen in den Darmzotten eine Rolle. „Der Mechanismus, den die Bakterien offenbar nutzen, um die Gefäßneubildung zu stimulieren, ist ein ganz anderer als etwa bei der Bildung neuer Blutgefäße im Auge oder in Krebsgeschwüren“, so der Experte. Für seine Forschungsarbeiten wurde Dr. Reinhardt kürzlich mit dem Hermann-Rein-Preis ausgezeichnet.
Das Centrum für Thrombose und Hämostase

LogoDas Centrum für Thrombose und Hämostase in Mainz, kurz CTH, ist ein integriertes Forschungs- und Behandlungszentrum. Diese auch abgekürzt genannten IFB werden seit 2008 vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Die ersten drei Zentren starteten in 2008. Fünf weitere folgten in 2010, unter anderem das IFB in Mainz. Bundesweit gibt es nun acht IFB, die jährlich mit ca. 5 Millionen Euro vom BMBF unterstützt werden. Jedes der für fünf Jahre geförderten Zentren hat dabei einen anderen Schwerpunkt. Ein übergreifendes Ziel aller IFB ist es, dass Forschung und Versorgung in Universitätsklinika gleichrangig betrieben werden. Dies bietet vor allem für forschungsorientierte Mediziner ein attraktiveres Arbeitsumfeld und damit verbunden bessere Karriereoptionen. Darüber hinaus soll durch diese innovativen und modellhaften Organisationsstrukturen die Qualität in der patientenorientierten Forschung steigen.
Ansprechpartner:
Dr. Christoph Reinhardt
Centrum für Thrombose und Hämostase (CTH)
Universitätsmedizin Mainz
Langenbeckstraße 1
55131 Mainz
Tel.: 06131 17-8280
Fax: 06131 17-6238
E-Mail: christoph.reinhardt@unimedizin-mainz.de