Juni 2019

| Newsletter 95

Mangelernährung nachhaltig bekämpfen

In vielen ärmeren Ländern ist Mangelernährung allgegenwärtig. Programme, die den Menschen vor Ort helfen, sich besser zu ernähren, können dem entgegenwirken. Ein vom Bundesforschungsministerium gefördertes Projekt prüft den Erfolg eines solchen Programms.

Frau arbeitet im Gemüsegarten.

Die Hausgärten tragen dazu bei, dass die Frauen ihre Familien abwechslungsreicher ernähren können.

Thalia Sparling

Etwa zwei Milliarden Menschen weltweit leiden unter Mangelernährung. Besonders stark trifft es die Bevölkerung in Bangladesch. In dem kleinen Land in Südasien wird hauptsächlich Reis angebaut, kaum Obst und Gemüse. Der Reis stillt zwar den Hunger der Menschen, kann aber den Nährstoffbedarf nicht abdecken. Darunter leiden insbesondere die Kinder: „Etwa 35 Prozent der Kleinkinder in Bangladesch sind zu klein für ihr Alter, eine deutliche Folge der Mangelernährung. Sie fangen später an, zu laufen und zu sprechen, sind in der Schule weniger erfolgreich und als Erwachsene weniger leistungsfähig. Darüber hinaus sind sie deutlich anfälliger für Infektionskrankheiten“, erläutert Professorin Sabine Gabrysch, Leiterin der Sektion Epidemiologie und Biostatistik am Institut für Global Health des Universitätsklinikums Heidelberg.

FAARM

Für ihr Forschungsprojekt FAARM erhielt Professorin Sabine Gabrysch Ende des vergangenen Jahres den „Preis für mutige Wissenschaft“. Mit diesem Preis würdigt das Land Baden-Württemberg exzellente Forscherinnen und Forscher an Hochschulen und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, die ausgetretene Wege verlassen und ihre Forschungsarbeit mit besonders viel Mut und Wagnis vorangetrieben haben. Die Auszeichnung ist mit 30.000 Euro dotiert.

Die Entwicklungsorganisation „Helen Keller International“ kämpft bereits seit den 1990er-Jahren gegen die Ursachen der Mangelernährung in Bangladesch. In ihrem „Homestead Food Production“-Programm schult die Organisation Frauen darin, in Hausgärten Obst und Gemüse anzubauen und Hühner zu halten. Dieses soll in erster Linie dazu dienen, dass die Frauen ihre Familien abwechslungsreicher ernähren können. Der Verkauf überschüssiger Erzeugnisse erlaubt es ihnen zudem, eigenes Geld zu verdienen und damit ihre Rolle in der Familie und im Dorf zu stärken. Die Frauen erhalten darüber hinaus intensive Schulungen zur Ernährung von Kleinkindern und zu Hygienemaßnahmen. Gut ausgebildete und in der Dorfgemeinschaft verwurzelte „Multiplikatorinnen“ stellen sicher, dass die Aktivitäten auch langfristig fortgesetzt werden.

Frauen mit ihren Kindern nehmen an Ernährungsschulung teil.

Ernährungsschulungen sorgen dafür, dass die Frauen die angebauten Nahrungsmittel auch optimal nutzen.

Thalia Sparling

Bislang fehlten belastbare Ergebnisse

Weitere Hilfsorganisationen führen ähnliche Programme in anderen Ländern durch. Die Ergebnisse sind vielversprechend: Die Nahrungsvielfalt nimmt zu, das Einkommen der Frauen steigt, und ihre Position innerhalb der Familie wird gestärkt. Ob die Programme allerdings auch die Mangelernährung bei Kleinkindern deutlich vermindern, ist bislang noch nicht wissenschaftlich belegt. „Die bisherigen Studien waren zu klein, zu kurzfristig angelegt, oder die Methodik war nicht solide genug, um diesen Nachweis zu erbringen“, berichtet Gabrysch. Mithilfe ihres Forschungsprojekts FAARM (Food and Agricultural Approaches to Reducing Malnutrition) möchte die Wissenschaftlerin in Zusammenarbeit mit „Helen Keller International“ und lokalen Universitäten in Bangladesch diesen Nachweis erbringen.

Neugeborenes wird gewogen.

Größe und Gewicht der Neugeborenen dienen als Indikator für eine bessere Versorgung mit Nährstoffen im Mutterleib.

Amanda Wendt

An dem durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekt nehmen circa 2.700 Frauen aus 96 Dörfern im Nordosten von Bangladesch teil. Voraussetzung für die Teilnahme war, dass der Haushalt mindestens über 40 Quadratmeter Land für Gärten verfügt, 10 davon nahe am Haus. Die Wissenschaftlerinnen schlossen dabei junge Frauen unter 30 Jahren ein, da diese mit einer hohen Wahrscheinlichkeit während des Studienzeitraumes Kinder bekommen würden. Denn so konnten diese Kinder während ihrer kompletten ersten 1.000 Lebenstage – von der Zeugung über die Schwangerschaft bis zum Alter von zwei Jahren – vom Programm profitieren. Dieser Zeitraum ist entscheidend für die Entwicklung eines Kindes. Können Kinder während dieser Phase ihren Nährstoffbedarf nicht ausreichend decken, so hat das sehr nachteilige – oft irreversible – Auswirkungen auf ihr weiteres Leben.

Zu Beginn der Studie überprüften die Forscherinnen den Ernährungs- und Gesundheitszustand der Frauen und ihrer Kleinkinder und befragten sie zu ihrem wirtschaftlichen und sozialen Umfeld sowie zu ihren Lebensgewohnheiten. Anschließend wurden die Dörfer per Zufallsprinzip einer Interventions- und einer Kontrollgruppe zugeordnet. In der Interventionsgruppe führte die Entwicklungsorganisation ihr „Homestead Food Production“-Programm durch, wobei sie im Laufe der Zeit die Betreuung reduzierte, damit die Frauengruppen in der Schlussphase weitgehend selbstständig arbeiteten. Während der gesamten Projektlaufzeit wurden die Frauen beider Gruppen und ihre Kinder regelmäßig besucht und befragt, um Veränderungen festzustellen.

Erste Erfolge sind bereits sichtbar

Die Enderhebung ist für Ende 2019 geplant, dann sollen auch die Ergebnisse zur Verminderung der Mangelernährung feststehen. Die Heidelberger Wissenschaftlerin ist davon überzeugt, dass sich erste Erfolge bereits abzeichnen: „Die Frauen und ihre Familien ernähren sich mittlerweile weniger eintönig. Darüber hinaus verleihen ihnen ihre neuen Fähigkeiten mehr Selbstbewusstsein. Sie sind stolz darauf, selbst dazu beitragen zu können, dass ihre Kinder gesünder aufwachsen.“

Ansprechpartnerin:
Apl. Prof. Dr. Dr. med. Sabine Gabrysch
Sektion Epidemiologie und Biostatistik
Institut für Global Health, Universitätsklinikum Heidelberg
Im Neuenheimer Feld 324
69120 Heidelberg
sabine.gabrysch@uni-heidelberg.de