Dezember 2022

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Künstliche Intelligenz soll Tricks der Legionellen aufdecken

Legionellen sind Keime, die sich bei bestimmten Temperaturen im Trinkwasser vermehren. Bei immungeschwächten und älteren Menschen können sie lebensbedrohliche Infektionen auslösen. Ein innovatives Softwaretool soll die Diagnose deutlich verbessern.

Laborbild stäbchenförmiger Legionellen

Vermehren sich gut im warmen Wasser: Die stäbchenförmigen Legionellen können gefährliche Lungenentzündungen auslösen.

peterschreiber.media / Adobe Stock

Angesicht der steigenden Energiepreise scheint es naheliegend, auch die Temperatur des Warmwassers zu senken. Doch wer auf diese Weise Kosten sparen möchte, könnte sich ein ernst zu nehmendes Gesundheitsrisiko ins Haus holen. Denn im Trinkwasser können gefährliche Krankheitserreger wie Legionellen lauern, die sich in warmem Wasser besonders gut vermehren.

Trinken und Händewaschen sind dabei in der Regel kein Problem. Doch über Wassertröpfchen und Sprühnebel, wie sie etwa beim Duschen entstehen, können die Legionellen in die Luft und von dort aus in die Lunge gelangen. Gerade für immungeschwächte und ältere Menschen sind die stäbchenförmigen Bakterien eine Gefahr: Sie können eine schwere Lungenentzündung auslösen, die sogenannte Legionärskrankheit. Jedes Jahr erkranken alleine in Deutschland bis zu 30.000 Menschen daran. In bis zu zehn Prozent der Fälle verläuft die Krankheit tödlich. „Bei der Behandlung der Legionärskrankheit gibt es noch viel Optimierungsbedarf“, sagt Professor Dr. Dominik Heider von der Philipps-Universität Marburg. Der Bioinformatiker und sein Team entwickeln ein Softwaretool, das die Diagnose und Therapie schwerer Legionellen-Infektionen deutlich verbessern soll. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) unterstützt das Projekt im Rahmen der Förderinitiative „Computational Life Sciences – CompLS“.

Mehr als 300 Virulenzfaktoren

Im Fokus des Forschungsprojekts stehen die sogenannten Virulenzfaktoren der Bakterien. Sie sind es, die die krank machende Wirkung der Bakterien bestimmen und sie entscheiden darüber, wie gut es dem Erreger gelingt, in den Wirtskörper einzudringen und dort zu überleben. Legionellen gehen dabei besonders effektiv und trickreich vor. Als intrazelluläre Bakterien befallen sie ausgerechnet jene Zellen des menschlichen Abwehrsystems, die sie eigentlich unschädlich machen sollten. So sind sie vor deren Angriffen geschützt und können sich zugleich im Inneren der Zellen ungestört vermehren. Legionellen haben im Laufe der Koevolution mit ihren Wirten mehr als 300 solcher Virulenzfaktoren entwickelt, oftmals indem sie Genabschnitte des Wirts in ihr eigenes Genom übernommen haben. Dies macht es ihnen möglich, lebenswichtige Wirtszellfunktionen zu manipulieren und für sich zu nutzen.

Professor Dr. Dominik Heider

Professor Dr. Dominik Heider

Christian Stein

Bioinformatiker Heider und sein Team bauen eine Datenbank mit allen bekannten Virulenzfaktoren der insgesamt mehr als 60 Arten von Legionellen auf. „Hintergrund ist, dass die verschiedenen Legionellenstämme über jeweils unterschiedliche Strategien verfügen“, erklärt Heider. Mithilfe der Datensammlung trainieren die Forschenden ein auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierendes Diagnosetool. „Dies soll künftig genau bestimmen können, mit welchem Legionellenstamm ein bestimmter Patient oder eine bestimmte Patientin infiziert ist und welche Virulenzfaktoren mit welcher Funktion gerade aktiv sind“, so Heider.

KI-Analyse in Echtzeit

Diese Informationen sind entscheidend für die passende, individuell abgestimmte Therapie der Legionärskrankheit. Da die Legionellen sich im Inneren der Wirtszellen verstecken, sind viele gängige Antibiotika wirkungslos. Deshalb ist es wichtig, dass die richtigen Medikamente zum Einsatz kommen. In besonders schweren Fällen ist auch ein Mix mehrerer Wirkstoffe notwendig. In der Praxis könnte das Softwaretool bei der Suche nach der richtigen Medikation zudem wertvolle Zeit einsparen. „Die Patienten-Proben müssten nicht mehr erst im Labor kultiviert werden, sondern würden von der KI in Echtzeit analysiert“, sagt Heider. „Auf dieser Basis könnten die Mediziner dann direkt mit der passgenauen Behandlung beginnen.“

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler rechnen damit, dass ihre Entwicklung in ein paar Jahren einsatzbereit sein wird. Doch sie denken noch einen Schritt weiter: Sollte sich die Software in der klinischen Praxis bei der Therapie von Legionellen-Infektionen bewähren, könnte sie auch im Kampf gegen andere Krankheitserreger zum Einsatz kommen. Denn sie alle nutzen Virulenzfaktoren, um den Wirtskörper erfolgreich zu infizieren. So könnte das Tool auch neue Angriffspunkte für die Behandlung antibiotikaresistenter Bakterien aufzeigen. „Die krank machenden Mechanismen der einzelnen Erreger sind zwar sehr unterschiedlich“, sagt Heider. „Aber unsere neu entwickelte KI kann im Prinzip lernen, sie zu erkennen.“

Innovative Software-Tools für Diagnostik und Therapie

In der Patientenversorgung und der klinischen Forschung wächst die Menge an elektronisch verfügbaren Daten rasant. Intelligente Algorithmen können in diesen riesigen Datensätzen versteckte Muster aufspüren. Sie helfen dabei, Zusammenhänge zu erkennen sowie verbesserte Ansätze für die Prävention, Diagnose und Therapie von Krankheiten zu finden. So entwickeln Forschende etwa mit Methoden der Künstlichen Intelligenz innovative Software-Werkzeuge, die den individuellen Krankheitsverlauf vorhersagen sollen und somit passgenaue Therapieempfehlungen liefern können. Mit der Förderinitiative „Computational Life Sciences“ treibt das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) die Entwicklung innovativer Software-Tools für die Lebenswissenschaften voran. Einer der Schwerpunkte ist die Nutzung von Methoden der Künstlichen Intelligenz in der Biomedizin. Seit 2018 hat das BMBF bislang rund 42 Millionen Euro für mehr als 60 Forschungsprojekte bereitgestellt. 

Ansprechpartner:

Prof. Dr. Dominik Heider
Philipps-Universität Marburg
Hans-Meerwein-Straße 6
35043 Marburg
Tel.: 06421 28-21579
E-Mail: dominik.heider@uni-marburg.de
www.heiderlab.de