Jede zweite Person trägt ihn in sich: Helicobacter pylori. Der Magenkeim verursacht Magengeschwüre und Magenkrebs. Nach vielen Jahren intensiver Arbeit bringt der DZIF-Wissenschaftler Professor Dr. Markus Gerhard nun einen neuen Impfansatz in die klinische Prüfung.
Wie können Bakterien im sauren Milieu des Magens überleben? Bis Anfang der 1980er-Jahre galt der Magen als keimfreie Zone. Doch dann fanden zwei australische Wissenschaftler in Gewebeproben aus Magengeschwüren und entzündeter Magenschleimhaut winzige spiralförmige Lebewesen, die sich offensichtlich in diesem Milieu sehr wohl fühlten. Helicobacter pylori war entdeckt. Es dauerte noch einmal etwa zehn Jahre, bis der Zusammenhang zwischen diesen Bakterien und Magenkrebs wissenschaftlich belegt war. 1994 wurde das Bakterium von der Weltgesundheitsorganisation offiziell als Klasse-1-Karzinogen eingestuft: als „Stoff“, der sicher Krebs auslösen kann.
Die Hälfte der Weltbevölkerung beherbergt Helicobacter pylori, doch längst nicht alle Betroffenen entwickeln Magengeschwüre oder gar Krebs. In der Regel entsteht eine chronische Entzündung – die Immunabwehr ist aktiv, kann aber den Keim nicht vollends beseitigen. Beschwerden jedoch zeigt nur etwa jeder fünfte dieser chronisch Infizierten. „Die molekularen Mechanismen zu verstehen, die zwischen Mensch und Bakterium stattfinden, das fand ich äußerst spannend“, erinnert sich Markus Gerhard an seine ersten Forschungsjahre. In den 1990er-Jahren untersuchte der Wissenschaftler und Arzt die Adhäsine, Moleküle, die es den Bakterien ermöglichen, sich an die Magenzellen anzuheften. Ein weiterer wichtiger Überlebensmechanismus der Bakterien, so weiß man mittlerweile, ist die Bildung von Urease, ein Enzym, das den im Magen vorkommenden Harnstoff in Kohlendioxid und Ammoniak umsetzen kann: Der Ammoniak neutralisiert die Magensäure in der unmittelbaren Umgebung und ermöglicht Helicobacter ein Leben im „Sauren“.
Das Ziel: Impfen gegen Krebs
„90 Prozent aller Magenkrebserkrankungen lassen sich auf Helicobacter zurückführen“, betont Markus Gerhard. Und das ergibt hohe Fallzahlen, denn allein in Deutschland erkranken jedes Jahr 19.000 Menschen an diesem Krebs, weltweit über 900.000. Zwar gibt es Antibiotika, die wirksam gegen das Bakterium sind und somit auch vor den Folgeerkrankungen der chronischen Entzündung schützen können. Aber zunehmend erschweren auftretende Antibiotikaresistenzen eine erfolgreiche Behandlung. Vor allem aus diesem Grund haben sich die Wissenschaftler ein großes Ziel gesetzt: Sie entwickeln einen Impfstoff zur Therapie: „Wir wollen Erwachsene, mit Helicobacter pylori infizierte Menschen impfen, die bisher noch kein Magengeschwür oder Magenkrebs haben.“ Sie sollen durch den Impfstoff vor diesen schweren Krankheiten geschützt werden
Wie Helicobacter unsere Abwehr austrickst
In seinen Forschungsarbeiten zu den Wechselwirkungen von Helicobacter pylori mit dem Immunsystem des Menschen konnte Markus Gerhard klären, warum das Bakterium eine chronische Infektion auslösen kann, obwohl die Immunabwehr aktiv ist. Er charakterisierte eine Substanz, die dabei eine unheilvolle Rolle spielt: Das Enzym gamma-Glutamyltranspeptidase, kurz gGT, wird von den Bakterien produziert und hemmt die zelluläre Immunantwort des Menschen: Die T-Zellen des Menschen, die sich normalerweise bei einem Angriff vermehren und den Eindringling attackieren, werden von gGT in die Ruhephase gezwungen. Die Antikörper, die neben den T-Zellen vom Immunsystem gebildet werden, reichen nicht aus, um das Bakterium zu beseitigen.
Diese Mechanismen wollen sich die Forscher nun für einen Impfstoff zunutze machen. Ihre Idee besteht darin, das gGT oder einen Teil davon gezielt als „Antigen“ einzusetzen. Antigene sind Stoffe, die eine Abwehrreaktion in Form von passenden Antikörpern im Menschen auslösen können. Gibt man dem Körper nun modifizierte gGT in Form eines Impfstoffs, wird er Antikörper gegen gGT bilden, die dieses Enzym angreifen und ruhigstellen. In der Folge können die T-Zellen, die zuvor vom gGT gehemmt wurden, ihre Ruhephase beenden und aktiv werden. In Kombination mit einem Oberflächenprotein von Helicobacter pylori kann schließlich eine starke Immunantwort ausgelöst werden. „Die klassischen Ansätze mit ganzen inaktivierten Erregern haben hier bei der Impfstoffentwicklung versagt“, erklärt Gerhard. Er hofft darauf, mit dem neuen Ansatz erfolgreicher zu sein.
