25.05.2022

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Medizininformatik-Initiative: Datenschätze nutzen – Menschen mit Multipler Sklerose (MS) besser helfen

Rund 250.000 Menschen in Deutschland sind an MS erkrankt. Um sie zielgenauer behandeln und Neuerkrankungen früher erkennen zu können, nutzen Forschende des Medizininformatik-Konsortiums DIFUTURE intelligente Datenanalysen.

Eine Patientin im Gespräch mit ihrem Arzt.

Multiple Sklerose lässt sich bislang nicht heilen, aber wirkungsvoll behandeln. Ein wichtiges Therapieziel ist es, das Auftreten und Fortschreiten von körperlichen Einschränkungen zu verhindern oder verzögern.

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„Voll im Leben – mit MS“ – das ist das Motto des Welt-MS-Tages 2022 in Deutschland. Die Verläufe dieser Erkrankung variieren stark. Einige Patientinnen und Patienten entwickeln rasch Behinderungen, die sie in ihrem täglichen Leben stark einschränken. Andere dagegen können – selbst ohne Behandlung – über Jahrzehnte hinweg nahezu unbeeinträchtigt leben. Dennoch: Unter jungen Erwachsenen ist die MS-Erkrankung nach wie vor eine der häufigsten Ursachen für Behinderungen – trotz vieler Fortschritte in Forschung und Versorgung.

Am 30. Mai ist Welt-MS-Tag

Multiple Sklerose – etwa 15.000-mal im Jahr erhalten Menschen in Deutschland diese Diagnose. Ein Schock für die Betroffenen, der viele Fragen aufwirft: Wie geht es jetzt weiter? Werde ich meinen Beruf weiter ausüben, eine Familie gründen und Zukunftspläne schmieden können? Was ein Leben mit MS bedeutet und wo Hilfe zu finden ist, darüber informiert die Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) im Rahmen des Welt-MS-Tages. Zahlreiche Aktionen rund um den 30. Mai sollen es Erkrankten und ihren Angehörigen ermöglichen, Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu teilen und zu zeigen, was ihnen weitergeholfen hat.

DMSG: Welt-MS-Tag 2022

Eine frühzeitige Behandlung kann den Verlauf einer MS-Erkrankung heute nachhaltig verbessern. Das erfordert jedoch eine frühe Diagnose und eine dem voraussichtlichen Verlauf der Erkrankung – mild oder schwer – angepasste Therapie. Genau hier setzt das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderte Konsortium DIFUTURE der Medizininformatik-Initiative an. „Wir analysieren standardisierte Patientendaten, um MS-Erkrankungen künftig auch in sehr frühen Stadien sicher zu entdecken und den Verlauf abzuschätzen. Dadurch können wir rechtzeitig maßgeschneiderte Therapien einleiten – und so die Aussicht der Betroffenen auf einen milden Krankheitsverlauf verbessern“, so Professor Dr. Bernhard Hemmer, Direktor der Klinik für Neurologie am Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München (TUM).  

Datenbasierte Forschung liefert neue Erkenntnisse

Das TUM-Klinikum erhebt zusammen mit der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU), der Universität Tübingen, der Universität Ulm und dem Klinikum Augsburg zahlreiche Forschungs- und Versorgungsdaten von Menschen mit MS – von Vorerkrankungen und Symptomen, Krankheitsverläufen und Therapieerfolgen bis hin zu Bilddaten aus der Diagnostik. „Unsere Informatiker vereinheitlichen all diese Informationen und führen sie zu einem digitalen Erfahrungsschatz zusammen, der für uns Kliniker unglaublich wertvoll ist“, so Professor Dr. Martin Boeker, Professor für Medizininformatik an der TUM und Sprecher von DIFUTURE. „Mit modernen IT-Lösungen können wir daraus verlässliche Aussagen gewinnen – neue Erkenntnisse, die wir aus einzelnen Patientenakten niemals herauslesen könnten.“ Dabei setzt DIFUTURE auch Methoden der Künstlichen Intelligenz und des maschinellen Lernens ein.

