März 2023

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Nasenhöhlenkrebs: KI ermöglicht Durchbruch in der Diagnostik

Forschende des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) haben eine Methode entwickelt, um mithilfe von Künstlicher Intelligenz schwer diagnostizierbare Nasenhöhlentumore zu klassifizieren.

Methylierungs-Array und Gewebeschnitte

Methylierungs-­Array (vorn), das im Rahmen der aktuellen Studie genutzt wurde. Dahinter die bislang standardmäßig verwendete Methode: Gewebeschnitte.

LMU / Philipp Jurmeister

Forschende des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) haben eine Methode entwickelt, um mithilfe von Künstlicher Intelligenz schwer diagnostizierbare Nasenhöhlentumore zu klassifizieren.

Tumore in der Nasenhöhle und der Nasennebenhöhle beschränken sich zwar auf einen kleinen Raum, umfassen aber ein sehr breites Spektrum mit vielen Tumorarten. Diese sind schwer zu diagnostizieren, da sie oft kein spezifisches Muster oder Erscheinungsbild aufweisen. Besonders gilt dies für die sogenannten sinunasalen undifferenzierten Karzinome oder kurz SNUCs.

Nun ist es einem Team um Dr. Philipp Jurmeister und Professor Dr. Frederick Klauschen vom Pathologischen Institut der Ludwig-Maximilians-Universität München (LMU) sowie Professor Dr. David Capper von der Charité – Universitätsmedizin Berlin gelungen, die Diagnostik entscheidend zu verbessern und diese Tumore zuverlässig zu unterscheiden. Dazu arbeiten die Forschenden, die an den Partnerstandorten München und Berlin im Deutschen Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK) vertreten sind, mit einem Tool für Künstliche Intelligenz (KI), das die Tumore auf der Basis chemischer DNA-Modifikationen zuverlässig unterscheidet.

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Chemische Modifikationen der DNA spielen bei der Regulation der Genaktivität eine entscheidende Rolle. Dazu gehört auch die DNA-Methylierung, bei der DNA-Bausteine mit einer zusätzlichen Methylgruppe versehen werden. Bereits in früheren Studien konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen, dass das Methylierungsmuster des Erbguts für verschiedene Tumorarten spezifisch ist, weil es auf die Ursprungszelle des Tumors zurückgeführt werden kann.

„Darauf basierend haben wir nun die DNA-Methylierungsmuster von fast 400 Tumoren in Nasen- und Nasennebenhöhle erfasst“, berichtet Capper. Dank einer umfangreichen internationalen Kooperation gelang es den Forschenden, eine so große Probenzahl zusammenzutragen, obwohl diese Tumore selten sind und insgesamt nur etwa vier Prozent aller bösartigen Tumoren im Kopf-Hals-Bereich ausmachen.

Neuer Algorithmus und Anomalieerkennung für präzisere Ergebnisse

Für die Analyse der Methylierungsdaten entwickelten die Forschenden in enger Kooperation mit der Arbeitsgruppe Machine Learning von Professor Dr. Klaus-Robert Müller an der Technischen Universität Berlin und dem Berlin Institute for the Foundations of Learning and Data (BIFOLD) ein KI-Modell, das die Tumore verschiedenen Klassen zuordnet. „Methoden des maschinellen Lernens sind dabei aufgrund der großen Datenmenge unerlässlich“, erklärt Jurmeister. „Um tatsächlich Muster zu erkennen, mussten wir in unserer Studie mehrere Tausend Methylierungspositionen auswerten.“

Es gibt verschiedene Arten des maschinellen Lernens. Je komplexer eine Fragestellung ist, desto größer sind die Datenmengen, die erforderlich sind, um den Algorithmus zu trainieren. In der aktuellen Studie verwendeten die Forschenden zur Klassifikation der Nasen- und Nasennebenhöhlentumoren anhand der DNA-Methylierungsmuster ein sogenanntes Support-Vector-Machine-Modell. Dieses kann mit den erhobenen Daten besser umgehen als Klassifikatoren, die einen Random Forest verwenden. Letztgenannte gelten aktuell noch als Standard für die Analyse von Methylierungssignaturen und wurden von einem Team um David Capper bereits verwendet, um Hirntumoren zu klassifizieren. „Der weiterentwickelte Algorithmus erkennt die komplexen Muster besser und liefert dadurch robustere Ergebnisse“, berichtet Jurmeister. „Alle Daten einer unabhängigen Validierungskohorte mit bekannter Diagnose konnten fehlerfrei zugeordnet werden.“ Solche zuverlässigen Ergebnisse helfen in der Diagnostik, die Art des Tumors möglichst eindeutig zu bestimmen.