Vom Mechanismus zum Impfstoff
Dass die Idee funktioniert, konnten die Wissenschaftler bereits an Mäusen zeigen. Doch der Weg bis zu einem Impfstoff, der den Betroffenen hilft, ist noch weit. Nach dem erfolgreichen Abschluss der präklinischen Studien im Rahmen der GO-Bio-Förderung gründete Gerhard 2014 die ImevaX GmbH als Spin-Off der TU München, ein privat geführtes Unternehmen, das die klinische Entwicklung des Impfstoffs fortsetzen wird. Damit das möglich wurde, musste Risikokapital eingeworben werden. 20 Millionen Euro, ein Teil davon erneut GO-Bio-Mittel, stehen nun für die weitere Entwicklung zur Verfügung. Die klinische Studie wird voraussichtlich noch 2016 starten.
Helicobacter pylori („helikales Stäbchen des Magenausgangs“) ist ein anspruchsvolles Gram-negatives Bakterium, das sich langfristig in unserem Magen ansiedelt. Die Ansteckung erfolgt meist im Kindesalter von Mensch zu Mensch. Unhygienische Verhältnisse und häufige Durchfallerkrankungen fördern die Verbreitung. Mithilfe spezieller Haftstrukturen heften sich die Bakterien an die Zellen der Magenschleimhaut. Gleichzeitig bilden sie Zellgifte, die die Schleimhaut schädigen und so zu einer dauerhaften Entzündung führen können. Die Folge ist eine erhöhte Produktion von Magensäure, durch die es zu Magen- oder Zwölffingerdarmgeschwüren kommen kann. Eine längere chronische Entzündung kann auch zur Verminderung der Magensäure führen und ist dann ein hoher Risikofaktor für die Entstehung von Magenkrebs. In den meisten Fällen verläuft die Infektion allerdings ohne Beschwerden; nur ein Fünftel der Helicobacter-Träger erkranken durch den Keim. Vermutlich tragen äußere Faktoren wie Stress, Rauchen oder Alkoholkonsum und auch genetische Veranlagung zu den Erkrankungen bei.
Translationale Projektförderung im DZIF
Die Entwicklung einer Vakzine gegen Helicobacter pylori ist ein wichtiges Ziel des Schwerpunkts „Gastrointestinale Infektionen“ im DZIF. Das Vorhaben von Markus Gerhard wird daher seit Gründung des Zentrums durch Forschungsarbeiten unterstützt. So wurden bereits die präklinischen Versuche an Makaken in Zusammenarbeit mit dem Deutschen Primatenzentrum durchgeführt. Sie sind wichtige Vorarbeiten für die klinische Phase-I-Studie, in der die Sicherheit und die Wirksamkeit am Menschen getestet werden. Das DZIF wird die klinische Studie außerdem begleiten; neben Gerhards Team in München sind auch DZIF-Wissenschaftler an der Medizinischen Hochschule Hannover eingebunden. Sie werden unter anderem in einem Immun-Monitoring verschiedene immunologische Analysen machen und untersuchen, welche Art von T-Zellen für einen Schutz notwendig ist. Außerdem wird beobachtet, ob die Bakterien auf die Impfung mit genetischen Veränderungen reagieren und so eine Impfung langfristig unwirksam machen könnten.
Eine Impfung für alle?
„Ich denke, dass wir binnen sechs bis acht Jahren einen brauchbaren Impfstoff gegen Helicobacter pylori in der Hand haben könnten“, so Gerhards Prognose. Stellt sich die Frage, ob der Impfstoff dann in allen Fällen, also auch bei nicht infizierten Personen, prophylaktisch eingesetzt werden sollte. Es gibt Hinweise, dass Helicobacter nicht nur krank machen, sondern auch vor bestimmten Erkrankungen schützen kann. Beispielsweise haben Fettleibigkeit, Sodbrennen und Speiseröhrenkrebs in Ländern zugenommen, wo die Infektion mit Helicobacter abgenommen hatte. Doch die Datenlage sei unklar, wie Gerhard meint, und ein direkter Zusammenhang nicht erwiesen. „Derzeit scheint nur erwiesen, dass Helicobacter pylori bei Kindern vor Asthma und Allergien zu schützen scheint“, so Gerhard. „Wir sollten den Impfstoff aber bei Erwachsenen, die mit Helicobacter pylori infiziert sind, in jedem Fall therapeutisch einsetzen.“ Bei über 900.000 Neuerkrankungen an Magenkrebs pro Jahr weltweit wäre das in jedem Fall ein Segen.
Im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung (DZIF) entwickeln bundesweit rund 300 Wissenschaftler aus 35 Institutionen gemeinsam neue Ansätze zur Vorbeugung, Diagnose und Behandlung von Infektionskrankheiten. Ziel ist die sogenannte Translation: die schnelle, effektive Umsetzung von Forschungsergebnissen in die klinische Praxis. Damit bereitet das DZIF den Weg für die Entwicklung neuer Impfstoffe, Diagnostika und Medikamente gegen Infektionen. Das DZIF wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und den Ländern gefördert. Mehr Informationen finden Sie unter www.dzif.de.
Ansprechpartner:
Prof. Dr. Markus Gerhard
TU München
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markus.gerhard@tum.de