Ansatzpunkte für eine bessere MS-Diagnostik

Durch die Analyse der Daten konnte DIFUTURE nachweisen, dass viele Patientinnen und Patienten schon fünf Jahre vor ihrer MS-Diagnose ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen – mit Symptomen wir Angststörungen, depressiven Phasen oder unspezifischen Seh- und Gefühlsstörungen. Diese Symptome wurden jedoch oft nicht richtig gedeutet. „Unsere Ergebnisse können Ärztinnen und Ärzten künftig helfen, die Erkrankung auch in frühen Stadien besser zu erkennen“, sagt Hemmer.

Verlässliche Prognosen – personalisierte Therapien

Biostatistiker und Bioinformatiker spüren in dem Datenpool von DIFUTURE noch weitere wichtige Zusammenhänge auf: Unter welchen Voraussetzungen verlaufen Krankheitsverläufe ähnlich? Und welche Therapie verspricht bei welchem Verlauf die besten Ergebnisse? „Auf der Basis unserer Datenanalysen haben wir ein Modell entwickelt, das den Verlauf einer MS-Erkrankung individuell vorhersagen soll“, so Professor Dr. Ulrich Mansmann, Direktor des Instituts für Medizinische Informationsverarbeitung, Biometrie und Epidemiologie (IBE) der LMU. Die Treffsicherheit dieser Vorhersagen wird in der klinischen Praxis aktuell geprüft. „Erweisen sich die berechneten Prognosen als zuverlässig, kann das Modell Ärztinnen und Ärzten künftig als digitaler Expertenberater zur Seite stehen und ihnen helfen, Menschen mit MS präziser und personalisiert zu behandeln.“

Datenschutz und Datensicherheit

Die datenbasierte Gesundheitsforschung stellt hohe Anforderungen an den Schutz und die Sicherheit der Patientendaten. So setzt die Nutzung dieser Daten zu Forschungszwecken stets das Einverständnis der Patientinnen und Patienten voraus. Die mit der Datensicherheit verbundenen technischen Herausforderungen löst DIFUTURE unter anderem durch das Prinzip des „verteilten Rechnens“: Um die Daten vieler Kliniken nutzen zu können, bringen die Biostatistiker und Bioinformatiker ihre Auswerteverfahren zu den Daten – und nicht die Daten zu ihren Analysewerkzeugen. Das heißt: Die Patientendaten verlassen niemals das Krankenhaus, in dem sie gesammelt und gespeichert werden.

Medizininformatik-Initiative – die Eckdaten

Daten vernetzen, Gesundheitsversorgung verbessern – dafür stehen die MII und die Digitalen FortschrittsHubs Gesundheit der Bundesregierung. Das Förderprogramm ist modular aufgebaut:

  • Aufbau- und Vernetzungsphase (2018-2022): Das BMBF fördert vier Konsortien, die seit 2018 Datenintegrationszentren aufbauen. Anhand konkreter Anwendungsfälle demonstrieren sie den medizinischen Mehrwert der entwickelten IT-Architekturen und Softwarelösungen in der Praxis. Fördervolumen: mehr als 200 Millionen Euro.
  • Ausbau- und Erweiterungsphase (2023-2026): Künftig soll sich die MII noch stärker mit anderen Initiativen und Förderprogrammen zur Gesundheitsforschung vernetzen. Die MII soll als Motor und Impulsgeber einer dezentralen, nationalen Forschungsdateninfrastruktur weiterentwickelt werden.
  • Digitale FortschrittsHubs Gesundheit (2021-2025): Die Hubs beziehen pilothaft Daten aus der regionalen Versorgung in Strukturen und Lösungen der Medizininformatik-Initiative mit ein. Den Nutzen dieser Vernetzung für die regionale Patientenversorgung zeigen sie in konkreten Anwendungsfällen beispielhaft auf. Fördervolumen: 50 Millionen Euro.
  • Nachwuchsgruppen (2020-2026): Gut ausgebildete Fachkräfte sind ein wesentlicher Erfolgsfaktor der Initiative. Daher fördert das BMBF an der Schnittstelle von Informatik und Medizin den wissenschaftlichen Nachwuchs und unterstützt mit den neuen Nachwuchsgruppen gezielt neu eingerichtete Medizininformatik-Professuren. Fördervolumen: rund 30 Millionen Euro.