Portrait Philipp Jurmeister

Dr. Philipp Jurmeister

DKTK

Eine besondere Neuerung besteht darin, dass der Algorithmus jetzt auch unbekannte Entitäten mit abweichendem Methylierungsmuster erkennt. „Wir sprechen dabei von Outlier Detection – einer Anomalieerkennung“, sagt Jurmeister. Damit werden Proben, bei denen das DNA-Methylierungsprofil von dem der bekannten sinunasalen Tumoren abweicht, als „unbekannt“ detektiert. Der Vorteil daran ist, dass die KI nicht die Signaturen Tausender verschiedener Tumoren mittels riesiger Datenmengen unterscheiden lernen muss. „In der Praxis ist das wichtig, wenn zum Beispiel ein Darmtumor streut und eine Metastase im Kopf-Hals-Bereich bildet. Der Algorithmus weist uns automatisch darauf hin, dass es sich bei der Tumorprobe wahrscheinlich nicht um einen Tumor aus der Nase oder Nasennebenhöhle handelt“, erläutert Jurmeister.

Vier Tumorgruppen mit unterschiedlicher Prognose

Bei der Analyse innerhalb der Studie zeigte sich deutlich, dass die mit den bislang verfügbaren Methoden nicht unterscheidbaren SNUCs anhand ihres DNA-Methylierungsmusters in vier Gruppen eingeteilt werden können. Die Forschenden konnten dies auch anhand weiterer molekularer Eigenschaften bestätigen. Das betrifft sowohl das Proteinprofil als auch das Vorkommen bestimmter Mutationen.

Diese Ergebnisse sind auch klinisch relevant, da die Patientinnen und Patienten der vier unterschiedlichen Gruppen verschiedene Prognosen haben. „Eine Gruppe beispielsweise verläuft überraschend gut, obwohl die Tumoren unter dem Mikroskop sehr aggressiv aussehen“, sagt Klauschen. „Eine andere Gruppe dagegen hat eine schlechte Prognose.“ Auf der Basis der molekularen Eigenschaften der Gruppen könnten Forschende möglicherweise in Zukunft auch gezielte neue Therapieansätze entwickeln. In München und Berlin wird der Algorithmus bereits in der experimentell-klinischen Diagnostik zur Klassifizierung von SNUCs eingesetzt.

Um den Algorithmus weiter zu trainieren und allen interessierten Forschungsgruppen zugänglich zu machen, ist er als Open-Source-Software auf der Website http://aimethylation.com/ verfügbar.

Originalpublikation:
Jurmeister, P., Glöß, S., Roller, R., et al. (2022). DNA methylation-based classification of sinonasal tumors. Nat Commun. 2022;13(1):7148. Published 2022 Nov 28. DOI: 10.1038/s41467-022-34815-3

Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)

Das Deutsche Konsortium für Translationale Krebsforschung, kurz DKTK, ist eines von sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und den Sitzländern gefördert werden. Im DKTK bündeln Forscherinnen und Forscher aus mehr als 20 universitären und außeruniversitären Einrichtungen in ganz Deutschland ihre Kräfte im Kampf gegen Krebserkrankungen, um möglichst rasch Ergebnisse der Grundlagenforschung in neue Ansätze zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von Krebserkrankungen zu übertragen. Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg verbindet sich im DKTK als Kernzentrum langfristig mit onkologisch besonders ausgewiesenen universitätsmedizinischen Einrichtungen an den sieben Partnerstandorten Berlin, Dresden, Essen/Düsseldorf, Frankfurt/Mainz, Freiburg, München und Tübingen.

Weitere Informationen über das DKTK gibt es unter www.dktk.org.

Ansprechpartner:
Dr. med. Philipp Jurmeister
Pathologisches Institut der LMU München
Thalkirchner Straße 38
80336 München
Tel.: 089 2180-73680
E-Mail: Philipp.Jurmeister@med.uni-muenchen.de

Pressekontakt:
Dr. Nadine Ogrissek
Deutsches Konsortium für Translationale Krebsforschung (DKTK)
Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ)
Stiftung des öffentlichen Rechts
Im Neuenheimer Feld 280
69120 Heidelberg
Tel.: 06221 42-1646
E-Mail: nadine.ogrissek@dkfz.de